11. Dezember 1963 Winnetou startet
Ein Teil der deutschen Filmgeschichte: Winnetou, der Apache – gespielt von einem Franzosen, der im Wilden Westen Kroatiens Blutsbrüderschaft mit einem Amerikaner schließt, der sich in seine Schwester verliebt hat, dievon einem deutschen Schurken ermordet wird: Ein Stück gelungener Integrationsgeschichte. Autor: Thomas Grasberger
11. Dezember
Mittwoch, 11. Dezember 2024
Autor(in): Thomas Grasberger
Sprecher(in): Christian Baumann
Redaktion: Frank Halbach
Integration ist eigentlich ganz einfach. Zumindest in der Literatur. Bestes Beispiel dafür ist ein gebürtiger Mescalero-Apache namens Winnetou. Der war bei seinem literarischen Erstaufnahmeantrag im Jahr 1875 schon an die Fünfzig und hatte ein paar ganz schlechte Angewohnheiten – zumindest in Karl Mays früher Abenteuererzählung Old Firehand. Winnetou rauchte damals zum Beispiel noch Zigarren und aß den Stummel gleich mit auf. Auch hatte er ein Faible fürs Skalpieren seiner Feinde. Er war also das, was man früher einen Wilden nannte. Aber der Mann erwies sich als lernfähig und legte seine unguten Gewohnheiten schnell ab. Dank seines geistigen Vaters Karl May. Der ließ den Apachen im Laufe mehrerer Erzählungen und Romane einen grundlegenden Gesinnungswandel durchlaufen. Winnetou wurde quasi eingedeutscht und war am Ende der "Edle Wilde" par excellence – unser deutscher Lieblingsindianer!
Der bretonische Häuptling
Kein Wunder also, dass Jahrzehnte später, in Zeiten von Kino und Fernsehen, die Geschichten vom tapferen, ehrlichen, gerechten und schweigsamen Naturburschen auch verfilmt wurden. Weil zwischen Flensburg und Füssen glaubwürdige Apachen-Darsteller eher rar waren, griff man auf einen gebürtigen Bretonen aus Brest zurück: Pierre Brice. Der war zunächst nicht so begeistert von der Rolle. "Indianer? Das sind doch immer die Verlierer?", zögerte Brice. Und auch sein Kollege Lex Barker, ein damals längst schon berühmter US-amerikanischer Schauspieler, hatte Bedenken, den deutschstämmigen Abenteurer Old Shatterhand zu mimen. Zumal es sich um eine deutsche Filmproduktion handelte. Produzent Horst Wendtland und Regisseur Harald Reinl belehrten jedoch nicht nur die beiden Schauspieler eines Besseren. Mit „Der Schatz im Silbersee“ gelang ihnen bereits Ende 1962 ein grandioser Kassenschlager.
Für die damals marode deutsche Filmindustrie war es der größte Kinoerfolg der Nachkriegszeit.
Gelungene Integration
Künftig war es dann wohl nicht mehr ganz so schwer, die beiden Hauptdarsteller für weitere Verfilmungen von Karl-May-Romanen zu verpflichten. Barker und Brice alias Winnetou und Old Shatterhand zogen 1963 samt Filmcrew in den kroatischen Teil des damalige Jugoslawien. Mit "Winnetou I" drehten sie den zweiten von insgesamt 17 Filmen, die in den 1960er Jahren eine regelrechte Karl-May-Welle im deutschen Kino auslösten. Ganz einfach war´s zunächst wohl nicht mit den beiden. Lex Barker sprach nur Englisch, Pierre Brice nur Französisch. Naja, die typischen Integrationsprobleme eben. Man musste zunächst viel Lippenlesen, aber die zwei übten fleißig miteinander und sollten am Ende – wenn auch keine Blutsbrüder – so doch Freunde werden. Fast wie im richtigen Romanleben also.
Die Uraufführung des Films fand am 11. Dezember 1963 im Mathäser-Filmpalast in München statt. Artig verbeugten sich die Hauptdarsteller vor dem Publikum. Und das war begeistert. Der Erfolg von "Winnetou I" war überwältigend. Schon ein Jahr nach der Premiere hatten ihn mehr als drei Millionen Besucher gesehen. Und der einst so fremde Winnetou war nun endgültig in den Herzen des deutschen Publikums heimisch geworden. Im Jahr 1987 verewigte sogar die Deutsche Bundespost unseren Lieblingsapachen auf einer Briefmarke. Na, wenn das keine erfolgreiche Integrationsgeschichte ist.