Neuerscheinungen der Woche Neue Alben von Nouvelle Vague, Idles und Molly Lewis
Die Neuheiten der Woche im kompakten Überblick. Mit Idles, Nouvelle Vague, Grandaddy, Laura Jane Grace, Molly Lewis, El Perro del Mar, Songs inspired by Bob Marley, Serpentwithfeet und Chromeo.
Chromeo – Adult Contemporary
Fast 20 Jahre im Disco-Funk sind so eine lange Zeit, dass man sich guten Gewissens musikalisch wieder auf seine Wurzeln konzentrieren kann - auch wenn die persönlichen Themen vor 20 Jahren natürlich noch andere waren. So hat das Duo P-Thugg und Dave 1 alias Chromeo beschlossen wieder ihre funky Synthesizer anzuschmeißen, aber ausschließlich über erwachsene Themen zu singen: Bindungsangst, Monogamie, schlaflose Nächte und Abstinenz. So hat das Album den naheliegenden Namen “Adult Contemporary” bekommen. Die Rückbesinnung funktioniert gut und hat mit dem Song “Replacements” zusammen mit Bandfreundin La Roux sogar einen Indie-Disco-Hit, bei dem man das Gefühl hat, man hat ihn schon seit 20 Jahren im Ohr. Herzlichen Glückwunsch zum Erwachsenwerden, Chromeo. (7,5 von 10 Punkten)
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Personal Effects
Serpentwithfeet – Grip
Josiah Wise nennt sich Serpentwithfeet, die Schlange mit Füßen. Er kommt aus Baltimore, über Philadelphia und New York ist er jetzt in Los Angeles gelandet. Wise könnte mit Leichtigkeit der neue The Weeknd werden. Aber auch auf Album Nummer 3 zeigt er, dass er diese Rolle nicht annehmen wird. Zu deep, zu vertrackt, zu crazy arrangiert sind seine Avantgarde-R&B-Songs, die hier eindeutig Richtung Club tendieren. Seine Mission ist eine andere, wie auch das Cover von “Grip” zeigt, darauf sieht man Wise nackt mit einem muskelbepackten Mann im Bett. Ein Cover als Statement für Queerness in der Schwarzen Community und gegen toxische Männlichkeit. (8 von 10 Punkten)
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serpentwithfeet - Safe Word (Official Video)
El Perro del Mar – Big Anonymous
Was, wenn die Zeit doch nicht alle Wunden heilt, und erst recht nicht die, die durch Verlust geliebter Menschen aufreißen? Diese Frage stellt sich die Schwedin Sarah Assbring auf ihrem achten Album als El Perro Del Mar. Assbring hatte eine Reihe von Familienmitgliedern verloren und sich am Ende ihrer Trauer schuldig gefühlt, am Leben zu sein. Das Album “Big Anonymous” brachte ihr Erleichterung - und uns eine ätherische, sinnliche Erfahrung. Der Bass geht hier tief ins Herz und die Echos tief ins Ohr. Aber am Ende ein Plädoyer für das Leben - wie das helle Licht am Ende eines Tunnels. (7 von 10 Punkten)
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El Perro del Mar - Between You And Me Nothing (Official Video)
Molly Lewis – On The Lips
Hier wird nicht gesungen, hier wird gepfiffen. Molly Lewis fing schon mit vier Jahren an zu pfeifen, als Teenager hat sie dank eines Pfeif-Wettbewerbs gemerkt, dass sie richtig gut ist. Seither pfeift die Australierin, die auch schon zwei Jahre in Berlin gelebt hat. Ich musste beim Hören des Debüts von Molly Lewis an Andrew Bird denken, der Songs von Steely Dan pfeift. Das ist wirklich große Kunst – und unerwartet emotional. “On The Lips” heißt ihr Debüt. Das kommt daher, da sie ihre Band immer vorstellt mit “An der Gitarre”, “An den Drums” und im Falle von Molly eben “An den Lippen”, “On The Lips”. Zum Pfiff arrangiert Molly ihre Songs cineastisch, im 60ies Gewand, anspruchsvolles Easy Listening oder wie einige abwertend sagen würden: Fahrstuhlmusik. Mit diesem Ausdruck hat Molly aber Probleme, ihr Herz schlägt für Musik, die die Umgebung, in der man sich bewegt, besser macht. (9 von 10 Punkten)
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Molly Lewis - Crushed Velvet (Official Audio)
Laura Jane Grace – Hole In My Head
Auch Anfang dieses Jahres habe ich wieder gehofft, dass 2024 Jahr des Power-Pop wird. Bisher gibt’s leider wenig Anzeichen dafür, wobei - Laura Jane Grace könnte das Jahr des Power-Pop einleiten: die Frontfrau der Punk-Rock-Band Against Me setzt bei ihren Singles zu ihrem neuen Soloalbum “Hole In My Head” auf das gute alte Genre, das in zwei Minuten alles sagt, was es zu sagen gibt. Das schafft Laura Jane Grace, mal euphorisch, mal sehr persönlich nachdenklich, aber immer mit sehr viel Haltung. Am meisten setzt sie sich aber von ihrer Hauptband ab, wenn sie folky, mit Handclaps und Akustikgitarre darüber singt, wie man sich nicht unterkriegen lassen soll. Man merkt, irgendwie hat sie diese optimistischen Hymnen selbst sehr dringend gebraucht. (7 von 10 Punkten)
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Laura Jane Grace - Birds Talk Too [OFFICIAL AUDIO]
Idles – Tangk
Ich habe nicht nachgezählt, aber die Idles behaupten, in den 40 Minuten Laufzeit des neuen Album “Tangk” fällt 29 Mal das Wort “Love”. Ergo haben wir es hier mit einem Album über Liebe zu tun. “Freudefreude” nennt Idles-Frontmann Joe Talbot das, für ihn das Gegenteil der “Schadenfreude”. Ich höre auf “Tangk”, das mit einem stummen “g” geschrieben wird, vielmehr eine Evolution der Idles. Denn das Album beginnt im Prinzip mit einem Radiohead-Stück, keine Überraschung, denn hier ist Radiohead-Produzent Nigel Godrich diesmal mit am Start. Aber keine Angst, die Idles werden jetzt nicht die neuen Radiohead und auch nicht die neuen U2, auch wenn im Song “Roy” die Drums von “Sunday Bloody Sunday” zitiert werden. Dafür sorgt ein weiterer renommierter Produzent, nämlich Kenny Beats, der, wie sein Name schon sagt, aus dem HipHop kommt. “Tangk” ist das bisher ambitionierteste Idles-Album - und das beeindruckendste, weil man das Gefühl hat, diese Band aus Bristol kann alles: Von Blues, Gospel rüber zu Hardcore und Postrock. Vor allem euphorisch bis brachial über die Liebe singen - auch wenn sie manchmal noch so weh tut. (9 von 10 Punkten)
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IDLES - GRACE (Official Video)
Various Artists – Songs inspired by Bob Marley: One Love
Am 15. Februar startet in den Kinos ein Biopic über Bob Marley mit dem Namen “One Love”. Wie wir alle wissen, ist Marley der populärste Reggae-Künstler aller Zeiten. Er hat Musik aus Jamaika auch für weiße Hörerinnen und Hörer interessant gemacht. Sieben Künstlerinnen haben sich den Film zum Anlass genommen und ikonische Marley-Songs gecovert. Darunter: Kacey Musgraves, Jessie Reyez oder auch Marleys Enkel Skip Marley. Den besten Song auf der 7-Track-EP liefert Leon Bridges mit seiner Version des „Redemption Songs“. (6,5 von 10 Punkten)
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Is This Love (Bob Marley: One Love - Music Inspired By The Film)
Grandaddy – Blu Wav
Das sechste Album von Grandaddy um Songwriter Jason Lytle heißt “Blu Wav” - und vereint so zwei Genres in einem Titel: Bluegrass und New Wave. Ein Titel mit Augenzwinkern, denn natürlich hören wir bei Grandaddy - wie gewohnt - opulenten Americana und Neo-Country. Dabei sind sieben von zwölf Songs im ¾-Takt geschrieben, wie Jason Lytle festhält. Nachdem Grandaddy ihre Hochzeiten in den 90ern und Nuller Jahren hatten, 2006 bis 2012 war ja Bandpause, hätte ich nicht gedacht, dass ich diesen psychedelischen Zeitlupen-Rock immer noch so dringend brauche. Aber “Blu Wav” ist wie ein schon etwas abgetragener Mantel, der sich aber von der ersten Note an um einen hüllt, sofort wärmt und einem ein geborgenes Gefühl gibt. (7 von 10 Punkten)
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Cabin in My Mind
Nouvelle Vague – Should I Stay Or Should I Go
21 Jahre nach ihrem Debüt veröffentlichen Nouvelle Vague ihr fünftes Album, diesmal mit einer neuen Sängerin namens Alonya. Nouvelle Vague kennen wir als französisches Studio-Cover-Projekt mit verschiedenen Sängerinnen, die Punk und New Wave-Songs immer wieder magisch entschärfen. Nouvelle Vague-Gründer Marc Collin nahm mit Sängerin Alonya “Should I Stay Or Should I Go” von The Clash auf, das gefiel ihm so, dass er mit Songs nachlegte, die nicht alle dem Post-Punk zuzurechnen sind, sondern mehr aus dem Pop der 80er kommen. Songs wie “The Look Of Love” von ABC oder “Rapture” von Blondie. Zur Erinnerung: Meistgehört auf Spotify sind die Nouvelle Vague-Versionen von “Love Will Tear Us Apart” oder “The Killing Moon”. Auch wenn es hier wieder stilvoll gepickte Cover sind, hat man 20 Jahre nach dem ersten Mal verzaubert werden mit Bossa Nova und Chanson, das Gefühl, die Magie bei Nouvelle Vague ist ein wenig dahin. (5,5 von 10 Punkten)
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The Look of Love