Der Elektro-Pionier wird 70 Giorgio Moroder
Ist die elektronische Tanzmusik des 21. Jahrhunderts eine Erfindung aus Südtirol? Muss jetzt die Geschichte von Techno und House umgeschrieben werden? Auf diese Idee könnte man kommen, wenn man den folgenden Satz hört: "Ich glaube, wir erfanden den Bassdrum- und Bass-Sound, der Teil der modernen Discomusik wurde."
Der das behauptet, heißt Hansjörg Moroder und wurde am 26. April 1940 im Grödnertal in Südtirol geboren. Jetzt hat er seinen 70. Geburtstag gefeiert, in seiner Villa in Beverly Hills. In sein Haus im Grödnertal kehrt Hansjörg Moroder nur noch in den Ferien zurück. Dabei könnte er eigentlich das ganze Jahr lang Ferien machen. Sein Vermögen wird auf etwa 300 Millionen Euro geschätzt. Der Staatspräsident hat ihn zum Commendatore ernannt, ein hoher Ordensrang in Italien. Auch ein berühmter Sportwagen trägt seinen Namen: Er heißt Cizeta-Moroder_V16T und der Namensgeber besitzt bis heute den Prototyp.
Hansjörg Moroder aus Südtirol hat viel erreicht in seinem Leben, und das verdankt er seinem musikalischen Talent. Und seiner Neugier. Hansjörg Moroder ist nämlich ein Pionier der elektronischen Popmusik. In den vergangenen vier Jahrzehnten hat er Dutzenden von Künstlern auf die Karrieresprünge geholfen - gerne auch Künstlerinnen.
Vor allem Donna Summer natürlich. Die afroamerikanische Schauspielerin spielt in den frühen 70ern in München eine Hauptrolle in dem Hippie-Musical "Hair" - und bleibt in Bayern hängen. Daraus sollte eine Weltkarriere werden mit Hits wie "I feel love". Das verdankt Donna Summer dem Giorgio aus Tirol.
Eine andere Frau verdankt ihren größten Hit ebenfalls dem Giorgio aus Tirol, auch wenn es kein Welthit wurde. Immerhin hat es für die deutschen Top Ten gereicht im Jahre 1970. Für eine gewisse Rosemarie Schwab.
Rosemarie Schwab aus Bingen am Rhein ist bekannter als Mary Roos und ihr "Arizona Man" ist 1970 ein Top Ten Hit in Deutschland. Und der erste mit einem Synthesizer. Das geheimnisvolle elektronische Wunderinstrument hatte Giorgio Moroder gerade für sich entdeckt und sofort sein Potential erkannt. So gesehen ist der "Arizona Man" von der braven deutschen Schlagersängerin Rosemarie Schwab die Mutter des modernen Techno. 1970 ist Giorgio Moroder 30 Jahre alt und schon ein arrivierter Musikproduzent. Der gerne mit jungen Frauen arbeitet.
Helga Ursula Glas zum Beispiel ist gerade 24, als sie 1968 zum Schätzchen der Nation wird. So nennt sie zumindest ein leicht liebestrunkener Kritiker. Der Film dazu heißt "Zur Sache Schätzchen". Und weil Uschi Glas so schätzchenmäßig rüberkommt, muss sie gleich eine Schallplatte besingen. Mit ein bisschen Hilfe vom Giorgio aus Tirol.
"Wenn Dein Herz Brennt" singt Uschi Glas, es ist die deutsche Version von "Love grows where my Rosemary goes". Dieser Produktion von Giorgio Moroder sollte kein nachhaltiger Ruhm vergönnt sein. Unter die Abteilung Jugendsünden fallen auch die ersten Solohits von Giorgio Moroder.
1969 füttert der Giorgio aus Tirol die Jugend der westlichen Welt mit Kaugummis. "Looky Looky" heißt Moroders Antwort auf die amerikanische Teeniepop-Mode namens Bubble Gum. Mit diesem doch recht schlichten "Looky Looky" landet der Südtiroler seinen ersten Hit. Dutzende sollten folgen. Und Moroder sollte bald aufhören, angekaute Kaugummis von anderen so lange weiterzukauen bis sie nach gar nichts mehr schmecken. Mit der Jahrzehntwende zu den 70ern wechselt Giorgio Moroder ins Fach der Klangforscher. Er findet Gefallen an diesen neumodischen elektronischen Musikinstrumenten. Die haben komische Namen wie Moog Synthesizer und sie sorgen für die eine oder andere Verwirrung. Auch bei routinierten Fernsehmoderatoren.
Bei Blacky Fuchsberger zum Beispiel. Der findet den Synthesizer von Giorgio Moroder regelrecht "unheimlich". Fuchsberger lädt Moroder 1978 in seine Show ein. Der Grund: Der Südtiroler mit dem Synthesizer bekommt für seine Filmmusik zu "Midnight Express" einen Oscar - Moroders zweitgrößter Erfolg. Sein größter wird gesungen, oder besser gestöhnt von einer afroamerikanischen Sängerin, die es in den 70ern nach München verschlägt.
Mit Donna Summer produziert Moroder einen Klassiker der Disco-Ära. Die monotonen elektronischen Rhythmen simulieren den monotonen Rhythmus des Geschlechtsakts. Und mit sage und schreibe 17 Minuten dauert "Love to love you baby" eindeutig länger als der durchschnittliche Akt in deutschen Schlafzimmern. Die Langzeitwirkung der Moroder-Produktionen hält bis heute an. Ob in der aktuellen elektronischen Tanzmusik oder im afroamerikanischen R&B, der Giorgio aus Tirol hat tiefe Spuren auf dem Pop-Globus hinterlassen. Zum Beispiel bei Beyoncé.
Fast 30 Jahre nach Donna Summer gibt die afroamerikanische Pop-Königin das ungezogene Mädchen und zitiert das große Vorbild: Aus "Love to love you baby" wird "Naughty Girl". Der Beyoncé-Hit stammt aus dem Jahre 2003. Sieben Jahre später erinnert sich eine andere Große des modernen R&B an den maschinellen Sound aus den Pioniertagen des Giorgio Moroder.
Kelis gibt uns die Donna Summer 2010. In den Remix ihres aktuellen Hits "Acapella" ist "I feel love" eingearbeitet, der andere sexmaschinelle Klassiker von Donna Summer, ihr auf den Leib geschrieben und produziert von Giorgio Moroder. Für solche Songs wird Donna Summer in den 70ern und 80ern geliebt. Nicht nur von heterosexuellen Männern.
Die Hi Energy-Musik von Donna Summer und Moroder hat gerade in den Schwulenclubs dieser Welt viele Fans. Donna Summer muss diese Tatsache irgendwie entgangen sein. Sonst hätte sie sich wohl nicht so abfällig über Schwule geäußert, wie sie es hin und wieder getan hat. Zwei schwule Engländer haben sich von Summers Hetzreden nicht abschrecken lassen und die beiden sexmaschinellen Klassiker neu interpretiert. Von Mann zu Mann.
Jimi Somerville & Marc Almond versuchen sich an einer schwulen Aneignung der beiden größten Donna Summer-Hits. Eine Art Mash up bevor es das Wort überhaupt gab. Das kann man so machen wie Almond & Somerville. Man kann das aber auch so machen wie Kristof Schreuf, ehedem Sänger der Band Kolossale Jugend und als solcher einer der Pioniere der sogenannten Hamburger Schule.
Kristof Schreuf erinnert sich an seine kindlichen Radioerfahrungen mit "I feel love". In der Erinnerung gerät ja manchmal was durcheinander. So mischt sich "Ride like the wind" von Christopher Cross mit "I feel love" zu einem melancholischen Dritten. Was der Giorgio aus Tirol DAZU sagen würde?
Giorgio Moroder hat Spuren hinterlassen, und das nicht nur mit seinen Disco-Produktionen aus den späten Siebzigern. Schon einer seiner frühen Solohits von 1972 findet ein spätes Echo auf einem Album der englischen Ambient-Techno-Gruppe The Orb. Bei The Orb heißt der Track "Sun of", auf deutsch: die Sonne von. Schreibt man son im Englischen mit O, dann heißt das Sohn. "Son of my father" ist 1972 der Titel einer Band namens Chicory Tip. Dahinter steckt mal wieder der Giorgio aus Tirol. Sein "Son of my father" ist das fehlende Glied zwischen Bubble Gum und Electro-Pop.
In drei Tagen wird Giorgio Moroder 70 Jahre alt und kann zurückblicken auf Dutzende von Hits mit den unterschiedlichsten Leuten. Es war ein langer Weg von Uschi Glas und Mary Roos zu David Bowie und Elton John, zu Cher, Janet Jackson oder Barbra Streisand. Das sind nur ein paar von den vielen großen Namen, mit denen Giorgio Moroder in den letzten 40 Jahren gearbeitet hat. Vor genau dreißig Jahren produzierte Moroder einen seiner größten Erfolge, mal wieder ein Filmsoundtrack. Als Mann für gewisse Stunden empfiehlt sich Richard Gere 1980 im Hollywood-Film "American Gigolo". Auf der Tonspur fällt ein Welthit ab - für eine Band, die genauso heißt wie der Hund von Adolf Hitler: Blondie – "Call me!"