Bayern 2 - Nachtmix


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Zum 70. Geburtstag des Folk-Sängers Phil Ochs

Folk-Sänger Phil Ochs waren nur kurz gute Zeiten in seinem Leben beschieden. Hauptsächlich kämpfte er in der Bürgerrechtsbewegung gegen einen reaktionären Staat und privat gegen die Übermacht Bob Dylans. Am 19. Dezember 2010 wäre Phil Ochs 70 geworden.

Von: Karl Bruckmaier

Stand: 16.12.2010 | Archiv

Phil Ochs | Bild: 1969, 2010 by Mark Millman

Die Eltern: Phil Ochs' Mutter war Schottin aus wohlhabendem Haus, sein Vater ein amerikanischer Arzt polnischer Herkunft. Nach dem Zweiten Weltkrieg versuchte sich der Senior als niedergelassener Arzt, erkrankte aber immer stärker an manisch-depressiven Zuständen, die eine Karriere unmöglich werden ließen und die Familie in eher ärmlichen Verhältnissen festhielten: Der Vater jobbte in Kliniken für Tuberkulose-Patienten, mal Upstate New York, mal in Ohio, für den jungen Phil Ochs ein ruheloses Leben ohne dauerhafte Heimat und Freunde.

Phil steckte jede freie Minute im Kino und verehrte John Wayne, später auch Marlon Brando und James Dean, für deren amerikanische Art der Zivilcourage, für die Rebellion des Individuums gegen bestehende Ungerechtigkeit. Mit 16 meldete sich der schmächtige Brillenträger für eine Militärschule in Virginia, begann Hanteln zu stemmen, Kontaktlinsen zu tragen und in der Blaskapelle seiner Einheit Klarinette zu spielen. Seine musikalische Vorliebe galt der Countrymusik, aber er wusste auch Elvis und Buddy Holly zu schätzen. Bevor sich Phil Ochs 1958 fürs College bewarb, ließ er sich noch die große Nase operieren und war danach willing und able, die Welt zu erobern.

Das College verließ Phil Ochs sehr schnell wieder, um Beatnik-mäßig herumzureisen. Als er in Florida 15 Tage wegen Landstreicherei einsitzen musste und endlich Muße hatte, über seine Zukunft nachzudenken, beschloss er Journalist und Schriftsteller und Musiker und Popstar zu werden. Zurück in Ohio wurde zu diesem Zweck ein Folkduo namens "The Singing Socialists" gegründet, wurden Pete-Seeger-Songs geübt und in der Studentenzeitung die kubanische Revolution und das Ende der McCarthy-Ära gefeiert. Das mit den singenden Sozialisten kam im Amerika der späten 50er Jahre dann doch nicht so gut an, und das Duo benannte sich um in "The Sundowners". Als mit der Revolution in Ohio nichts vorwärts ging und die zweite Sundowner-Hälfte sich wieder mehr für Zwischenprüfungen zu interessieren begann, packte Phil Ochs seinen Gitarrenkoffer und ging nach New York, wo der Folk-Bär los war und alle hoffnungsfrohen Songwriter ans Sterbebett von Woody Guthrie pilgerten.

Die Topical Songs

New York hieß 1962 Manhattan hieß Greenwich Village, hieß Folk Clubs und ein nettes Mädchen, in unserem Fall Alice Skinner, 18 Jahre alt und im Besitz einer eigenen Wohnung, in die Phil Ochs sehr bald einzog. Wie besessen muss Phil Ochs in jenen Jahren Songs geschrieben haben, sogenannte "topical songs": Etwas in der Zeitung gelesen, Lied darüber gemacht, zur Redaktion des Broadside Magazins gelaufen und dort abdrucken lassen.
 
69 Stück wurden es im Lauf der Jahre, die in diesem Underground-Blättchen erschienen, darunter ein bereits 1961 entstandenes Anti-Vietnam-Stück mit dem Titel "One More Parade", der verbürgt erste Song zu diesem Thema. Um die Bedeutung der heute oft gering geschätzten "topical songs" zu verstehen, muss man sich bloß die Situation der damaligen Opposition in den USA vorstellen. Außerhalb des Zwei-Parteien-Systems existierten nur Splittergrüppchen; die Meinung des Weißen Hauses war zu veröffentlichende Meinung, kritischen oder investigativen Journalismus gab es nicht, Kritik an der Politik des Präsidenten galt als un-amerikanische, also fast kommunistisch, also krank. Die Übermittlung von skandalösen Nachrichten, von politischen Verbrechen, von Machtmissbrauch und Korruption wurden zwischen den Universitäten gern über Songs ausgetauscht; die herumreisenden Folkies hatten durchaus die Rolle der berittenen Boten: Gute, patriotische Amerikaner zwar, aber kritisch und politisch weit links stehend.

Die Bürgerrechtsbewegung

Mit Bob Dylan, mit Arlo Guthrie, mit Tom Paxton und Phil Ochs fing diese Musik schließlich an, sexy zu werden, mehr von der Gegenwart und einer möglichen besseren Zukunft zu sprechen und nicht mehr von 30 Jahre zurückliegenden Gewerkschaftskämpfen. Die Bürgerrechtsbewegung nahm in dem Maße zu, wie in den Südstaaten die Gewalt gegen die Bürgerrechtler zunahm, und es gab keinen Musiker, der mehr Demonstrationen und Veranstaltungen mit seinen Songs unterstützte als den jungen Phil Ochs.

1965 begann sich Bob Dylan von der etablierten Folkmusik abzuwenden und statt der konkret politischen Themen rauschhafte, innere Exkursionen zu unternehmen, schließlich begleitet von lauter Popmusik. Für die alte Garde wie Pete Seeger oder Alan Lomax war das Verrat, Ausverkauf, kommerzieller Schund. Phil Ochs widersprach:

"Musik zu spielen, bloß weil sie dem Publikum gefällt, heißt das Publikum nicht zu respektieren. Wenn das Publikum das nicht versteht, dann verdient es allerdings auch keinen Respekt."

Phil Ochs

Angespanntes Verhältnis: Phil Ochs und Bob Dylan

Trotzdem kann man Phil Ochs' Verhältnis zu Dylan nur als gespannt bezeichnen: Eine Weile hatten sie den gleichen Manager, der sich aber mehr um Dylan als um Ochs kümmerte. Der kommerzielle Erfolg war fast ausschließlich Dylan und seiner Plattenfirma Columbia vorbehalten. Ochs begann zu sticheln: Bei Konzerten hörte man ihn ständig über Dylan lästern, witzeln, schließlich ließ er sich gar auf einem Friedhof photographieren, auf einem Grabstein sitzend, der den Schriftzug "Zimmerman" trägt. Als die Folk-Puristen Dylan verloren gaben, erinnerten sie sich wieder an Phil Ochs, kürten ihn zum neuen Dylan, zum nächsten Dylan, zum besseren Dylan - aber der Folkboom war vorüber und Protestsongs mussten wie Barry McGuire klingen, wenn sie in die Charts wollten.

Phil Ochs vierte Platte sollte ein Konzertmitschnitt werden, etwas Besonderes. Von seinem Manager Grossman und seiner unter dem Desinteresse an Folkmusik leidenden Label Elektra weitgehend im Stich gelassen, beklebte er im Wortsinn eigenhändig ganz Manhattan mit Postern, die einen Auftritt des nur Insidern bekannten Phil Ochs in New Yorks größter Arena, der Carnegie Hall, ankündigten: Für den 7. Januar 1966. Dazu bezahlte Phil Ochs tägliche Anzeigen in der New York Times aus eigener Tasche und tatsächlich: Die relativ billigen Tickets waren am Tag des Konzerts ausverkauft, für Phil Ochs der Beweis, dass man es auch auf ehrliche und anständige Weise schaffen kann, ganz groß herauszukommen. Doch dem endgültigen Durchbruch stand Phil Ochs selbst im Weg: Vor dem Auftritt erlitt er eine derartige Lampenfieber-Attacke, dass er während des ganzen Konzerts kaum singen konnte. Die Besprechungen des Gigs waren verheerend; die Aufnahmen für die Live-LP mussten mit komplett neuen Gesangsspuren versehen werden.

Der Wandel

Nach dem Carnegie-Hall-Desaster verließ Phil Ochs Frau und Kind und Label und zog nach Los Angeles. Drei Jahre nach Dylan vollzog Phil Ochs mit diesem Ortswechsel auch einen inhaltlichen und musikalischen Wechsel. Phil Ochs’ neue Labelheimat war seltsamerweise A&M, das gerade mit Herb Alperts Fake-mexikanischer Bigbandmusik ein Vermögen verdiente. Seine Texte wurden introspektiver, die Musik orientierte sich plötzlich an den Klängen jener Schnittstellen, wo Musical und Pop sich berührten - kein Wunder, dass Van Dyke Parks zum gelegentlichen Mitarbeiter und Produzenten wurde, schon ein Wunder, dass trotz der strategisch eigentlich genialen Entscheidung eher ältliche, sentimentale, kitschige, sieche Musik herauskam, die - obwohl es eingefleischte Ochs-Fans bis heute nicht wahrhaben wollen - niemals ernsthaft in der Lage war, den von Dylan vorgegebenen Standard auch nur annäherungsweise zu erreichen. 

In vielen Interviews beklagte der einsame Gitarrenheld Phil Ochs alias John Wayne den verderbten Zustand der Gesellschaft, bejammerte er den Verfall aller Werte, bedauerte er das Verschwinden eines Amerikas, wie es vielleicht nur in der Film-Fiktion bestanden hatte, die seine Kindheit erträglich machte. Amerika war krank - diese Aussage kann im Nachhinein auch gelesen werden als: Phil Ochs wurde krank. Die manisch-depressive Veranlagung durch den Vater kam zum Durchbruch. Die Ermordung der politischen Hoffnungsträger John F. und Robert Kennedy und Martin Luther King, die Niederschlagung der Anti-Vietnam-Proteste, schließlich die absolut undemokratische Vorgehensweise der Staatsmacht beim Demokratischen Parteikonvent 1968 in Chicago, als das Nixon-Amerika ein fast faschistoides Gesicht offenbarte, später die Unterstützung des Pinochet-Putsches in Chile durch die USA - das alles machte Phil Ochs krank und lebensmüde. Dieses ethische Dahinsiechen seines geliebten Landes, das Absterben seiner Ziele, die Aussichtslosigkeit, etwas zum Besseren wenden zu können, verbitterten den Moralisten Phil Ochs so sehr, dass aus den Protestsongs mehr und mehr filmhafte Alptraumszenarien wurden, die man leicht für zynisch halten könnte, wäre da nicht die Biographie ihres Schöpfers.

Ein trostloses Ende

Der innerlich verzweifelnde Troubadour versuchte um 1970 mit einer ironisch "Greatest Hits" betitelten LP ein letztes Mal, Popstar und Revolutionär zugleich zu werden. Er ließ sich von Elvis’ Schneider einen Goldlamée-Anzug schneidern und spielte auf der Bühne neben ausgewählten Protestsongs Rock’n’Roll-Medleys, weil er meinte, mit dieser Musik die Arbeiterklasse vielleicht doch noch erreichen zu können.

1972 folgte eine Live-LP - wie "Greatest Hits" mit einem Cover, das aus den späten 90ern stammen könnte - danach verfiel Phil Ochs einer Schreibblockade und seinen Depressionen. Bei einer Reise durch Afrika - er suchte seine revolutionären Absichten jetzt ins Ausland zu exportieren - wurde Phil Ochs überfallen und fast erdrosselt. Er überlebte, aber seine Stimmbänder waren irreparabel beschädigt. Gelegentlich spielte er noch live vor kleinem Publikum, auch mit Patti Smith, aber Mitte der 70er Jahre nannte er sich nur noch John Train, lebte als Penner auf den Straßen von New York und erhängte sich schließlich im April 1976 im Badezimmer seiner Schwester.


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