Patsy Cline Die Frau, die Nashville veränderte
Die US-amerikanische Musikerin hat die Countryszene in Nashville total durcheinander gewirbelt. Für Roderich Fabian ist sie die wohl größte Countrysängerin aller Zeiten.
Patsy Cline im Jahr 1961.
Popmusik kommt nie aus dem Nichts, sie verweist immer auf das, was vorher war. Und wenn man dann weiterforscht, wird man immer weiter in die Vergangenheit getragen. Auf diese Weise jedenfalls bin ich auf die Country- und Popsängerin Patsy Cline gestoßen.
Die hochdramatische Country-Schnulze „Sweet Dreams“ war indirekt meine erste Begegnung mit der Musik von Patsy Cline – enthalten ist sie auf einem der besten Emmylou-Harris-Alben, auf „Elite Hotel“ von 1975. Wie Emmylou ist auch Patsy Cline vor allem Interpretin, hat nur an wenigen Songs selbst mitgeschrieben, aber es geht hier eben nicht um einen Singer/ Songwriter, sondern um die wohl größte Countrysängerin aller Zeiten.
Tod durch Flugzeugabsturz
Patsy Cline ist auch deshalb eine Legende, weil sie im Alter von nur 30 Jahren mit dem Flugzeug abstürzte. 1963 war das, im Todesjahr von John F. Kennedy. Trotzdem hat die Sängerin ein erstaunlich großes Oeuvre hinterlassen. Viele ihrer Songs klingen gar nicht so sehr nach Nashville, sondern eher nach Las Vegas.
Bei Patsy Cline muss man zwischen zwei Phasen differenzieren: In den 50er Jahren ist die junge Frau aus Winchester, Virginia beim kleinen Label „Four Star Records“ unter Vertrag. Sie ist 1955 froh, überhaupt einen Deal zu kriegen. Aus einer armen Südstaaten-Familie stammend, hatte Virginia Hensley – so hieß sie bei Geburt – schon als Teenager mit dem Singen angefangen und war in Bars aufgetreten, auch um ihre Familie finanziell zu unterstützen.
Barsingen für Brot
Mit 21 heiratet sie einen älteren Herren namens Gerald Cline, der ihr das Singen ausreden und sie an Herd und Heim verbannen wollte. Aber nicht mit Virginia, die eine robuste und trinkfeste Person gewesen sein soll. Ihr erster Manager gibt ihr den Spitznamen „Patsy“ und verschafft ihr den Four-Star-Vertrag. Dort nimmt sie eine ganze Reihe von Songs auf, die der damals gängigen Mode folgten, dem Rockabilly nämlich.
Ihre ersten professionellen Plattenaufnahmen werden in Nashville von Owen Bradley produziert, der ihre gesamte Karriere lang der Mann am Mischpult bleiben sollte. Patsy Cline hat sogar einen Hit auf ihrem Mini-Label. 1957 erschien das jazzige "Walkin' after Midnight" – auch nicht gerade ein typischer Country-Song, aber längst ein Klassiker.
Der Hit "Walking after Midnight"
"Walking after Midnight" ist der Song, der Patsy Cline fast zum One-Hit-Wonder gemacht hätte, denn es folgt umsatzmäßig eine dreijährige Durststrecke. Mir persönlich begegnete Patsy Cline erst in den frühen 80er Jahren wieder, und zwar im Kino, als Filmfigur in „Coal Miner’s Daughter“, deutscher Titel „Nashville Lady“, ein Film des Briten Michael Apted.
Das ist die unglaubliche Geschichte des Country-Stars Loretta Lynn, die erst nach der Geburt von sieben Kindern eine Sängerinnen-Karriere startet. Sissy Spacek bekam dafür 1981 den Oscar für die beste weibliche Hauptrolle. In „Coal Miner’s Daughter“ ist auch die Freundschaft zwischen Loretta Lynn und der damals bereits etablierten Patsy Cline zu sehen. Loretta nahm 1972 mit Patsys Stamm-Produzenten Owen Bradley ein Tribute-Album für ihre Freundin voller Coverversionen: „I remember Patsy“.
Loretta Lynn & Patsy Cline
Der zweite, der wichtigere Teil von Patsys Karriere beginnt, als ihr Vertrag beim Mini-Label „Four Star“ ausläuft und ihr 1959 der Musiker und Promoter Randy Hughes über den Weg läuft. Der hält ihre Stimme nämlich für die beste in der Country-Music, so erzählt es jedenfalls der Film „Sweet Dreams“ mit Jessica Lange von 1985. Hughes verschafft Patsy einen interessanteren Vertrag bei Decca – und nun kann sie auf viel bessere Songs und Begleitmusiker zugreifen.
Gleich ihre erste Single wird eine Nummer Eins in den Country-Charts „I fall to Pieces“. Mit diesem Song wird Patsy Cline zum Star. Aber völlig glücklich ist sie damit nicht. Noch steckt in ihr das Country Girl, das lieber mit Banjo und Fiddle aufnehmen möchte als mit Orchester. Doch „I fall to Pieces“ geht sogar 1961 sogar in die Top-Ten der Genre-übergreifenden, also der Pop-Charts in den USA – und das bedeutet bares Geld.
Willie Nelson schreibt den nächsten Hit
Patsy Cline will das heiße Eisen schmieden und eine ausgedehnte Tour machen, hat aber einen Autounfall, der sie für Monate ins Krankenhaus befördert. Indessen suchen ihre Manager neue Songs für sie aus. Ein junger Songwriter namens Willie Nelson hat 1961 einen Titel namens „Crazy“ eingereicht und Patsy Cline hasst die eher jazzige Melodie aus ganzem Herzen. Trotzdem – so etabliert ist die Sängerin auch noch nicht – muss „Crazy“ gesungen werden. Nach diversen Anläufen ist er dann im Kasten und ist bis heute der bekannteste Song von Patsy Cline und für Willie Nelson die Eintrittskarte ins große Geschäft. Bis heute spielt Nelson diesen Song bei seinen Konzerten. Und er tut das immer wieder neu, keine seiner „Crazy“-Fassungen ist mit der anderen zu vergleichen.
Patsy Cline verändert sich nach diesem Hit: Sie nimmt das Image an, das ihr andere verpasst haben: Statt Cowgirl-Look wählt sie nun edlere Garderobe, lässt sich bei Live-Auftritten schon mal von einem Orchester begleiten, ist eher Pop als Country und löst spätestens jetzt Kitty Wells als weiblicher Country-Star Nummer eins ab.
Eine Nashville-Lady
Der „Nashville Sound“ der frühen Sixties ist längst nicht mehr so traditionell wie früher. Die akustischen Bluegrass-Instrumente werden von elektrisch verstärkten ersetzt. Das dominante Instrument ist nicht mehr automatisch die Gitarre, sondern häufig das Piano, das sehr oft von Floyd Cramer gespielt wird. So schaffen es der „Nashville Sound“ und damit auch die Songs von Patsy Cline, nicht nur in den Südstaaten der USA anzukommen, sondern auch in den Städten an der Ost- und Westküste und sogar in Europa.
Das Jahr 1962 beginnt für die Sängerin traumhaft, mit einer weiteren Country-Nummer-eins, die wieder in die Popcharts crossovert: „She’s got you“. Als Background-Chor zu hören die Jordanaires, auf die sich auch Elvis immer verlassen konnte, an der akustischen Gitarre ihr Mentor Randy Hughes und am Klavier natürlich Floyd Cramer. Patsy Cline ist 1962 auf dem Höhepunkt ihrer Laufbahn.
Keine glückliche Ehe
Seit vier Jahren ist sie da schon mit dem gutaussehenden Tunichtgut, dem Schriftsetzer Charles Dick verheiratet, mit dem sie auch zwei Kinder hat. Geht man nach dem Film „Sweet Dreams“, in dem Ed Harris Patsys Ehemann spielt, ist er unzuverlässig, untreu, rasend eifersüchtig und gewalttätig. Dick wird den Film nach seiner Uraufführung deshalb ins Reich der Fabel verweisen. Bis zum heutigen Tag lebt er vom Ruhm seiner Exfrau und verwaltet die Tantiemen, die nach wie vor eintrudeln, denn Patsy-Cline-CDs sind ein Dauerbrenner.
Wir haben schon in Zusammenhang mit Loretta Lynn erfahren, dass Patsy Cline viel für das Selbstbewusstsein der Frauen in der Country Musik getan hat. Und sie fördert in den frühen Sixties tatsächlich aktiv die Karrieren von Nachwuchs-Sängerinnen wie Brenda Lee oder Dottie West. Sie selbst nennt sich nun am liebsten „The Cline“ und verschafft sich Respekt im von Machos dominierten Nashville. Ihr klassischer Sound wird 1988 von einer Ikone des Feminismus gefeiert: KD Lang nimmt in diesem Jahr nämlich ein Album mit Patsys Produzenten Owen Bradley auf, das keine Patsy-Covers enthält, sondern nur ihren Stil feiert. Vielleicht gerade deshalb ist das Album „Shadowland“ das schönste aller Patsy.
Frauenförderung als Herzensangelegenheit
Patsy Cline ist immer selbst auch ein Fan geblieben, und wie sich das für einen Country-Star gehört, verehrte sie fast ihr ganzes Leben lang Hank Williams. Der starb am Neujahrstag 1953, zwei Jahre bevor Patsy Cline anfing, Platten aufzunehmen. Sein Einfluss kann gar nicht hoch genug eingestuft werden für die Country Musik der Sechziger Jahre, gerade weil er weit entfernt von den Klischees gearbeitet hat, die man der Musik aus Nashville für gewöhnlich zuschreibt. Und prophetisch war er auch, ob es nun ihn oder Patsy Cline betrifft.
Der Tod kommt im Falle Patsy Cline viel zu früh: Sie ist am dritten März 1963 in Kansas City aufgetreten – im Rahmen einer Country-Revue mit diversen Kollegen. Zwei Tage später will sie mit einem Kleinflugzeug zurück nach Nashville. Pilot ist ihr Mann für alle Fälle, Randy Hughes, Manager und Musiker mit Flugschein. Die Wetteraussichten sind bescheiden, aber Hughes traut sich die Reise zu.
Schlechtes Wetter mit tödlichen Folgen
An Bord sind noch zwei Country-Musiker: Cowboy Copas und Hawkshaw Hawkins, die beide mit Patsy in Kansas City auf der Bühne gestanden sind. Was genau den Absturz der Maschine in der Nähe von Camden, Tennessee verursacht hat, wir werden es nie erfahren. „Leaving on your Mind“, zwei Monate zuvor veröffentlicht, ist ihr letzter Hit zu Lebzeiten.
Patsy Cline wird 1972 die erste Frau sein, die man in die “Country Music Hall of Fame” aufnimmt. Die Laudatio spricht Johnny Cash. Nach ihrem Tod veröffentlicht Decca ein Greatest-Hits-Album, mit zehn Millionen Einheiten bis heute eine der bestverkauften Country-Platten überhaupt. Kurz nach ihrem Tod bringt Decca Records eine Single heraus, Patsys Coverversion des Don-Gibson-Songs „Sweet Dreams“.
Der war eigentlich für Patsys viertes Album vorgesehen, das nicht mehr erscheinen wird. Angeblich störten sie die Geigen in diesem Arrangement. So war ihr der Song nicht mehr Country genug. Wie auch immer: Dem Anlass angemessen, ist dies der erste und größte Patsy-Cline-Hit nach ihrem Tode – und Emmylou Harris hat sich von dieser Version inspirieren lassen, wie überhaupt „The Cline“ mit ihrem Stil und ihrem Sound Nashville für immer verändert hat.