Rhythmus-Zwillinge Sly & Robbie
Bob Dylan, die Rolling Stones, Sting oder Santana: Fast alle ließen sich von der Magie von Sly & Robbie einfangen. Egal ob Country, Folk, Rock oder Elektronik: Die RiddimTwins haben jedes Genre mit Reggae infiziert.
Wer die beiden einmal live erlebt hat, gespürt hat, was Bassschwingungen und Trommelschläge mit einem anstellen können, der wird diese Momente nie vergessen. Ich spreche von Sly & Robbie. Millionen Menschen haben sie zumindest auf Tonträgern gehört, ohne es zu wissen. Denn Sly & Robbie haben nicht nur die Reggaegeschichte der letzten 40 Jahre maßgeblich geprägt, sondern auch als beste Rhythmusgruppe des Planeten mit fast allen Popgrößen zusammen gespielt. Schlagzeuger Sly Dunbar und Bassist Robbie Shakespeare.
Reggae der Superlative
Am 27. September 2013 feierte Robbie Shakespeare seinen 60. Geburtstag. Die Riddim Twins oder auch Taxi Gang, benannt nach ihrem eigenen Label, müssen beinahe ununterbrochen Tag und Nacht Musik gemacht haben. Anders ist ihre unglaubliche Summe von Veröffentlichungen nicht zu erklären, zu begreifen sowieso nicht. Rund 40.000 Songs haben sie produziert und 4 Grammys gewonnen. An mehr als 200.000 Stücken sollen sie mitgewirkt haben.
Auf ihren Touren haben sie den Planeten mehrmals umrundet. Ob Bob Dylan oder die Rolling Stones, Sting oder Santana, fast alle ließen sich von der Magie der Riddim Twins einfangen. Ob Country, Folk, Rock oder moderne Elektronik, Sly & Robbie "reggaesierten" jedes Genre auf ihre einmalige Art.
Sogar mit Serge Gainsbourg nahmen sie ein ganzes Album auf. Und verhalfen ihrer Freundin Grace Jones zu Pophits. Mit Mick Jagger gelangten sie auch an die Spitze der Charts, um im nächsten Moment wieder jamaikanische Talente aus den Ghettos zu fördern.
Die Erklärung einer Faszination
Angesichts ihres Lebenswerks bis dato, ihrer wahnwitzigen Veröffentlichungsflut und -Wut, versucht diese Playbackausgabe gar nicht die Geschichte und Produktionsphasen von Sly & Robbie chronologisch anzugehen. Ich versuche lediglich zwischen subjektiven Vorlieben, Hits, kitschig-genialem Pop-Trash und trancegleicher, tiefer Körper-und Seelenmusik, denn das alles und noch viel mehr gibt’s von Sly & Robbie, meine Faszination für das Werk der beiden zu erklären.
Der 19-jährige Robbie Shakespeare spielte bereits Bass bei den Aufnahmen zu "Stir it up" von Bob Marley & The Wailers. 1973 erschien dieses Stück auf dem bahnbrechenden Album "Catch A Fire".
Schon als Teenager wollte Robbie Shakespeare Musiker werden. Sein älterer Bruder sang bei den Emotions zusammen mit der späteren Roots-Reggae Ikone Max Romeo. Aston "Family Man" Barrett, der mit den Hippy Boys spielte und anschließend als Bassist bei den Wailers einstieg, brachte Robbie Shakespeare die ersten Griffe und Bassläufe bei. Bereits mit 16 verdiente er sich sein Geld mit Studio Sessions und wird der Kopf der Backingband The Aggrovators von Produzent Bunny Lee. Mit dieser und über unzählige Band-Formationen in den Clubs von Kingston und Hotels der Küstenregionen stieß Robbie Shakespeare in den frühen 70ern zwangsläufig auf Sly Dunbar.
Begegnet sind sie sich erstmals aber in Randys Plattenladen. Den ersten Einsatz als Backingband hatten Sly & Robbie bei den Aufnahmen zu Jimmy Cliffs Album "Follow My Mind".
Seit 1975 sind die beiden ein unzertrennliches Team und behaupten, nie gestritten zu haben.
Das erste Schlagzeug besteht aus Blechbüchsen
Sly Dunbar heißt bürgerlich Lowell Charles Dunbar und ist ein Jahr älter als Robbie Shakespeare. Den Spitznamen "Sly" bekam er vom Gitarristen und Manager einer seiner frühen Bands, den RHT Invincibles verpasst. Weil Lowell Charles Dunbar so leidenschaftlich für die amerikanischen Soul-Funk Götter "Sly & The Family Stone" schwärmte.
Sly Dunbar wuchs in Kingston, im rauhen Viertel Waterhouse auf und ging in Trenchtown zur Schule. Zuhause klopfte er auf ein aus Blechbüchsen gebasteltes Schlagzeug. Sein Essensgeld investierte Sly regelmäßig in die Juke Box, um die Hits von Jamaica's First Recording Studio, kurz Studio One zu hören. Legendäre Bands und Sänger aus Coxsonne Dodd's Studio One Stall wie die Skatalites und Ken Boothe traten in der Aula von Sly Dunbars Schule auf. Und mit 15 Jahren verließ er mit Zustimmung seiner Mutter die Schule , um Musiker zu werden. The Yardbrooms, The Invincibles und The Volcanoes hießen seine ersten Bands.
Mit 16 prägte er bereits mit seinem einzigartigen Schlagzeugstil diverse Produktionen, darunter den Instrumental-Hit „Night Doctor“ von Lee Perrys Haus- und Studioband,The Upsetters.
Erste Hits in England und Jamaica
Das hektische "Night Doctor", ein Zwitter zwischen Ska und frühem Reggae mit einem Schuß Funk wurde 1969 in Jamaika ein Hit , nachdem die Single bereits die Clubs in England, wo "Night Doctor" zuerst erschienen war, erobert hatte. Weitere Erfolge feierte Sly Dunbar mit Tommy McCook and The Supersonics. Der nächste Hit gelang ihm zusammen mit seinem musikalischen Ziehvater Ansell Collins. "Double Barrell" hieß der Song,der wiederum auch in England zündete und die musikalische Partnerschaft und Freundschaft zwischen Ansell Collins und Sly Dunbar vertiefte. Bei den Revolutionairies spielten sie ab 1975 zusammen mit Robbie Shakespeare. Als Keyboarder ist Ansell Collins bis heute auf diversen Sly & Robbie-Produktionen zu hören.
Der Durchbruch
Ende der 70er tourten Sly & Robbie als Word, Sound&Power Backingband mit Peter Tosh um die Welt und beeinflussten seine Solo-Karriere maßgeblich. Der charismatische, rebellische Tosh zusammen mit den Riddim Twins, diese Kombination haute sogar Mick Jagger und Keith Richards um. Die Rolling Stones nahmen die Reggae-Truppe unter Vertrag und mit ins Studio. Heraus kam der Nummer 1-Hit: "You Gotta Walk(Don't Look Back)".
Nach diesem Erfolg waren Sly & Robbie in der gesammten Popwelt gefragt. Paul Simon, James Brown, Herbie Hancock und Yoko Ono und klingelten durch. Das französische Enfant Terrible Serge Gainsbourg nahm gleich ein ganzes Reggae-Album mit den beiden auf. Der erste weiße Künstler, dem dies gelang. Sly Dunbar kannte nur „Je t'aime“.
"Ich verstand kein Wort von dem, was er da sang. Aber es hat zwischen uns so gut funktioniert, daß wir das ganze Album innerhalb einer Woche aufgenommen haben. Und als Krönung kamen dann auch noch Bob Marleys Background-Sängerinnen die I-Trees ins Studio: Rita Marley,Marcia Grifffiths und Judy Mowatt."
Sly Dunbar
So weit Sly Dunbars Erinnerungen an "Aux Armes et caetera". Gleich im Titelstück verarbeitete Serge Gainsbourg die französische Nationalhymne, was 1979 in Frankreich einen Skandal auslöste und dem Album einen Riesen-Erfolg bescherte.
1984 folgten Sly & Robbie auch dem Ruf Bob Dylans ins Studio und nahmen u.a. „Jokerman“ mit ihm auf.
Sly & Robbie waren schon in jungen Jahren große Bob Dylan Fans. 1984 bei den Aufnahmen zu "Jokerman" liefen die Bandmaschinen schon bei der ersten Session. Dylan schwebte förmlich über die Riddims, die Rhythmusteppiche von Sly&Robbie. Zuhause in Jamaika standen die RiddimTwins pausenlos im Studio. Nahmen mit bekannten Reggae-Künstlern auf, probierten neuen Maschinen, Computer und Instrumente aus, die sie auf ihren Welt-Tourneen entdeckt hatten, bastelten an der Zukunft des Reggae und förderten Talente aus den Ghettos von Kingston.
Magische Vibes
Mit Black Uhuru produzierten sie die vielleicht spannendste Reggae-Band der späten 70er und frühen 80er Jahren. "Guess Who's Coming to Dinner" und "Shine Eye Gal" waren die größten Hits von Black Uhuru, die auf Sly&Robbies eigenem Taxi-Label erschienen. 1985 gabs für das Black Uhuru-Album "Anthem" sogar den Grammy.
Um die spezielle Magie von Sly & Robbie zu begreifen, muß man die Taxi Gang einmal live erlebt haben. Die 10-15 Minuten, in denen die Riddim Twins nur zu zweit spielen, reichen, um zu begreifen, was Vibes sind, wenn Musik Körper und Geist massiert. Besonders der von Sly Dunbar in den 70ern entwickelte "Flying Cymbal", der "Rockers"-Stil ist faszinierend. Physische Musik bei der der Hörer glaubt, der Schlagzeuger werde immer schneller, dabei spielt Sly Dunbar konstant tight wie ein Metronom. Ob Bob Dylan oder die Rolling Stones, Sting oder Santana, fast alle ließen sich von der Magie der Riddim Twins einfangen. Ob Country, Folk, Rock oder moderne Elektronik, Sly & Robbie "reggaesierten" jedes Genre auf ihre einmalige Art.
"Wenn wir uns nur auf Schlagzeug und Bass konzentrieren, dann sind wir in Richtung Weltall unterwegs."
Sly Dunbar
Sly&Robbie verhalfen auch Bob Marleys Lieblingssänger, dem Kronprinzen des Reggae Dennis Brown zu einigen seiner größten Hits. Zum Beispiel "Revolution" und "Sitting&Watching".
Musikaliosche Weltenbummler
Zwischen Rasta Camps und Hollywood Glamour, zwischen den Wellblechhütten der Ghettos von Kingston und den ersten Hotel-Adressen von New York und London pendeln Sly & Robbie bis heute hin und her ohne Probleme. Denn beide kommunizieren durch und mit ihrer Musik. Ob in einem selbstgebauten Studio in Jamaika oder einem Luxus-Musik-Tempel in Nassau. Auf den Bahamas produzierten Sly & Robbie in den 80ern die größten Hits ihrer Freundin Grace Jones. Und auch bei deren Comeback-Album "Hurricane", 19 Jahre nach der letzen Platte, der Diva, waren die beiden wieder an Board, um ihr einen Science Fiction Sound aus Dancehall-Reggae, ub, lobal Pop, Elektronik und Industrial Noise zu verpassen. Denn Sly&Robbie waren fast immer auf der Höhe der Zeit, meist sogar eine Nasenlänge voraus mit ihren Produktionen.
Ob Roots Reggae, Dub oder Dancehall-Reggae, jede Phase und Entwicklung jamaikanischer Musik seit Mitte der 70er haben sie mitgeprägt.
Geschichtsbewusstsein, technische Innovationen aus aller Welt und stets offene Ohren für andere Musik, gepaart it dem richtigen Gespür und Händchen für Arrangements, so läßt sich der unglaubliche Erfolg der Riddim Twins erklären. Hier sei nur an den Riesenerfolg von "Murder She Wrote" von Chaka Demus & Pliers 1992 erinnert und die "Bhangra" und "Bollywood"-Welle, die indischen Einflüsse im Dancehall, die Sly&Robbie maßgeblich beeinflusst haben. Auch das Hitpotential von "Hotstepper" eines Ini Kamoze erkannten die Riddim Twins sofort und produzierten in der ersten, nur halbstündigen Aufnahmesession gleich sechs fertige Tracks, die alle einschlugen. Darunter auch "World a Music", bei dem sich auch Bob Marleys Sohn Damian 30 Jahre später für seinen Hit "Welcome To Jamrock" bedienen sollte.
Und selbst Trash-Pop und Tanzphänomene wie etwa den Lambada veredelten Sly & Robbie zu Cheesy-Reggae-Perlen und verwandelten sie in Dancehallfutter für hungrige DJs- und Gesangstalente.
Selbst Filmmelodien und Soundtracks wie "Mission Impossible" und "The good ,The Bad & the Ugly" waren vor ihrer „Reggaefizierung“ nicht sicher, zum Glück.
Von HipHop zu TripHop
Und auch ins Hip Hop-Lager unternahmen Sly&Robbie mehrere erfolgreiche Ausflüge, um die Raggamuffin-Brücke zum Rap zu schlagen und die Dancehall-Wurzeln in der Hip-Hop Kultur zu verdeutlichen. Bestes Beispiel das von KRS-One in New York 1989 produzierte Album "Silent Assassin" mit Genre-Klassiker wie "Dance Hall". In den 90ern dockten Sly&Robbie spielend an neue Sounds und Stile wie den von Reggae und Hip Hop beeinflussten TripHop an, etwa mit Howie B. Und Tricky.
Und auch heute sind die Riddim Twins offen für jede spannende Collaboration. Gleichzeitig verbinden sie mühelos Tradition und Moderne. 2012 verneigten sich die beiden respektvoll vor ihren Wurzeln und nahmen ein reines Dub-Album auf, rein instrumental. Das ist in ihrer Heimat seit 25 Jahren total out. Aber die Dubheads weltweit machte es glücklich.
"Ich habe 30 Jahre lang mit Drum-Computern und Maschinen experimentiert und Spaß damit gehabt, aber nichts ist besser als physische Musik, aufgenommen in einem guten Studio oder live gespielt. Weil sie einmalig ist. Computer klingen überall gleich."
Sly Dunbar