Das Trojanische Pferd des Pop Steely Dan
Steely Dan hätten das Trojanische-Pferd-Prinzip in die Popmusik eingeführt, behauptet ein Kritiker über die Band von Donald Fagen und Walter Becker. Und sie landeten nebenbei ein paar Welthits. Eine Gratulation zum 60. Geburtstag von Walter Becker.
Walter Becker ist eine Hälfte von einem der größten Duos der Popgeschichte. Das meint zumindest der eine oder andere Kritiker, also: Happy Birthday Walter Becker, Let's do it again… Mit "Do it again" landen Steely Dan 1972 ihren ersten Top Ten Hit. Zu diesem Zeitpunkt ist Walter Becker gerade mal 22 Jahre alt. Dabei hört sich sein Gitarrenspiel an, als wäre er sechzig - clever, abgehangen, der Mann hat alles gesehen. Mit der Attitüde des coolen Hipsters, den so gar nichts erschüttern kann, kommt die Band daher. Steely Dan - das sind Donald Fagen und Walter Becker. Und nun wird Becker endlich so alt, wie er schon vor 38 Jahren daher kam, als er 22 war. Steely Dan sind ihrer Zeit voraus: 1974 bringen sie "Rikki don't loose that number" raus. Die Single wird ihr größter Hit bis dahin, dringt bis in die Top Five vor.
Und sie nimmt eine Technik vorweg, die seit den Neunziger Jahren im Pop und vor allem im HipHop weit verbreitet ist: Steely Dan samplen. Allerdings samplen Steely Dan ohne Sampler. Sie bauen ihren Song auf einem berühmten Vorbild aus dem Jazz auf. Wie an jedem Tag in den letzten 36 Jahren wird aus irgendeinem Radio dieser Welt dieser Song laufen: "Rikki don't loose that number" - ein moderner Klassiker von Steely Dan, und vermutlich der erste Pophit, der auf einem Sample beruht. Auf einem Quasi-Sample um genau zu sein. Die Quelle von "Rikki" ist Horace Silver und sein "Song for my father", ein Hard Bop-Klassiker aus dem Jahr 1964. Da ist Walter Becker gerade vierzehn, aber wie sein Steely-Dan-Partner Donald Fagen wächst er mit dem Jazz auf. Das prägt, und so eine Prägung vergisst man nicht. Und so kommt es, dass Steely Dan in den 70ern eine der erfolgreichsten Popbands Amerikas sind - aber eigentlich sind sie eine Jazzband, die sich als Popband verkleidet. Mainstream, aber eben doch anders. Oder, mit den Worten von Detlef Diederichsen:
"So weit, so Mainstream, doch bei näherem Hinsehen ist nichts, wie es sein müsste. Steely Dan hatten ja das Trojanische-Pferd-Prinzip in die Popmusik eingeführt: Unter einer elegant groovenden und mitunter geradezu romantisch-sentimentalen Oberfläche transportierten sie Bebop- und E-Musik-Harmonik und eine urban-abgebrühte, mitunter finstere Weltsicht ins Universum des Zuhörers."
Detlef Diederichsen
In diesem Artikel wird auch noch mal erwähnt, warum Steely Dan eigentlich Steely Dan heißen. Der Name geht auf die Beat Generation zurück, auf "Naked Lunch", den berühmten Roman von William S. Burroughs. In diesem Buch gibt es einen eisernen Dildo, und der heißt: Steely Dan. William S. Burroughs, der Namensgeber von Steely Dan, hat als Schriftsteller unzählige Musiker beeinflusst. Das gilt auch für seinen Lebensstil. Seine Haltung zu Drogen etwa. Die war eine ziemlich laxe, man könnte auch sagen, Burroughs war ein Junkie. Das trifft auch auf Walter Becker zu. Der hat eine lange und auch unglückliche Liebe zum Heroin. Die macht ihn teilweise arbeitsunfähig. Ende der Siebziger stirbt Beckers Freundin an einer Überdosis, angeblich trägt er eine Mitschuld.
Gut möglich, dass diese Erfahrungen in den Song "Junkie Girl" eingegangen sind. Er erzählt von der unglücklichen Beziehungen eines Mannes zu eben einem Junkie Girl. Sie finanziert ihre Sucht mit Prostitution, und er ist einer ihrer Kunden. "So be cool my little junkie girl", singt Becker, aber am Ende trennen sich ihre Wege. Und er wünscht ihr nur noch: "Good luck my little junkie girl". Der Song findet sich auf dem Album "11 Tracks Of Whack", 1994 das erste Soloalbum von Walter Becker. Da wird er seinem Ruf als Misanthrop mit ausgeprägtem Weltekel mal wieder gerecht, keine besonders einladende Platte. Danach dauert es dann 14 Jahre bis zum nächsten Soloalbum. Und Becker unterläuft einmal mehr die Erwartungen des Publikums, vor allem die Erwartungen der Steely Dan-Fans, meint Detlef Diederichsen: Walter Becker lebt seine Liebe zum Reggae aus.
"Oha. Crispy produzierter weißer Reggae ist nun eigentlich eine Musik, die auf der Verbotsliste ganz oben steht. Das große Wunder und die große Leistung des Albums ist, dass man sagen kann: Egal. Zwar muss sich der exzellente Schlagzeuger Keith Carlock tapfer an den Figuren aus dem Lehrbuch für Reggaeschlagzeug abarbeiten und den Gitarristen und Keyboardern wurden Offbeats verordnet, aber schon Becker selbst hält sich am Bass - dem zentralen Reggaeinstrument - kaum an Genregepflogenheiten und tupft die Noten meist nur symbolisch an. Fett ist das Gegenteil."
Detlef Diederichsen
Und genau deswegen funktioniert das Album "Circus Money" ganz gut, gerade weil es auch irgendwie aus der Zeit gefallen ist. Die Liebe zum Reggae ist keine Errungenschaft der Nullerjahre, schon zu Steely Dan-Zeiten gab es Songs wie den von der Scheidung auf haitianisch. "Haitian Divorce", Donald Fagen und Walter Becker, jazzgeprägte New Yorker Vorstadtnerds und ihr Verständnis von Reggae. Mit "Rikki Don´t Loose That Number" hatten sie den ersten Quasi-Sample-Hit, Jahrzehnte später werden sie selbst gesamplet, "Haitian Divorce" etwa von N.E.R.D., dem Seitenprojekt der Neptunes. Aber N.E.R.D.'s "Baby Doll" ist nicht die einzige Steely Dan-Vorlage für einen HipHop-Act. Schon in den Achtzigern wird aus den Knochen eines Steely Dan-Songs ein Hit für ein junges HipHop-Trio. "Ein pantonaler 13-Takt Blues mit Refrain", so beschreiben Steely Dan selbst diesen Song "Peg" in den Linernotes zu ihrem Album "Aja" von 1977, das ist für viele ihr bestes Album. Keine Ahnung, ob es das gibt, einen pantonalen 13-Takt Blues mit Refrain, auf jeden Fall hat dieses "Peg" einen ziemlich unwiderstehlichen Groove. Fanden auch De La Soul.
De La Soul könnten ja sowas wie die schwarzen HipHop-Kinder von Steely Dan sein, ihr Zugriff auf die Musikgeschichte ist auf ein ähnlicher: Keine Scheuklappen und immer für Überraschungen gut. Und hier wie da gibt es ein ausgeprägtes Geschichtsbewußtsein, und das heißt bei Walter Becker und Donald Fagen: eine große Liebe zur Geschichte des Jazz. Diese Liebe leben sie aus auf ihrem Album "Pretzel Logic" von 1974 aus. Das Album beginnt mit "Rikki don't loose that number", auf dem sie Horace Silver quasi sampeln. Seite Zwei wird eröffnet mit "Parker's Band", eine Huldigung der Jazz-Legende Charlie Parker. Und dann gibt es da noch den "East St.Louis Toodle-oo", aufgenommen am 19. Dezember 1927 von Duke Ellington und seinem Orchester. Diesen Toodle-oo übersetzen Steely Dan 1974 in die Sprache ihrer ganz speziellen Rockmusik und mit diesem Toodle-oo trudelt diese kleine Geburtstagsparty für Walter Becker aus.