Alles Theater (3/4) - Das Freie Theater gibt es nicht? Über Glanz und Illusion künstlerischer Freiheit
Sie definieren sich als freie Künstler und müssen sich doch auf einem Markt behaupten. Sie erproben alternative Arbeitsweisen als Vision für eine andere Gesellschaft und stehen doch im Wettbewerb um Förderung und Infrastruktur. Freies Theater gibt es nicht. Aber die, die es versuchen und erstreiten wollen schon. Ihnen begegnete Stephanie Metzger.
Sie sind freie Künstler. Sie fragen, forschen und erfinden. Sammeln, wählen aus und arrangieren. Denken, reden und spielen. Theaterkollektive wie She She Pop, Gob Squad, kainkollektiv, andcompany&Co, Rimini Protokoll. Sie meiden den Betrieb, nehmen sich Zeit. Sie beauftragen sich selbst und entscheiden immer neu, was sie wollen, wie sie es wollen und wie sie es mitteilen. Selbstbestimmt, gleichberechtigt, schöpferisch. Benno Heisel, Karen Breece, Stefan Dreher und all die anderen Mitarbeiter und Künstler des Hoch X, einem städtisch geförderten Ort für die Präsentation, Vermittlung und Vernetzung der freien Theaterszene in München:
"Der Kern der Erfahrung ist dieses bei Null anfangen und erst einmal komplett frei denken zu können, auch keine Kunst machen zu müssen. Das ist eine Erfahrung, die weit über, sag ich mal, einen Berufsbegriff raus geht. Sondern das ist etwas, das tief mit der einzelnen Künstlerpersönlichkeit verwurzelt ist."
Benno Heisel
Die Künstlerpersönlichkeiten der freien Theaterszene schaffen neue Räume im buchstäblichen wie im übertragenen Sinne – an neuen Orten und in der Erfahrung. Sie schaffen sie für sich selbst, wenn sie sich in langen Recherchen ihrem gewählten Thema ausliefern. Wenn sie sich Partner aus anderen Künsten dazu holen und die Theater verlassen. Und sie schaffen sie für ein Publikum, das nicht mehr nur zuschaut, sondern mitspielt und selbst am Prozess des Theaters beteiligt ist. Um den geht es hier oft mehr, als um die endgültige Aufführung. Auch bei der letzten Ausgabe des Münchner Rodeo Festivals:
"Erst einmal ist es ein Festival, das heute von der Stadt für die freie Tanz- und Theaterszene veranstaltet wird. Tendenzen, die ich jetzt für dieses Festival sehe ist: kleinere Formate. Haben wir aber nicht nur als Trend in München, sondern ja allgemein. One to one Begegnungen oder Spaziergänge mit begrenzter Platzzahl oder Erkundung eines Ortes, der unbekannt ist. Viel diskursives Potential, also wo entweder der walk schon mit einem Gespräch mit den Partizipierenden verbunden ist oder wo am Ende was offen endet und wo man sagt, ok, die Form sucht das Gespräch."
Sarah Israel
Frei im ästhetischen Sinne ist dieses Theater, weil es sich meist lossagt von den ästhetischen Konventionen, wie sie das Stadttheater noch oft bedient. Also von der Repräsentation von Geschichten, Texten und Figuren. So entstehen Formen, bei denen Theater zum Ereignis wird und die Zuschauer neue Erfahrungen ihrer selbst machen sollen. Wenn solche Formen nur nicht so oft im bloßen Paradox oder im selbstreflexiven Wahrnehmungsspiel hängen blieben, wird gegen dieses Theater von manchen Kritikern argumentiert. Gefordert wird mehr Anspruch auf dialektische Wahrheitsfindung, um die Zwängen einer neoliberalen Gegenwart auch kritisieren zu können. Zwänge, denen ja auch die freien Künstler ausgeliefert sind.
"Jetzt denkt der Künstler schon mittlerweile anders. Wie bediene ich den Markt, damit ich einen bestimmten Effekt erziele und in einem bestimmten Festivalbetrieb unterkomme. Dann sind Sie verloren."
Berkan Karpat, freier Künstler und Theatermacher
Freie Theatermacher erkaufen sich ihre Freiräume: innerhalb der verschiedenen Förderstrukturen und ihrer marktähnlichen Zwängen oder außerhalb dieser, dann im prekären Status. Das freie Theater scheint es nicht zu geben. Aber die, die es versuchen wollen und erstreiten schon. Und sie haben – ob gefördert oder nicht – mehr im Sinn als reine Selbstverwirklichung:
"Man darf das größere Ziel nicht aus den Augen verlieren. Das ist: Eine ganz andere Art des Lebens, eine kulturelle Umwälzung."
Alexander Karschnia, andcompany&Co
Die Kritik am gesellschaftlichen Zwang zur Selbstausbeutung, den inzwischen nicht nur Künstler sehr gut kennen, üben freie Theatermacher heute u.a. dadurch, dass sie die Ambivalenzen des freien Arbeitens und die ursprünglichen Sehnsüchte, die dahinter liegen, zum Thema machen.
"Ich finde es ist wichtig, über Arbeit zu sprechen und sich damit auseinanderzusetzen, was verlangt wird durch die Struktur von der kunstschaffenden Person. Das ist eine Diskussion, die absolut wichtig ist."
Benno Heisel, Leitungsteam Hoch X
Indem freie Theatermacher darauf beharren, dass sie anders arbeiten – kollektiv, langsam, ergebnisoffen – erforschen sie Alternativen und konkrete Utopien, in denen das freie Individuum Zielhorizont ist. Dementsprechend formulieren sie Ansprüche an sich selbst, an ihre praktischen und imaginären Fähigkeiten. Aber auch an die Kulturpolitik:
"In der Szene insgesamt ist die Tendenz zu beobachten, dass in den letzten Jahren verstärkt zweckgebundene Förderungen entwickelt worden sind. Also dass die Szene insgesamt auch als eine Form von Reparaturbetrieb betrachtet wird von politischer Seite für soziale Bruchstellen. Also dass es immer mehr Projektförderung gibt für kulturelle Bildung, für Integration, für inklusive Projekte. Das ist etwas, was die Szene kann und was sie auch viel macht, aber das ist sozusagen unser Wunsch auch, die Kunstförderung, also die Förderung für zweckfreie Kunst, in ihrer ästhetischen Bedeutung weiter zu erhalten und auszubauen."
Janina Benduski, Vorsitzende des Bundesverbandes Freie Darstellende Künste
Die Förderung des Freien Theaters darf nicht einfach nur auf Werke, Sozialarbeit oder Kreativwirtschaft abzielen. Sondern muss sich gemeinsam mit den Theatermachern zur Verschwendung bekennen, gesellschaftliche Alternativen suchen und eines unterstützen: das Ringen um Freiheit.
Das Freie Theater gib es nicht?
Über Glanz und Illusion künstlerischer Freiheit
Von Stephanie Metzger
Mit Hemma Sophia Michel, Xenia Tiling, Bijan Zamani
Regie: Stephanie Metzger
BR 2017, 49‘42