Bayern 2 - Notizbuch


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NS-Vernichtungspolitik Der Völkermord an den Sinti und Roma

Mit "Vernichtung durch Arbeit" in Konzentrationslagern und Zwangssterilisation wollten die Nazis das "Zigeunerproblem" lösen. In Dachau, Flossenbürg und vor allem in Auschwitz wurde das bittere Realität.

Von: Ernst Eisenbichler / Infografik: Anna Hunger

Stand: 05.04.2012 | Archiv

Luftbild des KZs Flossenbürg | Bild: National Archives, Washington DC (NARA)

Mit dem bayerischen "Zigeunergesetz" von 1926 hatte sich die Situation für Sinti und Roma schon vor Hitlers Machtübernahme erheblich verschärft. Nach 1933 waren "Arbeitsscheue" und "Asoziale" - im NS-Jargon lebten die Begriffe der 1920er-Jahre fort - noch mehr im Visier der Behörden.

Ab 1935 begann die offizielle Verfolgung aus rassistischen Gründen. Mit den Nürnberger Gesetzen wurden nicht nur Juden, sondern auch Sinti und Roma herabgestuft, obwohl sie im Sinne der Nationalsozialisten wegen ihrer indischen Herkunft eigentlich hätten als "Arier" eingestuft werden müssen. Begründet wurde dies pseudowissenschaftlich: "Artfremdes Blut ist alles Blut, das nicht deutsches Blut ... ist", schrieben Wilhelm Stuckart und Hans Globke, später Kanzleramtschef unter Konrad Adenauer, in den Kommentar von 1936 zu den Nürnberger Gesetzen.

Spuren der Verfolgung: Sinti und Roma in München

NS-"Rassenhygieniker" Robert Ritter (links) bei der Arbeit

1937 richteten die Nazis eine "Rassenhygienische Forschungsstelle" ein. Deren Leiter Robert Ritter spielte eine maßgebliche Rolle bei der Erfassung der Sinti und Roma. Er ließ 24.000 "Rassegutachten" erstellen - die Vorarbeit für den Genozid.

Himmlers "Auschwitz-Erlass"

12. April 1942: Luise Mai (rechts) mit ihrem Bruder Karl und ihrer Schwester Martha, Erstkommunion im Kinderheim St. Josefspflege in Mulfingen | Bild: Staatsarchiv Ludwigsburg zur Bildergalerie Drei Schicksale Zwangsarbeit und Tod im KZ Flossenbürg

Lebenswege von Sinti und Roma, die durch die Verfolgung durch die Nationalsozialisten unter anderem im oberpfälzischen Konzentrationslager Flossenbürg inhaftiert waren. [mehr]

Die systematische Verschleppung in Konzentrationslager, zunächst nach Dachau, Sachsenhausen und Buchenwald, begann 1936. Ab 1940 wurden Sinti und Roma - unter ihnen auch Kinder - zudem in Arbeitslager und Ghettos im von Deutschland besetzten Polen deportiert. Wer dort nicht durch Hunger und Krankheit zugrunde ging, wurde im Januar 1942 im Vernichtungslager Chelmno vergast. Am 16. Dezember 1942 verkündete SS-Führer Heinrich Himmler den sogenannten "Auschwitz-Erlass".

Ab Februar 1943 wurden insgesamt rund 23.000 Sinti und Roma ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau transportiert, wo die SS ein eigenes "Zigeunerlager" in 30 ursprünglich als Pferdeställe gedachte Baracken einrichtete. Auch die meisten der damals rund 200 in München lebenden Sinti und Roma waren davon betroffen. In einem Vermerk über sie hatte der Leiter der Kriminalpolizeistelle München schon im Oktober 1941 - also vor Himmlers Erlass - die Formulierung "restlose Abschaffung der Zigeuner" gebraucht. Die Polizeiführung ging offenbar davon aus, dass der Genozid beschlossene Sache war.

"Wo wir vorher mit 30 Personen in einer Zelle gelegen hatten, kamen wir jetzt mit 60 Personen in einen Eisenbahnwaggon, darunter 20 Kinder. Fünf Tage fuhren wir, kein Stroh und nichts zum Liegen! Am zweiten Tag erhielten wir den ersten Schluck Wasser."

Bericht eines Münchner Sintos über die Deportation nach Auschwitz

Im Juli 1944 waren nur noch etwa 4.500 Sinti und Roma in Auschwitz-Birkenau am Leben. Einen Monat später wurde das "Zigeunerlager" aufgelöst. Die Arbeitsfähigen wurden nach Buchenwald und Ravensbrück gebracht. Der Rest, etwa 2.900 Menschen, wurde vergast.

Zwangsarbeit im KZ Flossenbürg

KZ-Häftlinge bei der Zwangsarbeit

Auch in den beiden bayerischen Konzentrationslagern waren Sinti und Roma inhaftiert: in Dachau mehrere Hundert, in Flossenbürg mindestens 660, unter ihnen 511 Frauen. Diese wurden vor allem in den Flossenbürg-Außenlagern Wolkenburg und Zwodau zur Zwangsarbeit für Rüstungsfirmen eingesetzt.

Medizinische Experimente und Zwangssterilisationen

Unterkühlungsversuch mit Häftling - eines der medizinischen Experimente an lebenden Menschen

Wer in Auschwitz-Birkenau nicht in der Gaskammer umkam, dessen Leben war dort unter anderem durch die berüchtigten Experimente des Arztes Josef Mengele bedroht. Er missbrauchte nicht nur Juden für medizinische Untersuchungen, sondern auch Sinti und Roma. Vor allem seine "Zwillingsforschung" forderte viele Todesopfer, unter ihnen auch Kinder. Auch in Dachau wurden Experimente durchgeführt. An Versuchen mit Unterkühlung oder Trinkbarmachung von Meerwasser starben 80 bis 90 Sinti und Roma.

Im KZ Ravensbrück wurden viele Sinti und Roma zwangssterilisiert.

Ein Völkermord mit Aufschub war die Zwangssterilisaton, die massenweise vor allem im KZ Ravensbrück durchgeführt wurde. Auch Kinder waren von den teils sehr schmerzhaften Eingriffen, oft unter Verzicht auf Narkose, betroffen. Viele Sinti und Roma wurden erpresst: entweder Sterilisation oder KZ.

Bilanz: mehrere Hunderttausend Ermordete

Insgesamt wurden von den 35.000 bis 40.000 erfassten deutschen und österreichischen Sinti und Roma 25.000 ermordet bzw. kamen durch Erschöpfung, Hunger oder Krankheit um. Die geschätzte Zahl der Sinti und Roma, die im nationalsozialistisch besetzten Europa und den mit Hitler-Deutschland verbündeten Staaten ermordet wurden, bewegt sich zwischen 220.000 und 500.000.

Nach 1945: Täter sofort wieder im Amt

Als wäre nichts gewesen: Bei der Münchner Kriminalpolizei gab es bereits 1946 wieder eine Abteilung für "Zigeunerfragen". Sie übernahm nicht nur die Akten der 1899 gegründeten "Zigeunerzentrale", sondern zum Teil auch deren Personal. Etwa Josef Eichberger, der wesentlich bei der Deportation von Sinti und Roma nach Auschwitz mitgewirkt hatte. Oder Rudolf Uschold, auch er ein Mitorganisator der Transporte. Zwei von mehreren Beispielen, doch "Uschold oder Eichberger wurden für ihre Taten nicht zu Verantwortung gezogen", schreibt der BR-Journalist Thies Marsen in seiner Studie "Der vergessene Völkermord".

Opfer von Deportationen oder Zwangssterilisationen erhielten keine angemessene Wiedergutmachtung. Argument: Sinti seien als "Kriminelle" oder "Asoziale" verfolgt worden und hätten daher keine Ansprüche. Viele als Mitläufer eingestufte ehemalige SS-Leute bekamen dagegen großzügige Renten.

Am 14. Oktober 1953 beschloss der Bayerische Landtag eine "Landfahrerordnung", die sich vom "Zigeunergesetz" von 1926 kaum unterschied. Sie entsprach dem nach wie vor grassierenden Geist der Diskriminierung, der auch in einem Urteil des Bundesgerichtshof von 1956 zu Tage tritt: "Zigeuner neigen zur Kriminalität, besonders zu Diebstählen und Betrügereien. Es fehlen ihnen vielfach die Antriebe zur Achtung vor fremdem Eigentum, weil ihnen wie primitiven Urmenschen ein ungehemmter Okkupationstrieb eigen ist." Erst 1970 wurde die Landfahrerordnung wegen Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz aufgehoben.


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