"Der Gang vor die Hunde" Die Urfassung von Kästners "Fabian"
"Fabian" ist Erich Kästners Meisterwerk. Vor Kurzem feierte Dominik Grafs Verfilmung Premiere auf der Berlinale. Der Roman über das brodelnde Berlin der Weimarer Republik wurde vor seinem Erscheinen gekürzt. Nun liegt er zum ersten Mal so vor, wie ihn Kästner 1931 geschrieben hat unter dem Titel: "Der Gang vor die Hunde", rekonstruiert und herausgegeben von Sven Hanuschek. Es liest Nico Holonics.
1931 lieferte Erich Kästner seinem Verlag ein Manuskript mit dem Titel "Der Gang vor die Hunde": Die Geschichte des arbeitslosen Akademikers Jakob Fabian, der durch das Berlin der späten zwanziger Jahre streift, eine Stadt, die sich politisch und erotisch im Ausnahmezustand befindet.
"Ich kann vieles und will nichts. Wozu soll ich vorwärts kommen? Wofür und wogegen? Nehmen wir wirklich einmal an, ich sei der Träger einer Funktion. Wo ist das System, in dem ich funktionieren kann? Es ist nicht da, und nichts hat Sinn."
(Aussagen des Protagonisten Fabian)
Fabian wandelt als eine Art teilnehmender Beobachter durch die Straßen, Nachtclubs und Hinterzimmer der schnelllebigen Großstadt, die er liebt und zugleich nicht ertragen kann: "Was hatte er hier in dieser Stadt, in diesem verrückten Steinbaukasten zu suchen?", fragt sich der zu Beginn des Romans noch als "Propagandist" arbeitende Germanist. "Blumigen Unsinn schreiben, damit die Menschheit noch mehr Zigaretten rauchte als bisher? Das hatte er davon, dass er sich einbildete, der Globus drehe sich nur, solange er ihm dabei zuschaue."
Doch eine kleine Weile können ihn Labude, sein enger, politisch engagierter Freund, und die Liebe vor dem Gefühl der Halt- und Sinnlosigkeit bewahren.
"Fabian" - Bestseller und Sprengsatz
Der junge Kästner, der freche Shootingstar der Berliner Literatur-Szene, hatte in seinem ersten Roman alle Register gezogen. Doch zu explizit waren die Sexszenen, zu verunglimpfend die zynischen Sticheleien der Protagonisten über deutsche Nationalheiligtümer, zu eklig fiel manch Bauchbeschreibung aus.
Nico Holonics, 1983 in Leipzig geboren, spielt am renommierten Berliner Ensemble. Er leiht Erich Kästners Roman seine Stimme.
Das machte seinen Roman für den Verlag zu einem Sprengsatz, den das Lektorat mit spitzen Fingern entschärfte und der dann - entgegen Kästners ursprünglicher Intention - unter dem Titel "Fabian. Die Geschichte eines Moralisten" erschien. Noch in der verharmlosten Fassung galt das Werk als dekadent und obszön, die Nationalsozialisten warfen es 1933 bei der Bücherverbrennung ins Feuer.
Gleichwohl war "Fabian" auf Anhieb ein voller Publikumserfolg: Ein Jahr nach seinem Erscheinen waren schon über 25.000 Exemplare verkauft worden. Heinrich Mann schrieb an Kästner, der "Fabian" habe ihm "wirkliche Theilnahme abgewonnen", man werde bei der Lektüre "sentimental, ohne daß Sie es sind."
"Dieses Buch ist nichts für Konfirmanden, ganz gleich, wie alt sie sind. Der Autor weist wiederholt auf die anatomische Verschiedenheit der Geschlechter hin. Er lässt in verschiedenen Kapiteln unbekleidete Damen und andere Frauen herumlaufen. Er deutet wiederholt jenen Vorgang an, den man, temperamentloserweise, Beischlaf nennt. Er unterlässt nichts, was die Sittenrichter zu der Bemerkung veranlassen könnte: Dieser Mensch ist ein Schweinigel. Der Autor erwidert hierauf: Ich bin ein Moralist!"
(Erich Kästner, Nachwort für die Sittenrichter)
"Der Gang vor die Hunde" als Typoskript
Vom Kästner-Experten Sven Hanuschek Wort für Wort anhand eines gut erhaltenen Typoskripts rekonstruiert, bietet "Der Gang vor die Hunde" nicht nur einen faszinierenden Einblick in das abgründige Berlin der Weimarer Republik, sondern auch in Kästners Kunst der Spitzen Feder, die sich gekonnt ins Fleisch der Gesellschaft zu bohren weiß. Mehr als 80 Jahre nach Erscheinen der Erstausgabe liegt das Werk in der Form vor, wie es Kästner ursprünglich geplant hatte. Für Sven Hanuschek war es ein "seltenes Glück philologischer Arbeit", vor einem gut erhaltenen Kästner-Typoskript sitzen zu dürfen.
"Es ist geeignet, das Bild dieses Autors zu verändern, im feinen, stilistischen Detail ebenso wie durch die Wiedereinsetzung der Streichungen im gröberen Register, im politischen wie im erotischen bzw. sittengeschlichtlichen: ein freier, frecher Kästner zeigt sich, der seien besten und kreativsten Jahre vor 1933 hatte und der seine ästhetischen Mittel souverän beherrschte."
(Herausgeber Sven Hanuschek über die rekonstruierte Urfassung)
"Der Gang vor die Hunde"
Vollständige Lesung
mit Nico Holonics und Wolfgang Pregler
Ton und Technik: Fabian Zweck, Susi Harasim
Regieassistenz: Kirsten Böttcher
Regie und Redaktion: Antonio Pellegrino
Produktion: Bayerischer Rundfunk 2014
Der von Sven Hanuschek herausgegebene und ausführlich kommentierte Roman sowie das Hörbuch (6 CDs) sind im Atrium Verlag erschienen.
Unsere Lesungen können Sie nachhören: auf dieser Seite im Stream, als Download in der ARD Audiothek und im Podcast-Center des Bayerischen Rundfunks.