Zur Erinnerung an Ernst Augustin "Die Phantasie ist auch eine Wahrheit"
Von einer "Welt" zwischen den Welten und Daseinsformen, zwischen Wirklichkeiten und Phantasieräumen, zwischen Daseinsformen, davon schrieb Ernst Augustin, zuletzt fast erblindet, in seinem wundersamen Haus in München. Im November starb der Sprachmagier der deutschen Gegenwartsliteratur im Alter von 92 Jahren. Cornelia Zetzsche erinnert mit einer 4teiligen Lesung an den Schirftsteller: "Robinsons blaues Haus" ist sein letzter großer Roman, ein wundersames Zaubergebäude voller Überraschungen und Abenteuer.
"Meine Phantasie ist zu allem fähig", erzählte Ernst Augustin zu seinem 80. Geburtstag. "Ich lebe mein Leben geteilt in einem äußeren und einen inneren Lebenslauf. Das heißt, dass ich einerseits immer hinaus in die Welt wollte, das Abenteuer gesucht habe, andererseits bin ich ein innerlicher Mensch, interessiere mich für Bewusstseinszustände. Bei meiner Arbeit als Psychiater hat mich vor allem die Schizophrenie fasziniert. Die Phanatsie dieser Menschen, wie sie ihre Wahngebilde aufbauen, hat mich sehr beeindruckt. Denn die Phantasie ist eine Wahrheit, und der Traum ist eine Wahrheit und die Psychose ist eine Wahrheit."
"Robinsons blaues Haus ist mein Doktor Faustus, mein Fäustchen, denn es geht um die Existenz als solche, um das Leben im Zwischenraum. Was mir übrigens in meinem Leben gelungen ist. Heute ist ja jeder psychische Qaudratmeter streng aufgeteilt, da ist Freiheit kaum noch vorhanden. Sie ist fast nur noch im Zwischenraum möglich."
Ernst Augustin
Ein abenteuerliches Haus, das blaue Haus von Robinson, mit allen Freiheiten, man geht vorne in Grevesmühlen hinein und kommt hinten in der Südsee heraus. Häuser, Räume, Gebäude interessierten Ernst Augustin schon immer. Er wäre auch gerne Architekt geworden, für ihn war die Phantasie ein Werkzeug, womit man sich die Welt verschönern kann. Von Kindheit an beschäftigt ihn dieses Thema: Jeden Raum wohnbar zu machen, auch Zwischenräume, Spalten und Nischen, so dass man sich in ihnen wohlfühlt.
Eine Existenz im Zwischenraum
Der Schönheit der Poesie sei er immer nachgelaufen, nie dem Erfolg, erzählte Ernst Augustin einmal bei einem Interview. Seine Bücher sind kleine literarische Juwelen, über die er mit seinem letzten großen Roman "Robinsons blaues Haus" quasi ein Dach stülpte, einen Schlusspunkt setzte. Das Buch hat sehr viel mit dem Leben Augustins zu tun, insofern ist es auch eine phantastische, fiktive Autobiographie. Die Reise Robinsons beginnt etwa in Grevesmühlen, in Mecklenburg, in der Gegend, wo Ernst Augustin aufgewachsen ist. In Hirschberg im Riesengebirge, in einer Welt der Sagen und der Rübezahle ist er geboren. 1934 zogen die Augustins nach Schwerin. Dort besuchte er die Schule, heuerte nach dem Krieg bei einem Varieté an, wo er Karten abriss und Plakate malte.
Grenzenlose Phantasie
Nach dem Abitur studierte Ernst Augustin im völlig zerstörten Rostock Medizin, Psychologie und Neurologie, promovierte 1952 in Berlin über "Das elementare Zeichnen bei den Schizophrenen". Deren Ich-Verlust faszinierte den jungen Arzt. Vor allem die Vorstellungswelt der Kranken, ihre Wahnvorstellungen, beschäftigten ihn immer wieder. Nach ein paar Jahren an der Berliner Charité, wurde es ihm in der DDR zu eng. Über eine Empfehlung kam er an ein amerikanisches Unternehmen, für das er 1958 nach Afghanistan reiste. Augustin baute dort, unweit von Kandahar. Drei Jahre lang, dann reiste er weiter durch die Welt.
Zusammen mit seiner Frau, der Malerin Inge Kalanke, die Jahre später seine zauberhaften Romane in Buchumschläge mit surrealen Bildern hüllte, bereiste er Indien, Pakistan, die Türkei, die Sowjetunion, lebte und renovierte Häuser in London, New Orleans und in Costa Rica. 1961 arbeitete an der Nervenklinik der Münchner Universität und verfasste psychiatrische Gutachten. Diese Aufgabe gab er auf, als er merkte, in der Fiktion könnte er besser die Geschichten von Schizophrenen beschreiben, in der Wissenschaft fehlten ihm für diese Parallelwelten die Worte.
"Robinsons blaues Haus"
1962 erschien Augustins erster Roman "Der Kopf", der mit dem Hermann-Hesse-Preis ausgezeichnet wurde. Hans Magnus Enzensberger schrieb damals im Spiegel: "Das ist grandioser metaphysischer Witz, wie er bei Laurence Sterne und E. Th. A. Hoffmann, bei Lewis Carroll und Jorge Luis Borges zu finden ist: radikale Fiktion, auf die Spitze getrieben: Augustin beschreibt die Erfindung einer Erfindung. Seine Einbildungskraft ist von bohrender Originalität und noch im Aberwitz witzig. "Der Kopf" ist Entwicklungsroman und Utopie, Abenteuergeschichte und Humoreske, expressionistisches Labyrinth und Robinsonade, dies alles zwischen zwei Buchdeckeln: der bodenlose Scherz sucht in unserer Literatur seinesgleichen."
1966 lud ihn Hans Werner Richter zum legendären Princeton-Treffen der Gruppe 47, es war das Jahr, in dem Peter Handke seine Kritik an der Gruppe 47 formulierte. - Insgesamt schrieb Ernst Augustin elf Romane, von denen acht 2007 zu seinem 80. Geburtstag bei C. H. Beck in einer Neuauflage erschienen. Die Verbindung von Alltag und Traum, Realismus und surrealen, phantastischen Geschichten ist typisch für Ernst Augustin. Keiner verhandelte existentielle Dinge des Lebens so leicht und vergnüglich wie er.
"Robinsons blaues Haus", sein letzter Roman ist ein Fest der Phanatsie. Ein surreales Gebäude mit Falltüren und Labyrinthen, bewohnbaren Besenkammern und traumhaften Landschaften, denn "der Sinn des Lebens besteht aus nichts anderem als sich wohnlich einzurichten".
Zur Erinnerung an Ernst Augustin
Cornelia Zetzsche erinnert in vier Lesungen an den außergewöhnlichen Schriftsteller Ernst Augustin, der im November im Alter von 92 Jahren in München gestorben ist. Ab Sonntag, dem 29. Dezember, verschwindet Schauspieler Wolfgang Hinze als sogenannter Robinson im "blauen Haus" mit einem Sack voller Geld, illegal beschafft vom Vater seines Ich-Erzählers. Er fühlt sich verfolgt und versucht, sich auf der ganzen Welt wohnlich einzurichten. In Besenkammern genauso wie in luxuriösen Penthäusern von New York. Robinson besitzt sogar einen bewohnbaren Mantel. Immer wieder begegnet ihm ein Mann mit Hut. Alles ist sehr mysteriös, , auch sein Chat-Partner, den er "Freitag" nennt.
Teil 1 am 29. Dezember um 12.30 Uhr
Teil 2 am 1. Januar um 14.30 Uhr
Teil 3 am 5. Januar um 12.30 Uhr
Teil 4 am 6. Januar um 14.30 Uhr, jeweils auf Bayern 2.
Redaktion, Moderation und Regie: Cornelia Zetzsche
Buchkunst - außen und innen
Ein Nachruf von Cornelia Zetzsche