Ende der Welt - Die tägliche Glosse Auf die Pilze, fertig, los
Grad ist ja wieder Hochsaison: Und obendrauf ist 2023 auch noch ein wirklich gutes Schwammerljahr. Zumindest für die Sucher. Für die Gesuchten ist’s eher ein Jahr wie jedes andere. Wirklich zu schätzen weiß sie niemand. Das darf nicht so bleiben, haben sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gesagt und einen Artikel für das Fachblatt „Fungal Diversity“ geschrieben. Der kann einem die Fliegenpilzschamröte ins Gesicht treiben. Eine Glosse von Ralf Thume.
Sie haben’s wirklich nicht leicht. Also nicht Sie persönlich, Sie sind grad nicht gemeint, obwohl‘s natürlich vielleicht auch auf Sie zutrifft, nichts für ungut, bitte kriegen Sie’s nicht in den falschen Hals: Aber „sie“, das sind für die nächsten zwei Minuten und ein paar Zerquetschte mal nur die, die man allzu gern übersieht, außer wenn man ihnen an den Kragen will, um sie zu verbraten, die da ganz unten, die schweigende Masse, auf der man achtlos rumtrampelt: das Volk der Pilze.
Nehmen wir mal einen der bescheidensten von ihnen, einen hirnlosen Einzeller: die Hefe. Ohne sie gäb’s ganz oben – für die im Kronenbereich der Schöpfung – kein Bier, kein Brot, keinen Camembert. Mit anderen Worten: kein Bayern, kein Deutschland, kein Frankreich. Und ohne einen ihrer Verwandten vielleicht auch längst keine Bajuwaren mehr und keine Teutonen et cetera pp. – denn ohne den Schimmelpilz Penicillium notatum hätten wir wohl noch immer keinen Schimmer von Antibiotika und die Bakterien hätten eh schon gewonnen.
Dabei sind nicht alle Schwammerl Mickerlinge: Der schwerste von ihnen wiegt, wenn man sein ganzes Geflecht nimmt, 600 Tonnen. Da kann der Blauwal mit seinen grad mal 200 die Angeberfontäne ruhig stecken lassen. Schweineteuer wiederum sind natürlich die Trüffeln, aber sogar die sind noch ein Schnäppchen gegen den Chinesischen Raupenpilz. Den kann man tatsächlich mit Gold aufwiegen: Ein Kilo kostet bis zu 60.000 Dollar.
Das alles haben Mykologen jetzt mal zusammengeschätzt
Das alles haben Mykologen jetzt mal zusammengeschätzt: Pilzseidank machen Pharmakonzerne 50 Milliarden Dollar Umsatz pro Jahr. Die Lebensmittelbranche sogar zwei Billionen. Und wenn man wirklich alles addiert, was die Unwichtigtuer für uns leisten, dann kommt man auf knapp 55 Billionen Dollar. Da wird’s einem schwindlig, gell?
Den allergrößten Wert haben die Magic Mushrooms als Helferlein im Verborgenen. Ihre weitverzweigten Fädchen schmiegen sich an die Wurzeln der Bäume und unter-stützen die bei der Nährstoffaufnahme. Was kriegen sie dafür zurück? Ein paar Kohlenhydrate und das meiste von dem Kohlendioxid, das die Bäume aus der Luft geholt haben. Das wir davor in die Luft geblasen haben. Das speichern sie. Unseren Dreck. Damit wir sie uns wenigstens noch ein paar Jährchen von oben anschauen können.
Denken wir mal dran, wenn wir uns den nächsten Steinpilz auf der Zunge zergehen lassen. Aber jetzt Schluss mit der Lobhudelei. Denn die wär dem Pilz wohl wesensfremd. Da steht er drunter.