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Ende der Welt - Die tägliche Glosse Der Mond ist immer so alt, wie er sich fühlt

Der Mond ist älter als gedacht – ganze 40 Millionen Jahre! Das hat die Analyse von Gesteinsproben gezeigt. Warum aber hat uns der Trabant so lange hinters Mondlicht geführt und sich jünger gemacht? Pure Eitelkeit? Die Antwort ist komplizierter – und erschütternd persönlich. Eine Glosse von Michael Zametzer.

Von: Michael Zametzer

Stand: 24.10.2023

Kennen Sie den? Unterhalten sich zwei Himmelskörper. Kommt der Mond vorbei. Sagt der eine Himmelskörper zum anderen: „Haben sie ihn gesehen? - Wen? - Na, den Mond… fällt Ihnen gar nix auf? – Ja, a bissl zugenommen hat er. – Nein, das meine ich nicht. – was dann? – Na, der soll doch wesentlich älter sein, als er immer behauptet hat. Geh wirklich? Ja wieviel? - 40 Millionen Jahre! - Also doch!! Ich hab mir das schon oft gedacht! – Wieso? – Na, bei dem zerfurchten Gesicht!

Nicht lustig? Aber leider wahr. Der Mond ist tatsächlich älter als bislang angenommen: Nicht juvenile 4,42 Milliarden Jahre, sondern greisenhafte 4,46 Milliarden! Das hat nun die Analyse von Bodenproben ergeben, die Apollo 17 – die Älteren erinnern sich – einst von der nicht eben ebenmäßigen Oberfläche unseres Trabanten mitgebracht hat. Gut: Narben, Krater, Furchen erzählen halt auch Geschichten vom Leben im All. Wobei: sonderlich rumgekommen ist er jetzt auch nicht, der Mond.

Aber vielleicht ist genau dies der Grund für den Altersschwindel. Stichwort „midlife crisis“. Nach heute gängiger Lehrmeinung hat nämlich die Kollision mit einem anderen Himmelskörper Magma aus der Erde ins All geschleudert, die dann zu dem wurde, was der Wolf heute anheult. Und weil der Mond Stein vom Steine die Erde ist, die Erde aber selbst schon über die Lebensmitte hinaus ist – in etwa 5 Milliarden Jahren wird sie von der sich aufblähenden Sonne verschluckt werden – denkt sich der Mond vielleicht: „War es das dann? Ist das alles?“. Eine Sinnkrise von astronomischem Ausmaß sozusagen!

„Vielleicht hat er sich ja einen angesoffen, aus lauter Verzweiflung?"

An dieser Stelle ein Hinweis für unsere Hörer*innen im romanischen Sprachraum: In diesem Text wird der Mond als Substantiv der deutschen Sprache männlich gelesen. Und als Mann ist der Eintritt in die zweite Lebenshälfte ja mitunter recht holprig. Die Sinnsuche, das Gefühl, Wesentliches verpasst zu haben, den Drang, nochmal auszubrechen aus dem alten Trott.

Wenn Sie also das nächste Mal den „Blue Moon“ bewundern, behalten Sie im Hinterkopf: „Vielleicht hat er sich ja einen angesoffen, aus lauter Verzweiflung?“ Weil eben auch der Mond sich fragt: „Was habe ich denn erlebt? Ödnis, Meteoritenplagen, einen ständig kalten Hintern, weil die Sonne nicht hinkommt. Und zwischendurch lästige Parasiten in weißen Anzügen, die auf mir herumhüpfen und ihren Müll auf mir zurücklassen! Und das soll alles gewesen sein?“ Vielleicht denkt sich der Mond, wenn alle 79 Jahre der Halley‘sche Komet vorbeibrettert, frech und präpotent: „Jetzt reichts – ich habs satt, dass meine Existenz immer nur um denselben Schmarrn kreist! Ich will raus, auf den Milky Highway, ohne Ziel einfach ins All, das Zentrum der Galaxie im Blick, Yippie!“

Aber ach, Sie wissen ja, was man sagt: Ein Menschenjahr sind 50 Millionen Mondjahre. Und ab 50 wird’s halt dann doch immer schwerer, auszubrechen. Andererseits: Auch der Herbst hat seine schönen Seiten! Und wenn Sie sich mal wieder fühlen wie vom Schwarzen Loch zermalmt, treten Sie ins Freie, blicken Sie in den sternenklaren Himmel und nehmen Sie sich ein Beispiel am Mond – der auch mit 4,46 Milliarden Jahren noch leuchtet.


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