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Ende der Welt - Die tägliche Glosse Gebt uns die Trantüten wieder!

Briefmarkensammlungen oder Kuckucksuhren liegen auf der Halde der ver-schwundenen Dinge; so wie die Trantüte. Dabei hätten wir sie bitter nötig: wo immer wir einer Trantüte begegnen, stockt für einen Moment die allgemeine Raserei. Eine Glosse von Georg Bayerle.

Von: Georg Bayerle

Stand: 17.08.2023

Jetzt wo auch der Bundeskanzler seinen verdienten Urlaub genießt – ähh, oder ist er etwa schon wieder im Dienst? So ganz genau merkt man es bei ihm ja nicht, mit seiner wohl in Hamburg erworbenen Gelassenheit. Grau wie das Wetter an der Nordsee ist ja auch das Portfolio seiner Freizeitbeschäftigungen. Olaf Scholz ist halt kein Horst Seehofer, der ganze Modelleisenbahnwelten im Keller seines Hauses erschaffen hat. Aber wer ist nochmal Seehofer? Und wer baut heute noch eine Modelleisenbahn auf? So sieht man wieder einmal: Namen und Dinge sind wie Schall und Rauch.

Auch Briefmarkensammlungen oder Kuckucksuhren liegen auf der Halde der verschwundenen Dinge. Wer mit der Zeit gehen möchte, trennt sich davon genau wie von den Wörtern, die erstens nicht mehr verstanden werden und zweitens ihren User:Innen höchstens den Stempel des Ewig-Gestrigen aufprägen würden.

In diese Kategorie fällt auch die Trantüte. Wann haben sie es zum letzten Mal gehört oder gar benutzt? Dabei ist das Wort sogar genderstabil: trotz weiblichem Artikel ist es auch auf Männer und überhaupt jeden Menschen anwendbar! Neben dieser glänzenden Zukunftsprognose steht die großartige bildliche Kraft: Man stellt sich sofort eine triefelige, verpennte Person vor, so eine Art „Lauch“, wie wohl die heutige Entsprechung wäre.

„Ölgötze“ und andere reizende Wörter

Nun mag die Trantüte in fremden Kulturen, etwa in Hamburg, wo sie ursprünglich herkommt, noch eher in Gebrauch sein – im südlichen Kulturraum steht sie wie der Ölgötze und viele andere reizende Wörter auf der Liste der ausgestorbenen Begriffe.

Natürlich gibt es das zum Wort gehörende Ding schon lange nicht mehr, da die Zeiten des Walfangs mit starker deutscher Beteiligung vergangen sind und mit ihnen die oft porösen Tüten, in die der ranzige Tran gefüllt wurde, mit dem einst ganze Städte erleuchtet wurden. Die Tage kommen und vergehen und was einst wichtig war, ist heute schon vergessen. Dabei jagt doch eine Sensation die nächste in unserer aufmerksamkeitsökonomisch überlasteten Welt. Auch ganz buchstäblich: wollen doch gleich zwei deutsche Autobauer in die Formel I. Und mitmachen beim aus der Zeit gefallenen im Kreis herumrasen zwischen Bahrein und Shanghai.

Die Motorisierung nimmt zu bei SUVs wie beim Sexspielzeug, wo eine Firma die Beschleunigung von 0 auf 100 in unter drei Minuten garantiert – als ob es darum ginge, den Höhepunkt möglichst schnell zu erreichen. Wann wird solcher Schrott endlich auch auf dem Friedhof der unnützen Dinge landen? Auch Coffee-To-Go-Becher gehören da hin. Die Geschichte der Trantüten macht Hoffnung, dass es geschieht! Und recht eigentlich haben wir sie bitter nötig: wo immer wir einer Trantüte begegnen, stockt für einen Moment die allgemeine Raserei.


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