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Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre Glossar

Stand: 23.11.2010 | Archiv

BegriffErklärung
Bourgeoisie(frz.) Bürgertum, bis ins 19. Jahrhundert Sammelbegriff für den "3. Stand" der Gesellschaft neben Adel und Klerus. Im Marxismus und Kommunismus wurde der Begriff vor allem für das Großbürgertum verwendet, die Kapitalisten. Die Bourgeoisie ist nach dieser Theorie die gesellschaftliche Macht, die das Proletariat ausbeutete.
Existentialismus/ExistenzphilosophieKerngedanke des atheistischen Existentialismus (1950er und 60er Jahre) ist, dass der Mensch für seine Existenz voll und ganz verantwortlich ist. Sein Leben dient nicht einem höheren Zweck, ist nicht "in Gottes Hand" oder Teil eines göttlichen Planes, wie es Vertreter des christlichen Existentialismus (Jaspers, Heidegger) annehmen. "Der Mensch ist dazu verdammt, frei zu sein" und "Der Mensch ist, wozu er sich macht" sind zentrale Aussagen dieser philosophischen Schule. Die Tat zählt als einziges, aber nicht die Absicht. Ein Beispiel: Ob z. B. Zivilcourage echt ist, zeigt sich nur dann, wenn jemand auch tatsächlich im Leben in der entsprechenden Situation eingreift. Die existentialistische Philosophie beeinflusste nicht nur die politisch-gesellschaftlichen Diskussionen, sondern auch die Kunst, z. B. den Film ("Film noir"), v.a. aber die Literatur.
FeminismusHeute wird damit vor allem allgemein eine Bewegung bezeichnet, die sich für die Gleichberechtigung der Frau engagiert. Im 19. Jahrhundert wird der Begriff bereits verwendet, aber der politische Feminismus mit breiter gesellschaftlicher Wirkung entwickelt sich erst in der Folge der studentischen Protestbewegungen in den 1960er Jahren. Grundgedanke des Feminismus: Die Frau ist in ihrer Entfaltung und Selbstbestimmung durch den Mann und die patriarchalischen Strukturen der Gesellschaft benachteiligt. Ziel des Feminismus ist es, diese Benachteiligungen auf allen Gebieten zu beseitigen und den Weg für die Frau zu einem gleich berechtigten, gleichermaßen anerkannten und in allen Belangen gleich respektierten Mitglied der Gesellschaft zu bereiten.
HumanismusWeltanschauung, die sich an den Interessen und den Werten des einzelnen Menschen orientiert und an den Grundvoraussetzungen eines Zusammenlebens mit anderen. Der moderne Humanismus beginnt im Zeitalter der Aufklärung und hat den Anspruch, Antworten auf Fragen der Ethik zu formulieren, die unbeeinflusst sind von Theologie und Religion.
SorbonneDie Pariser Universität ist die älteste und berühmteste Universität Frankreichs. Sie wurde 1268 als Theologenschule gegründet. Ihre zentralen Gebäude, die auch heute noch den Mittelpunkt des Studentenviertels "Quartier Latin" bilden, wurden im 17. Jahrhundert erbaut. Ihr Name geht zurück auf den im 13. Jahrhundert lebenden Robert von Sorbon, Hofkaplan unter dem damaligen König Ludwig dem Heiligen.
Vichy-Regierung Innerhalb von nur sechs Wochen gelang es Hitlers Truppen, Frankreich zu besetzen. Am 22. Juni 1940 musste die französische Regierung den Waffenstillstand im Wald von Compiègne unterschreiben (am selben Ort hatte Deutschland im November 1918 kapitulieren müssen). Frankreich war in den von Deutschen besetzten Norden und Westen – und den von Frankreich zu verwaltenden Süden (etwa 40 Prozent des Landes) geteilt. Die von Hitler eingesetzte französische Regierung im Süden, dem unbesetzten Teil Frankreichs hatte ihren Sitz zunächst in Vichy in der Auvergne.
Die "68-er" Protestbewegung, die vor allem von Studenten in Deutschland und Frankreich ausging. Ihr Protest richtete sich gegen die damals bestehenden Autoritäten und die Gesellschaftsordnung mit ihren für überkommen gehaltenen Werten. Die Studenten verlangten nach größerer Freiheit und Individualität in der Lebensgestaltung, z.B. forderten sie freie Liebe in den Beziehungen zwischen Partnern oder mehr Selbstbestimmung in der Erziehung ("antiautoritäre Erziehung"). Der politische Protest richtete sich u.a. vehement gegen den Vietnamkrieg der USA. Besonders die Musik dieser Bewegung wirkt sich auf das Lebensgefühl der ganzen Generation aus (Bob Dylan, Joan Baez, The Doors u.v.a.).

Personen

Camus, Albert (1913-1960)

Schriftsteller, Journalist und Philosoph, als Sohn eines Fuhrunternehmers in Algerien geboren. Später - kurz mit Sartre befreundet - wurde er ein weiterer bedeutender Vertreter des Existentialismus. Hauptwerke: "Der Fremde" (1942), "Der Mythos des Sisyphos" (1944) und "Die Pest" (1947). 1957 wurde er für sein Werk mit dem Nobelpreis ausgezeichnet.

Castro, Fidel (* 1926)

Seit 1959 Regierungschef in Kuba, seit 1976 Staatspräsident. Castro führte in den 50er Jahren die Revolution an, die zum Sturz des damaligen Machthabers Batista führte. Für die Anhänger des Kommunismus wurde er zum Idol, weil seine Staatsführung bis heute streng sozialistisch-kommunistisch ausgerichtet ist. Kritikern gilt sein Staatsmodell als überkommen und gescheitert, für sie führt Castro ein diktatorisches Regime. 1962 wurde Kuba zum Schauplatz des Kalten Krieges, in der Kubakrise im Oktober des Jahres konnte eine atomare Konfrontation zwischen den USA und der Sowjetunion nur knapp abgewendet werden.

NameWerdegang
Beauvoir, Simone de (1908-1986)Geboren als Simone Lucie-Ernestine-Marie-Betrand de Beauvoir als Tochter eines Anwalts und einer Bibliothekarin in Paris. In ihren "Memoiren einer Tochter aus gutem Hause" beschreibt sie das streng katholische, bürgerliche Milieu ihrer Familie, gegen das sie später vehement rebelliert. Mit 17 Jahren beginnt sie ein Literatur- und Mathematikstudium, ab 1925 studiert sie - als neunte Frau überhaupt – an der Sorbonne. 1929 lernt sie dort Sartre kennen, beide sind vom Grundgedanken überzeugt, dass der Mensch sein Leben selbst bestimmen muss (später formuliert als Existentialismus), beide schaffen und erschaffen ihr Lebenswerk in intensiver gegenseitiger Anteil- und Einflussnahme. De Beauvoirs Welterfolg "Das andere Geschlecht" erscheint 1949 und wird zu einem Welterfolg und macht sie damit zu einer der ersten Vordenkerinnen des Feminismus. Zur Zeit der Vichy-Regierung wird sie aufgrund ihres "unmoralischen" Lebenswandels entlassen, sie unterhält Liebesbeziehungen zu ihren Schülerinnen und nimmt sich die Freiheit, Schularbeiten in Cafés zu korrigieren. Zu dem Zeitpunkt gelingt es ihr aber bereits, ihren Lebensunterhalt als Schriftstellerin zu bestreiten, schon ihr erster Roman "Sie kam und blieb" wurde ein Erfolg. De Beauvoir reist viel, u.a. lernt sie 1947 in den USA ihren späteren langjährigen Geliebten Nelson Algren kennen. Zeitlebens haben sie und Sartre zahlreiche Liebschaften und Affären, dennoch bleibt das Paar verbunden. Auch de Beauvoir engagiert sich politisch, sowohl gegen den Nationalsozialismus wie auch gegen den Vietnam- und Algerienkrieg und später zunehmend für die Gleichberechtigung der Frauen. Im Frühjahr 1971 beteiligt sie sich u.a. an der Aktion "J'ai avortee" – "Ich habe abgetrieben", 1974 gründet sie die Liga für Frauenrechte. Die Institution der Ehe und die Mutterschaft bedeuten für sie schon früh eine zu große Bedrohung ihrer Freiheit, eine offizielle Verbindung zu einem Mann geht sie nie ein.
Delaunay, Robert (1885-1941)Französischer Maler, in Paris geboren. Ausgebildet als Bühnenmaler ist er fasziniert von der Malerei Cézannes und der Bewegung des Kubismus um Georges Braque und Pablo Picasso, deren Kreis er sich 1909 anschließt.
Laclos, Choderlos de (1741-1803)Autor des Romans "Les Liaisons Dangereuses" – Gefährliche Liebschaften. Dieser Roman, 1782 veröffentlicht, gilt als ein Meisterwerk der Literatur des 18. Jahrhunderts, u.a. hat auch Heinrich Mann ihn ins Deutsche übersetzt.
Paul Nizan (1905-1940)Journalist, Kritiker und Schriftsteller, der sich mit Sartre befreundete, als sich beide im Internat École Normale Supérieure kennen lernten. Gemeinsam mit ihm übersetzte er z. B. die Allgemeine Psychopathologie von Jaspers. Im Gegensatz zu Sartre war Nizan ein überzeugter Kommunist, der sich u.a. auch aktiv am Kampf gegen den spanischen Faschismus beteiligte und veröffentlichte 1936 Reportagen über den spanischen Bürgerkrieg. Aus Protest gegen den Hitler-Stalin-Pakt trat er 1939 aus der kommunistischen Partei aus, er fiel 1940 als Soldat in der Nähe von Dünkirchen.
Sartre, Jean-Paul (1905-1980)Der Schriftsteller und Philosoph gilt als der bedeutendste französische Intellektuelle des 20. Jahrhunderts. Sein Vater stirbt, als er zwei Jahre alt ist, er wächst im Haus seines Großvaters auf, einem Onkel Albert Schweitzers. Sartre geht ab 1920 in Paris ins Internat und befreundet sich dort mit dem Schriftsteller Paul Nizan. Als Student lernt er Simone de Beauvoir kennen und lieben. 1933 geht Sartre für ein Jahr als Stipendiat ans Institut Francais nach Berlin, wo er sich u.a. auch intensiv mit deutscher Literatur und Philosophie beschäftigt (Husserl, Heidegger, Kant, Kafka u.a.), die Machtergreifung Hitlers hält er wie viele für eine nicht beachtenswerte politische Episode. Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs im September 1939 muss Sartre in den Krieg und wird 1940/41 als Kriegsgefangener in Trier festgehalten. Aufgrund seines Augenleidens kann er nach Paris zurückkehren, engagiert sich im Widerstand. Hier erscheint 1943 sein philosophisches Hauptwerk "Das Sein und das Nichts". In den Nachkriegsjahren wurde Sartre zu einem der führenden Intellektuellen Frankreichs. Er engagierte sich auch politisch – sympathisierte mit den Kommunisten, aber wandte sich nach der Niederschlagung des Ungarn-Aufstands 1956 von ihnen ab. 1964 wurde er mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet, den er aber – als bisher einziger Preisträger – ablehnte. Für die 68er Generation wurde seine Philosophie, er selbst und seine Lebensweise (auch die "freie Liebe" zu Simone de Beauvoir) zum Ideal. Ab 1972 musste er aufgrund seiner völligen Erblindung die Arbeit als Schriftsteller aufgeben. Seine Beerdigung am 19. April 1980 in Paris fand unter großer Anteilnahme der Bevölkerung statt: über 50.000 Menschen begleiten ihn durch die Straßen von Paris zum Friedhof.
Vian, Boris (1920-1959)Französisches Multitalent, enfant terrible und Kultautor. Er war u.a. Schriftsteller, Musiker (Jazztrompete, Chansons), Schauspieler, Übersetzer. Geboren als Sohn eines Fabrikanten in Ville d’Avray bei Paris wurde er zunächst Ingenieur, bevor sich als Künstler engagierte. Berühmt geworden sind seine "pataphysischen Studien". Als Romanautor war er zunächst wenig erfolgreich, erst spät wurde sein Werk "Der Schaum der Tage" zu einem Buch mit Kultstatus. Mehr Erfolg hatte er zu Lebzeiten als Musiker und Jazzenthusiast, einige seiner über 400 Chansons wurden z. B. von Yves Montand oder Juliette Gréco interpretiert.

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