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Voltaire Das Thema

Stand: 31.08.2010 | Archiv

Statue von Houdon mit dem Abbild des französischen Schriftstellers und Philosophen Francois Marie Arouet Voltaire | Bild: picture-alliance/dpa

"Eine Revolution in Menschengestalt", ein "Wirbel von Licht und Hitze", so sah ihn der Historiker Jules Michelet: Kaum ein anderer Aufklärer hat so tiefe Spuren im Gedächtnis Europas hinterlassen wie Voltaire, der kein stringentes philosophisches System geschaffen hat, dafür aber zahlreiche Pamphlete, Epen, Theaterstücke, Romane, Briefe, Kampfschriften, Epigramme, Satiren, die alle nur einem Ziel dienen: ironisch, scharfzüngig und spottlustig die Verkommenheit verkrusteter Machtstrukturen anzuprangern, dem religiösen und politischen Fanatismus den Wind aus den Segeln nehmen, den Machtwillen der katholischen Kirche zu entlarven, das Diesseits zu feiern, das schwierige und doch so schöne Leben gegen hohle Vertröstungen aufs Jenseits in sein Recht zu setzen, der Freiheit, der Toleranz, dem Licht der Aufklärung eine Bahn brechen ... Sätze wie dieser haben seinen unsterblichen Ruhm begründet: "Dass der Mensch frei und dass alle Menschen gleich seien, das ist das allein naturgemäße Leben."

Herkunft und Lebensstil

Voltaire kam am 21. November 1694 in Paris als Sohn der wohlhabenden bürgerlichen Juristenfamilie Arouet zur Welt und erhielt in der Taufe die Vornamen François Marie. Der Säugling war so schwach, dass man täglich mit seinem Tod rechnete. Voltaire - so nannte er sich selbst am Anfang seiner Schriftstellerkarriere - kränkelte viel, lebte aber dennoch 84 lange, arbeitsreiche Jahre, verfolgt von den Behörden seines Heimatlandes, gefeiert und verehrt von den fortschrittlichen Intellektuellen Europas und auch von den einfachen Leuten, deren Rechte er unermüdlich verteidigte. Dass Güte und Menschenfreundlichkeit allein nicht zu dem Einfluss verhelfen, der nötig ist, um die Welt zu verändern, wusste Voltaire allerdings nur zu genau. Zeitlebens ärgerte er sich darüber, nicht in die tonangebende aristokratische Schicht hineingeboren zu sein, und beschloss früh, zu Geld zu kommen: Seine Gerissenheit und Skrupellosigkeit in Geldgeschäften, sein Geiz und seine Gewinnsucht sind legendär und machten ihn zu einem der reichsten Schriftsteller der Epoche. Sein Reichtum ermöglichte es ihm, sich nicht willenlos der Gunst fürstlicher Mäzene ausliefern zu müssen, sondern seinem Lebensmotto treu bleiben zu können:

"Mein Handwerk ist zu sagen, was ich denke."

Voltaire

Frühe Jahre

Der hochtalentierte, selbstbewusste und temperamentvolle Junge, an dem die ältere Schwester die Stelle der früh verstorbenen Mutter vertrat, war keine leichte Aufgabe für seine Lehrer am Pariser Jesuitenkolleg; aber man erkannte dort seine Begabungen und förderte sie. Ein richtiger Problemsohn wurde der junge Arouet nach der Schule, als er dem Willen des Vaters folgend reichlich lustlos Jura studierte und in Literatenzirkeln ein ausschweifendes Bohème-Leben führte; doch keine väterliche Erziehungsmaßnahme konnte ihn von seiner Lust am Schreiben und an schönen Frauen abbringen. Seine respektlosen satirischen Gedichte erregten den Unwillen der Behörden und des Hofes und brachten ihm 11 Monate Gefängnishaft in der Bastille ein.

Früher Ruhm und Verfolgung

Als er diese im April 1718 verlassen durfte, hatte er ein Drama - "Ödipus" - in der Tasche, das ein durchschlagender Bühnenerfolg wurde und den Ruhm des Vierundzwanzigjährigen begründete. Vor Verfolgung und Zensur war er dennoch nicht sicher; zwischen 1726 und 1728 verbrachte er zwei Jahre im englischen Exil. Großbritannien war, als konstitutionelle Monarchie, das fortschrittlichste Land Europas. In seinen "Philosophischen Briefen" polemisierte Voltaire gegen religiösen und politischen Fanatismus und verglich das englische und französische System zu Ungunsten des letzteren. Er ließ die Briefe, wie die meisten seiner Werke, illegal drucken und veröffentlichen und entzog sich der Verhaftung durch Rückzug auf Schloss Cirey in der Champagne. Das lag an der Grenze zu Lothringen, das damals noch zum Deutschen Reich gehörte, und eröffnete schnelle Fluchtmöglichkeiten.

Die Geliebte

Und es hatte noch einen weit größeren Vorteil: Es gehörte seiner Geliebten, der Marquise Emilie du Châtelet, einer hoch gebildeten und begabten Physikerin, Mathematikerin, Philosophin und Übersetzerin, mit der Voltaire 15 Jahre lang lebte und arbeitete.

"Wenn ich König wäre, ich würde einen Missbrauch abschaffen, der die Hälfte der Menschheit zurücksetzt. Ich würde Frauen an allen Menschenrechten teilhaben lassen, insbesondere an den geistigen"

schrieb Emilie.

"Das Glück brachte mich mit gebildeten Menschen zusammen, die mir die Hand zur Freundschaft reichten. Da begann ich zu begreifen, dass ich ein geistiges Wesen sei."

Marquise Emilie du Châtelet

Die Marquise war verheiratet und hatte später auch einen anderen Liebhaber, von dem sie sogar schwanger wurde - aber Voltaire liebte und bewunderte sie bis sie 1749 im Kindbett starb.

"Er hatte ein gutes und zärtliches Herz: er liebte es zu lieben"

sagte Emilie über Voltaire.

"Ich habe nicht meine Mätresse verloren, sondern die Hälfte meiner selbst, eine Seele, die für meine Seele geschaffen schien"

sagte Voltaire über Emilies Tod.

"Ecrasez l’Infame!" - Kritik an der Kirche

Voltaire blieb zeitlebens unverheiratet, sein unkonventionelles Liebesleben sorgte nicht weniger für Aufsehen wie seine in rascher Folge erscheinenden Werke, in denen vor allem die Kritik an dem in Frankreich politisch sehr einflussreichen katholischen Klerus immer mehr Raum einnahm. "Ecrasez l’Infame" - Radiert sie aus, die Infame! (womit Voltaire die Kirche meinte) - wurde zu einer Art Schlachtruf. Niemand hat das klerikalisierte Christentum und andere Formen der institutionalisierten Religion mit solch beißendem Hohn, mit solchen Wogen aus Abscheu und Abneigung überschüttet wie Voltaire – der im übrigen durchaus kein Atheist war. Wenn es keinen Gott gäbe, müsste man ihn erfinden, sagte er oft. Aber er war gegen theologische Spekulationen, die zu nichts führten:

"Ist Gott an einem Ort oder außerhalb aller Orte oder zugleich an allen Orten? Ich weiß es nicht. Ist er körperlicher oder geistiger Natur? Woher soll ich das wissen?"

Voltaire

Und er lehnte jede Vertröstung aufs Jenseits ab, wollte das Leben hier und jetzt gefeiert und gewürdigt wissen: "Das irdische Paradies ist, wo ich bin."

Wichtigste Werke

Voltaires Gedanken finden sich in dichtester Form in seinem 1764 erschienenen "Dictionaire philosophique portatif" ("Philosophisches Taschenwörterbuch"), in dem er in alphabetischer Reihenfolge alle Begriffe erläutert, die ihm wichtig erschienen: Toleranz und Fanatismus, Gott, Vernunft, Seele usw. Voltaire wettert gegen eine allzu optimistische Weltdeutung, wie er sie bei den Philosophen Leibniz, Pope und Shaftesbury findet: dass das Übel in der Welt einen Sinn habe und dass Gott alles zum Besten lenke.

"Dieses System des ,Alles ist gut’ stellt den Schöpfer der Natur als einen mächtigen und bösen König dar, dem es gleichgültig ist, ob vier- oder fünfhunderttausend Menschen ums Leben kommen und ob die anderen ihre Tage in Not und Tränen dahinschleppen."

Voltaire

In seinem fünf Jahre vorher, 1759, erschienenem Roman "Candide" taumelt der gleichnamige Held von einer Katastrophe in die nächste und verliert alle Illusionen. Dennoch endet der Roman mit dem Fazit:

"Ich weiß … dass unser Garten muss angebaut werden …, denn wie Gott den Menschen in den Garten Eden setzte, setzte er ihn deshalb herein, … dass er ihn bebaute. Der beste Beweis, dass der Mensch nicht zur Ruhe geschaffen ist. Lasst uns arbeiten, ohne alle Vernünfteleien, … Das ist das einzige Mittel, sich das Leben erträglich zu machen."

aus: Candide

Freundschaft mit dem Preußenkönig

Die Gunst der Mächtigen war Voltaire alles andere als gleichgültig. Sein Interesse an der Politik war groß, er wollte die Herrscher Europas beeinflussen, korrespondierte mit Russlands Zarin Katharina der Großen und mit dem Preußenkönig Friedrich dem Großen. Dieser Briefwechsel dauerte 42 Jahre lang bis zu Voltaires Tod und gehört zu den ausdrucksvollsten des 18. Jahrhunderts. Die Tatsache, dass Friedrich den Wunschtraum Voltaires vom gerechten Herrscher als ausgeprägter Machtmensch nicht erfüllte, sorgte für Konfliktstoff, beeinträchtigte aber nicht das Interesse aneinander. Von 1750 bis 1753 lebte Voltaire am preußischen Hof, aber die persönliche Beziehung zwischen den beiden Männern gestaltete sich schwierig, es kam immer wieder zu dramatischen Zerwürfnissen - doch der Briefkontakt brach trotzdem nicht ab. Voltaire gehörte zu den größten Briefschreibern seiner Zeit - ein Meister der Ironie, der Doppelbödigkeit, auch im Umgang mit der Macht.

Rivale Rousseau

Der Philosoph und Schriftsteller Jean-Jacques Rousseau hatte einen ähnlich großen Einfluss auf das Denken seiner Zeit wie Voltaire, und er machte sich durch seine gesellschaftskritische Haltung ähnlich unbeliebt. Dennoch gab es Spannungen und Streit zwischen den beiden Denkern. Rousseau kritisierte nicht nur die Gesellschaft, sondern den Prozess der Vergesellschaftung schlechthin, und projizierte das Gute im Menschen auf einen Naturzustand zu Beginn der Menschheitsgeschichte zurück. Voltaire hielt die menschliche Kultur für unhintergehbar und die Suche nach einem reinen Ursprung für eine rückwärtsgewandte Illusion.

"Noch niemand hat so viel Geist leuchten lassen wie Sie in dem Bestreben, uns wieder zu Bestien zu machen; man bekommt beim Lesen Ihres Buches ordentlich Lust, wieder auf allen Vieren zu gehen. Da es indessen mehr als sechzig Jahre her ist, seit ich diese Gewohnheit abgelegt habe, ist es mir zu meinem tiefen Bedauern unmöglich, sie wieder aufzunehmen. … Auch zu den Wilden von Kanada kann ich mich nicht wohl einschiffen; einmal, weil meine Krankheiten, unter denen ich fast zusammenbreche, mich hier bei meinem Arzt, dem besten Europas, zurückhalten (die Indianer vom Missouri könnten mir diesen ärztlichen Beistand wohl kaum leisten); und dann wütet ja in jener Gegend augenblicklich der Krieg …"

In einem Brief an Rousseau

Trotzdem wurde Voltaire zornig, wenn Rousseaus Bücher verboten wurden. Er war für die Freiheit auch der Gedanken, die er nicht teilte.

Letzter Lebensabschnitt

Der luxusliebende Lebemann Voltaire musste zeitlebens Verfolgung und ständige Ortswechsel ertragen, und er litt darunter:

"Die Natur schafft uns schon genug Leiden. Da sollten uns die Menschen wenigstens verschonen. Dieses Leben ist ein ununterbrochener Kampf. Die Philosophie ist das einzige Pflaster für die Wunden, die einem von allen Seiten geschlagen werden. Die Philosophie heilt nicht, aber sie tröstet. Das ist schon viel."

Voltaire

Voltaires Landgut Ferney

1758 kaufte er sich im französischen Grenzgebiet bei Genf die Landgüter Ferney und Tournay und setzte sich dort zusammen mit seiner Lieblingsnichte Marie-Louise Denis, die seine Lebensgefährtin wurde, zur Ruhe. Doch wirklich ruhig war sein Ruhestand nicht. Voltaire schrieb nicht nur unermüdlich, sondern kämpfte auch gegen die mittelalterliche Justiz seines Landes und ihre barbarischen Strafmethoden, indem er den Verurteilten und ihren Familien zur Seite stand. So kämpfte er zum Beispiel für die posthume Rehabilitierung des 1762 grausam gefolterten und hingerichteten Protestanten Jean Calas, dem man völlig zu Unrecht unterstellt hatte, er habe seinen Sohn (der in Wirklichkeit Selbstmord begangen hatte) umgebracht, weil dieser katholisch werden wollte.

"Was gibt es Entsetzlicheres als ein geheimes Urteil, eine Verurteilung ohne Gründe? Gibt es eine verruchtere Tyrannei als die, nach Belieben Blut zu vergießen, ohne irgendwelche Gründe dafür anzugeben? Eine Begründung sei nicht üblich, sagen die Richter. Was für Ungeheuer! Es ist dringend nötig, dass das endlich üblich wird. Ihr seid den Menschen Rechenschaft schuldig für alles Menschenblut, das ihr vergießt!"

Voltaire

Krankheit, Tod, Begräbnis

Voltaire galt schon den Zeitgenossen als "Anwalt der Verfolgten". Auf seiner letzten Parisreise im Februar 1778 umjubelten ihn die Massen. Doch schon im Mai wurde er ernsthaft krank. Seine letzten Zeilen galten seinem Arzt:

"Der Patient der rue de Beaume hat Fieber. Sein irdischer Leib hat geschwollene Beine, auf denen sich rote Flecken zeigen. Er hat die ganze Nacht und auch jetzt noch unter krampfartigen Hustenanfällen zu leiden gehabt. Dreimal hat er Blut gespuckt. Er bittet um Verzeihung, dass er um eines Kadavers willen noch so viel Mühe verursacht."

Voltaire

Vier Tage später, am 30. Mai 1778, starb Voltaire. Die Behörden gaben den Zeitungen einen Wink, Nachrufe seien unangebracht, der Staat verweigerte ein Staatsbegräbnis, die Geistlichkeit eine kirchliche Bestattung. Voltaires Neffen brachten die Leiche heimlich nachts über die Pariser Stadtgrenze in die Champagne, wo die weniger engherzigen Mönche der Abtei Scelières über seinem Grab die Messe lasen. Der Abt wurde anschließend seines Amtes enthoben.


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