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Der letzte Friede vor Hitlers Krieg

Von: Volker Eklkofer / Sendung: Sabine Strasser

Stand: 23.09.2013 | Archiv

Das Münchner Abkommen: Der letzte Friede vor Hitlers Krieg

GeschichteMS, RS, Gy

Im September 1938 entscheidet sich in München das Schicksal der Tschechoslowakei. Mit der Abtrennung des Sudetenlandes glauben die Westmächte den Frieden zu sichern, tatsächlich motivieren sie Hitler zur Entfesselung des Zweiten Weltkriegs.

Tschechoslowakei - Vielvölkerstaat mit Minderheitenproblem

Nach dem Ersten Weltkrieg zerstückeln die Siegermächte das multiethnische Habsburgerreich und schaffen mit der Tschechoslowakei einen neuen Vielvölkerstaat. Tschechen und Slowaken bilden darin die Mehrheit, daneben gibt es starke deutsche und ungarische Minderheiten. Fast ein Viertel der Bürger der Tschechoslowakei sind deutschsprachig. Viele von ihnen beklagen einen Mangel an Gleichberechtigung und träumen von der Anbindung des Sudetengebietes (26.000 Quadratkilometer, mehr als drei Millionen Einwohner) an Deutschland oder Deutsch-Österreich. In den dreißiger Jahren macht sich die der NSDAP nahe stehende Sudetendeutsche Partei unter Führung Konrad Henleins diesen Wunsch zu eigen.

Hitler greift nach dem Sudetenland

Seit seinem Machtantritt 1933 eilt Adolf Hitler von Erfolg zu Erfolg. Die Westmächte akzeptieren die deutsche Wiederaufrüstung ebenso wie die Besetzung des entmilitarisierten Rheinlandes im Jahr 1936. Auch der Anschluss Österreichs im März 1938 wird hingenommen. Statt dem NS-Regime entgegenzutreten, entwerfen die Regierungen Großbritanniens und Frankreichs Beschwichtigungspläne und betreiben Appeasementpolitik. In ihren Ländern ist die Friedenssehnsucht groß, für einen Krieg sieht man sich nicht gerüstet.

Ab dem Frühjahr 1938 nimmt Hitler die Tschechoslowakei ins Visier. Er bemüht den Gedanken des Selbstbestimmungsrechts der Völker und spricht vom "Heimholen" der Sudetendeutschen. Tatsächlich will er sich ganz Böhmen und Mähren einverleiben. Sein Propagandaminister Joseph Goebbels streut Horrornachrichten von Übergriffen auf die deutsche Minderheit und entfesselt eine Propagandaschlacht. Auf dem Parteitag der NSDAP in Nürnberg spricht Hitler am 12. September von der "Unterdrückung" der Deutschen in der Tschechoslowakei und droht mit "schweren Folgen". Krieg liegt in der Luft.

Frieden um jeden Preis

Die Führungen Großbritanniens und Frankreichs betonen den Anspruch der Tschechoslowakei auf territoriale Integrität. Sie wissen, dass das kleine Land ohne ihre Hilfe chancenlos ist, wollen sich aber in einen bewaffneten Konflikt mit Deutschland nicht hineinziehen lassen. Premierminister Chamberlain spricht vom "quarrel in a far away country", einem Streit in einem fernen Land. Unterstützung erhält der konservative Politiker sogar von linken Pazifisten. So verwundert es nicht, dass Chamberlain Druck auf Edvard Beneš, den Präsidenten der Tschechoslowakei ausübt und verlangt, er solle sich mit der deutschen Minderheit arrangieren.

Chamberlain trifft sich - ohne Ergebnis - mit dem "Führer" am 15. September auf dem Obersalzberg. Eine Woche später wird in Bad Godesberg verhandelt. Berlin droht nun unverhohlen mit dem Einmarsch der Wehrmacht ins Sudetengebiet, Prag ordnet die Mobilmachung an.

Friedenskonferenz in München

Am 28. September erhalten Chamberlain und der französische Ministerpräsident Édouard Daladier eine Einladung zu einer Konferenz in München. Italiens "Duce" Benito Mussolini tritt als Moderator auf. Eine kleine tschechoslowakische Gesandtschaft ist der britischen Delegation zugeordnet, doch sie wird in einem Hotel einquartiert und ist bei den Verhandlungen nicht zugelassen. Hitler verspricht, das Sudetenland sei seine letzte territoriale Forderung ("Wir wollen keine Tschechen"). In der Nacht vom 29. zum 30. September wird eine Ausführungsbestimmung unterzeichnet. Sie sieht die Abtrennung des Sudetenlandes von der Tschechoslowakei und die Besetzung des Gebietes durch die Wehrmacht binnen zehn Tagen vor. Die verstümmelte Tschechoslowakei soll eine Grenzgarantie erhalten. Der Krieg scheint abgewendet.

Chamberlain und Daladier werden in ihrer Heimat von jubelnden Menschen empfangen. Der britische Premier schwenkt in London ein "von Herrn Hitler unterzeichnetes Papier" und kündigt "Frieden in unserer Zeit" an. Sein Rivale Winston Churchill spricht dagegen von einer "traurigen Wahl zwischen Krieg und Schande".

Im Sudetengebiet ist die Begeisterung ebenfalls groß. Hitler hat seinen größten diplomatischen Erfolg errungen, ist aber unzufrieden, weil seine Ziele (unter anderem Eroberung von "Lebensraum im Osten") viel weiter reichen.

Hitler-Deutschland bleibt aggressiv

Nach dem Anschluss gelten die NS-Rassengesetze auch im Sudetenland. Es kommt zur Massenflucht deutscher Emigranten. Viele Juden verlassen das Land, ihr Besitz wird "arisiert". 1930 lebten etwa 24.000 Juden im Sudetenland, Ende 1938 sind es noch 2.000 - in der Pogromnacht des 9. November haben sie schwer zu leiden. Schnell ist auch die politische Minderheit der Sozialdemokraten und Kommunisten ausgeschaltet, etwa 2.500 Personen landen im Konzentrationslager Dachau.

Missachtung des Münchner Abkommens

Auf deutschen Druck hin erklären die Slowaken am 14. März 1939 ihre Unabhängigkeit von der Tschechoslowakei. In der folgenden Nacht eröffnet Hitler dem verstörten tschechischen Staatspräsidenten Emil Hacha, dass deutsche Truppen auf Prag marschieren. Von der Prager Burg aus proklamiert der "Führer" am 16. März das Protektorat Böhmen und Mähren. Die Tschechen sind nun Vasallen des "Dritten Reichs" und dem Terror des deutschen Unterdrückungsapparates ausgeliefert.

Erst jetzt wird dem britischen Premierminister Chamberlain klar, dass es ein Fehler gewesen war, Hitler zu vertrauen. Eilig versuchen Briten und Franzosen eine Drohkulisse aufzubauen. Am 31. März geben sie der polnischen Regierung eine Beistandszusage. Auch Rumänien und Griechenland versprechen die Westmächte Schutz.

Hitler ist längst zu einer anderen Lagebeurteilung gekommen. Dass Großbritannien und Frankreich bei der Besetzung der "Rest-Tschechei" erneut nicht einschreiten, wertet er als Ausdruck ihrer Willensschwäche. Er glaubt freie Hand zu haben, um gegen Polen vorzugehen. Im September 1939 beginnt der Zweite Weltkrieg. Für die Sudetendeutschen endet er mit Flucht, Vertreibung und Ausweisung aus ihrer Heimat. Bayern wird Schirmland der Sudetendeutschen, man nennt sie heute den "vierten Stamm". Zur Erfolgsgeschichte Bayerns nach dem Zweiten Weltkrieg haben sie wesentlich beigetragen.


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