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Die Nürnberger Prozesse Das Thema

Stand: 15.11.2010 | Archiv

Akten des Internationalen Militärgerichtshofes Nürnberg | Bild: picture-alliance/dpa

Nach dem Zweiten Weltkrieg bot sich eine Bilanz des Schreckens: Mit dem deutschen Überfall auf Polen am 1. September 1939 hatte Adolf Hitler einen weltweiten Konflikt ausgelöst: Bis zum Kriegsende 1945 kamen über 55 Millionen Menschen um. Zur beispiellosen Liste der von den Nationalsozialisten begangenen Verbrechen zählen der Völkermord an europäischen Juden, an Sinti und Roma, die Ermordung Kriegsgefangener und die Versklavung und Ermordung von Zivilisten in den von Deutschland besetzten Gebieten.

Im Namen der Vereinten Nationen klagten die vier alliierten Siegermächte 24 führende Vertreter des nationalsozialistischen Regimes 1945/46 vor einem internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg an.

Dem Hauptkriegsverbrecher-Prozess folgten vor US-Militärgerichten in Nürnberg zwölf weitere Prozesse gegen Angehörige der Eliten des NS-Staats - gegen Politiker, Diplomaten, Unternehmer und Ärzte.

Vorgeschichte und Grundsätze

Im Januar 1943 erklärten der US-Präsident Franklin D. Roosevelt und der britische Premierminister Winston Churchill in Casablanca die bedingungslose Kapitulation Deutschlands zum Ziel des Krieges. Bald darauf bestätigte das auch der sowjetische Diktator Josef Stalin. Ende 1943 kündigten die drei alliierten Großmächte in Moskau an, sie würden die "Hauptkriegsverbrecher" bestrafen. Dass dies schließlich mit Hilfe eines Gerichtsprozesses geschah, war keineswegs selbstverständlich. So vertrat Churchill zunächst den Vorschlag, die Angehörigen der Führungsriege des NS-Staats für vogelfrei zu erklären, so dass ranghohe alliierte Militärs sie nach der Feststellung ihrer Identität standrechtlich hätten erschießen können.

"Verbrechen gegen die Menschlichkeit" - ein neues Konstrukt

Stattdessen wurden im Hauptkriegsverbrecherprozess vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg zwischen dem 20. November 1945 und dem 1. Oktober 1946 zum ersten Mal in der Geschichte Politiker, Militärs und Wirtschaftsführer für ihr Handeln im Rahmen einer Diktatur persönlich völkerstrafrechtlich zur Verantwortung gezogen. Die Anklagepunkte, welche die vier Alliierten - die USA, Großbritannien, Frankreich und die Sowjetunion - als Vergehen gegen das Völkerrecht im Statut des Internationalen Militärgerichtshofs festschrieben, lauteten: "Verbrechen gegen den Frieden", "Kriegsverbrechen" und "Verbrechen gegen die Menschlichkeit".

Als "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" definierte man Verbrechen an einer Zivilbevölkerung wie Mord, Ausrottung, Versklavung und Verschleppung und die Verfolgung aus rassistischen, religiösen oder politischen Gründen. Der Anklagepunkt "Verbrechen gegen den Frieden" beinhaltete die Planung, Vorbereitung, Einleitung oder Durchführung eines Angriffskriegs und die Beteiligung an einem gemeinsamen Plan oder an einer Verschwörung zu einem Verbrechen gegen den Frieden. Völkerrechtlich waren "Verbrechen gegen den Frieden" und "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" neue Strafnormen.

"Siegerjustiz" und neue Strafnormen

Kritiker warfen den Alliierten deshalb Siegerjustiz vor und den Verstoß gegen den Rechtsgrundsatz "nulla poena sine lege", zu deutsch "Ohne Gesetz, keine Strafe": Die Taten, die den Angeklagten zur Last gelegt wurden, seien zur Tatzeit nicht strafbar gewesen. Dem entgegen steht das Argument, die Anklagepunkte hätten dem entsprochen, was auch gemäß nationalen Gesetzen, wie den deutschen, ohnehin strafbare Verbrechen waren.


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