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Führerstaat Volksgemeinschaft und Führermythos

Eine ganze Gesellschaft war auf die Gefolgschaft zu einem Mann eingeschworen. Von Kindheit an prägten Erziehung und Propaganda die "Volksgenossen". Auch die Freizeit war fest in nationalsozialistischer Hand. Vor allem Hitlers Anfangserfolge ermöglichten die Entstehung eines Führermythos.

Stand: 22.07.2019 | Archiv

Wegbereiter, Wegbegleiter

Hitlers Politik als Reichskanzler war von Anfang an auf eine Expansion nach Osten gerichtet. In den ersten Jahren deckten sich seine Vorstöße gegen Bestimmungen des Versailler Vertrags durchaus mit den Zielen der traditionellen Eliten aus dem Kaiserreich, die die Bestimmungen von Versailles als Schande empfanden. Vor allem ihrer bereitwilligen Mithilfe in den Anfangsjahren hatte es Hitler zu verdanken, dass er als Neuling in der großen Politik rasch und effektiv seine Ideen in konkrete Pläne umsetzen konnte.

Beispiel Wirtschaftspolitik und Aufrüstung: Die Ausgaben für die Rüstung stiegen von 1,9 Mrd. Reichsmark im Jahr 1934 auf 18,4 Mrd. RM im Jahr 1938. Das Geld dafür war nicht wirklich da, doch Hjalmar Schacht, Finanzgenie aus Weimarer Zeit, war Reichsbankpräsident und erfand eine Art Geldmaschine. Die funktionierte über gut getarnte und gut verzinste Wechsel und war für das Ausland kaum durchschaubar. Gewaltige Summen flossen auf diese Weise in die Rüstung - alles finanziert auf Pump. Der einzige Haken: Diese so genannten Mefo-Wechsel würden eines Tage fällig. Und woher das Geld dann nehmen? Im Januar 1939 verlor Schacht darüber endgültig die Nerven und nahm seinen Abschied als Reichsbankpräsident.

Nur noch Rüstung zählt

Seit 1936 war Hermann Göring verantwortlich für den so genannten Vierjahresplan. Der sollte dafür sorgen, dass die Wirtschaft binnen vier Jahren kriegsfähig wäre. Das hieß, zum Kriegsbeginn musste sie autark sein, also möglichst auf Selbstversorgungsbasis funktionieren, um nicht von Importen aus feindlichem Ausland abhängig zu sein. Die Folge: Alle Engpassfaktoren wie Rohstoffe, Devisen und Arbeitskräfte unterlagen nun staatlicher Koordination. Eine Kosten- Nutzenrelation spielt keine Rolle mehr. Nur noch die Rüstung zählte.

Hitler selbst war sich indessen darüber klar: Ohne baldige Erlangung von Lebensraum drohte dem Reich der wirtschaftliche Zusammenbruch. Wenn die Wechsel nicht bezahlt werden können, wenn immer mehr Panzer gebaut werden, die nichts erobern, kommt das Aus. Dazu stagnierte inzwischen der Lebensstandard der Bevölkerung. Zu viel Geld verschwand in bislang unproduktive Rüstungsgüter. Die Rüstungspolitik diktierte inzwischen den Weg in den Raubkrieg.

Zivile Mobilmachung

Parallel zur militärischen Aufrüstung verlief eine immer straffere Organisierung und Militarisierung der Bevölkerung. Zur „Volksgemeinschaft“ der NS-Ideologie gehörten alle Volksgenossen, die durch biologisches Erbgut und Rassenzugehörigkeit Hitlers Vorstellungen von deutschem Blut erfüllten. Die Idee der Volksgemeinschaft versuchte, die alten gesellschaftlichen Unterschiede wie familiäre Herkunft, Bildung, Beruf oder Einkommen aufzuheben. Zwar verbanden weite Kreise der Bevölkerung mit der Idee der Volksgemeinschaft die Erfolge der ersten Jahre der Regierung Hitlers, vor allem die Beseitigung der Arbeitslosigkeit. Dafür mussten sie allerdings hinnehmen, dass es praktisch keinen Lebensbereich mehr gab, in dem das Regime nicht steuerte und verpflichtete. Schon 1933, im Jahr der Machtergreifung, stellte Joseph Goebbels sein Programm für Gemeinschaftsurlaube vor:

"Es handelt sich darum, den Feiertag zu organisieren, und zwar von der Erkenntnis ausgehend, dass ein Staat, der wirklich mit dem Volke identisch und verbunden ist, das Volk niemals sich allein überlassen soll. Sondern, dass der Staat nicht nur die Arbeit, sondern auch den Feiertag organisieren muss."

Joseph Goebbels

Die Liste der nationalsozialistischen Feiern für die Bevölkerung war lang und erstreckte sich über das ganze Jahr. Fackelzüge, Heldengedenktag, Führers Geburtstag, Sommersonnenwende, Blutzeugen der Bewegung und ähnliches mehr. Besonders die Jugend war dabei im Visier des Regimes: Am 30. Januar, dem Gedenktag der Machtergreifung, wandte sich Goebbels in einer Rede an die Schuljugend. Am Vorabend vor Hitlers Geburtstag am 20. April fand der Aufnahmeappell der Zehnjährigen ins Jungvolk statt, der Organisation, die die Kinder auf die Hitlerjugend vorbereitete. Am 9. November, dem Gedenktag des Hitlerputsches in München 1923 wurden die Heranwachsenden der HJ in die NSDAP übernommen, gleichzeitig nächtliche Treueschwüre des SS-Nachwuchses.

Interessant ist die Aussage des Hitler-Attentäters Georg Elser bei einer Gestapo-Vernehmung im November 1939. Als Gründe für seinen Attentatsversuch gab er unter anderem an: „Der Arbeiter kann z.B. seinen Arbeitsplatz nicht mehr wechseln wie er will, er ist heute durch die HJ nicht mehr Herr seiner Kinder.“

Neben dem Elternhaus und der Schule sollte die Hitlerjugend die einzige Erziehungsinstitution sein. Dort ging es um körperliche Ertüchtigung und politische Schulung, um Drill, Ordnungsliebe, Gemeinschaftserlebnis, Ehrgeiz und Härte im Nehmen. Die Jungen blieben bis zum 18. Lebensjahr in der HJ, die Mädchen bis zum 21. im Bund Deutscher Mädel, BDM. Nach der HJ ging es für die jungen Männer weiter in den Reichsarbeitsdienst. Das hieß sechs Monate lang Wälder aufforsten, Wege bauen, Hilfsarbeiten beim Autobahnbau. Wecken 4.45 Uhr, Dienstende 21.30 Uhr, oft in völliger Erschöpfung. Ein Bericht der Exil-SPD über ein Lager im Erzgebirge: „Es bleibt dem durch übermäßige körperliche Anstrengung stumpf gemachten jungen Menschen 25 Pfennig pro Tag - ein Glas Bier kostet 30.“

Nach dem Reicharbeitsdienst gingen die Männer meist übergangslos zum Wehrdienst.

Führerstaat

Eine ganze Gesellschaft - von den Spitzen bis ins letzte Glied wurde auf die Gefolgschaft zu einem Mann eingeschworen, der sich seit dem Tod des Reichspräsidenten Hindenburg im August 1934 „Führer und Reichskanzler“ titulierte. Als bis 1938 die traditionellen nationalkonservativen Eliten, die Hitlers Anfangsjahre als Kanzler ermöglicht hatten, zunehmend an Einfluss verloren, verstärkte sich der Ansatz zum Phänomen Führerstaat. Typisch für den Führerstaat war vor allem der fortschreitende Abbau von mäßigend wirkenden Politikkontrollen wie regelmäßigen Kabinettssitzungen oder Beratungen mit den Chefs der Fachministerien.

Hitlers eigene NSDAP-Spitzen trugen zwar selbst bisweilen Bedenken, ob Pläne und Initiativen Hitlers nicht zu riskant seien, doch letzten Endes waren sie stets loyal und vertrauten auf ihren Führer. Gleichzeitig wuchs ein Kult um seine Person, der Zweifel an seinen Fähigkeiten nicht aufkommen ließ. Schon nach 1933 wuchs der Führermythos durch spektakuläre Propaganda-Inszenierungen, aber vor allem auch durch den deutlichen Rückgang der Arbeitslosigkeit und durch Hitlers Erfolge beim unbeirrten Risikokurs gegen die Bestimmungen des Versailler Vertrags. Zunehmend wuchs der Eindruck bei Hitler selbst und seinen Anhängern, er stünde im Bund mit der Vorsehung. Hitler hatte die Vision vom Lebensraum im Osten schon in jungen Jahren aufgegriffen und seitdem rigoros verfolgt. Nun, mit dem Überfall auf Polen am 1. September 1939, war das Pulverfass gezündet.


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