Sehnsucht nach einer gerechten Welt Das Thema
Im Herbst leben strenggläubige Juden eine volle Woche lang in einer selbst gezimmerten Hütte unter freiem Himmel. Das Dach ist mit grünen Zweigen oder Palmwedeln gedeckt, durch die man nachts den Sternenhimmel sehen kann. Das Laubhüttenfest (Sukkot) soll an die Wüstenwanderung erinnern: Gott beschützt sein Volk auch auf gefährlichen Wegen. Und dient gleichzeitig als Warnung, sich zu behaglich in geordneten Verhältnissen einzurichten: Plötzlich ergeht der Ruf ins Ungewisse.
Wenn Juden heiraten, wird ein Ehevertrag in altertümlichem Aramäisch - aber heute oft mit sehr partnerschaftlichen Formulierungen - verlesen. Braut und Bräutigam trinken aus demselben Becher und bekommen einen tallit, einen Gebetsschal, über Kopf und Schultern gelegt: Sie stecken von nun an unter einer Decke. Wenn es zu einem Scheidungsverfahren kommt, wird keine schmutzige Wäsche gewaschen, Schuld oder Nichtschuld sind uninteressant. Die "koschere" (für den Verzehr taugliche) jüdische Küche achtet auf die Trennung von Milch- und Fleischprodukten und verwendet nur das Fleisch korrekt (das heißt blitzschnell und nahezu schmerzlos) geschächteter Tiere. Die rabbinische Tradition steht dem Essen von Fleisch überhaupt skeptisch gegenüber: Tiere verdienen als Geschöpfe Gottes Schutz und Mitgefühl, und die Schabattruhe gilt auch für Ochsen und Esel in der Landwirtschaft.
Jüdisches Brauchtum - Beinahe ausgerottet
15 Millionen Jüdinnen und Juden gibt es heute auf der Welt. Doch hierzulande kennt kaum jemand eine jüdische Familie, ihre Gebräuche und Glaubensüberzeugungen – makabre Langzeitwirkung des fast perfekt gelungenen Ausrottungsprogramms der Nazis. Giora Feidman mit seiner Klezmer-Musik und jüdische Bestsellerautoren wie Joseph Roth und Isaac B. Singer stoßen auf begeistertes Interesse; aber der Journalist Henryk M. Broder macht die boshafte Rechnung auf: „Je knapper das menschliche Angebot, desto größer die kulturelle Nachfrage.“ Deshalb liefert die Sendung Basisinformationen, führt in eine fremd gewordene geistige Welt ein und beantwortet häufig gestellte Fragen: Was macht ein Rabbiner? Was geschieht in der Synagoge? Welchen Zweck haben die merkwürdigen Speisevorschriften? Haben die Juden den Monotheismus erfunden? Warum standen sich Juden und Christen zeitweise so unversöhnlich gegenüber?
Verfolgt über Jahrtausende
Der Autor Christian Feldmann interessiert sich vor allem dafür, warum das jüdische Volk alle Katastrophen und Verfolgungen überlebt hat und warum es heute noch mit einem trotzigen Vertrauen auf den Messias wartet. Juden stellen dem Herrn des Himmels, der die Pogrome des Mittelalters und den Genozid in Auschwitz und Treblinka nicht verhindert hat, unerbittliche Fragen – und lassen sich den Glauben an ihn nicht austreiben. Es gibt die alte Tradition von der schechina, der Herrlichkeit Gottes, die mit seinem geschändeten Volk ins Exil zieht, und die biblische Geschichte von Ijob, der dem so grausam ungerechten Schöpfer die Stirn bietet. Und siehe da, Gott gibt dem Rebellen Ijob Recht – und lässt seine neunmalklugen Freunde mit ihren spitzfindigen theologischen Beweisführungen abblitzen.
Singend in die Gaskammern
Die Nachkommen der ostjüdischen Chassidim, der sinnenfrohen Mystiker aus Polen und Litauen, betraten die Gaskammern der KZs ohne Furcht, mit dem Lied des Maimonides auf den Lippen: „Ich glaube, auch wenn der Messias zögert zu kommen!“ Aber Chassidim waren es auch, die in Auschwitz zu einem Gericht über Gott zusammentraten und ihn, der zum Mord an seinen Kindern schwieg, streng nach dem rabbinischen Gesetz schuldig sprachen.
Den Messias herbeizwingen
Weit entfernt, die Verantwortung für alle Gemeinheiten der Welt dem Schöpfer allein aufzubürden, behaupten weise Rabbiner seit Jahrhunderten, die Menschen seien imstande, den Messias herbeizuzwingen, wenn sie nur endlich eine gerechte, menschenwürdige Welt fertig brächten.
"Nicht Gott entscheidet, wann der Messias kommt, sondern der Mensch. Wenn wir die Welt so verändern, dass sie bereit und es wert ist, dann wird der Messias kommen. Gott erschuf die Welt, und unsere Aufgabe ist es, sie wiederherzustellen und zu erlösen."
Talmudgelehrte und Romancier Elie Wiesel (Friedensnobelpreis 1986)