Ende der Welt - Die tägliche Glosse Birkenstock als Kunst - Form follows Fussbett
Von wegen Öko-Jesus-Müsli-Latschen. Die Birkenstock-Sandale hat gerade einen Lauf – als Kultschuh auf Laufstegen, in Filmen, an Promifüßen. Um sich vor Produktkopien zu schützen, will der Hersteller die Latsche als Kunstwerk anerkennen und schützen lassen. Aber – kann eine hässliche Sandale überhaupt Kunst sein? Eine Glosse von Michael Zametzer.
Der Bundesgerichtshof fällt heute eine Entscheidung, die dramatischer nicht sein könnte für unsere Gesellschaft, unser Kulturleben, unsere Idee von künstlerischem Schaffen. Es geht um die Frage, ob die Birkenstock-Sandale ein Kunstwerk ist oder nicht. Hintergrund: Der einst als hässlichster Auswuchs der Öko-Bewegung der 70er Jahre gescholtene Schuh ist bei weitem mehr als eine banale Sandale. Aktuell erlebt er weltweit einen Hype, hat einen Lauf, sozusagen. Wird geadelt von Mode, Showbiz, Film und Influencertum.
Diese Beliebtheit wollten sich andere Händler zunutze machen und ließen in China Billig-Treter herstellen, die dem Original verblüffend ähnlich sind. Um dem zu begegnen, möchte Birkenstock seine Sandalen künftig als urheberrechtlich geschützte Werke der angewandten Kunst anerkennen lassen. Das böte Markenschutz für mindestens 70 Jahre. Wäre der Schuh ein schlichter Design-Artikel, wäre der schon nach 25 Jahren erloschen. Ist der Birkenstock-Sandale also ein Kunstwerk? Ich sage: Ja! Selbstverständlich! Kunst hat ja nichts mit Schönheit zu tun.
Der Erfinder der Birkenstock-Sandale, Karl Birkenstock, heute 82 Jahre alt, gilt nicht umsonst als Begründer des heute weltweit anerkannten Design-Prinzips: Form follows Fußbett. Und schon das Fußbett der 1963 erfundenen Birkenstock-Sandale an sich ist als künstlerische Meisterleistung anzusehen: allein das kecke Spiel mit der Materie, sei es Kork, Gummi oder Leder. Ein über mehrere Jahre getragenes Modell „Madrid“ beispielsweise bekommt mit der Zeit eine schimmernde, in unzähligen, changierenden Brauntönen glänzende Patina, gerade im Grenzbereich der orthopädischen Vertiefungsmulden um den Zehenbereich herum. Hier hat der Menschliche Körper selbst, in Gestalt des großen Zehs, durch beharrliches Schaben, Wetzen, Fußschweißeinwirken direkten Einfluss auf das Werk, gestaltet mit, vom Nagel bis zum Zehenhaar.
Die Birkenstock-Sandale
So ist Birkenstock per se Kunst am Zeh: Was wir beim Blick auf den Sandalenfuß des Mitmenschen sehen, gemahnt uns an die Endlichkeit des Lebens, ist quasi das podologische memento mori des aufrechten Gangs: Durch die unverbaute, schonungslose Sicht auf eingewachsene Nägel, Nagelbettentzündungen, Nagelpilze lernen wir die Fragilität des Körpers kennen. Und das imposante, bei jedem Schritt angehobene Schrundenwerk in der Fersengegend spielt mit Anleihen an die zerklüftete Urgewalt alpenländischer Faltengebirge und trägt den Schöpfungsgedanken damit in sich. Wenn das nicht Kunst ist, was dann?
In jedem Fall kann die wohlverdiente Erhebung der Birkenstock-Sandale in den Kunstolymp nur der erste Schritt sein, hin zur übergesellschaftlichen Identifikationslatsche: Und hier ist die Politik gefragt. Denn: die Birkenstocksandale hat zweifellos das Zeug zum Deutschen Einheits-symbol Wer so eine Abscheulichkeit ungestraft in aller Öffentlichkeit tragen kann, weiß, dass er in einem demokratischen Rechtsstaat lebt.
Die Birkenstock-Sandale würde so zu einer Art Freiheitsstatue der Bundesrepublik! Apropos: jetzt raten Sie mal, was die Eiserne Lady vor New Yorks Toren wohl an ihren französischen Füßchen trägt? Genau. Sandalen. In Größe 879. Wenn das kein Zeichen ist.