Bayern 2 - Die Welt am Morgen


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Ende der Welt - Die tägliche Glosse Brücken, Lücken und Tücken

Schon wieder ein Brückeneinsturz, diesmal in Dresden. Ausweis fürs Knirschen im Gebälk oder doch ein Zeugnis heimischer Ingenieurskunst? Jedenfalls sollte die Fähigkeit, Brücken zu bauen, in keinem politischen Portfolio fehlen. Eine Glosse von Gregor Hoppe.

Von: Gregor Hoppe

Stand: 13.09.2024

Der unvorhergesehene Einsturz der Carola-Brücke in Dresden hat nicht nur die Debatte um die ach so marode Infrastruktur in Deutschland befeuert, sie schürt auch die ernsthaftesten Zweifel an der Deutschen Ingenieurskunst an sich. Dem ist allerdings entgegenzuhalten, dass besagte Brücke nur ganz kurz vor einer bereits anberaumten Generalsanierung die Grätsche machte. Das kann man als Baufälligkeit auslegen. Man könnte aber auch sagen, dass die Carolabrücke fast so lange aushielt wie vorgesehen. Und das klingt schon viel erfolgreicher. Da Gottseidank keine Menschen zu Schaden kamen, darf man wohl betonen, dass Carola und Corona nicht das Gleiche sind.

Der Brücke Namensgeberin, Carola von Wasa-Holstein-Gottorp, war nicht nur die letzte Königin Sachsens, sondern steht qua Abstammung auch für Internationalität, Offenheit und Toleranz. Zudem war sie – wie es sich zu ihren Lebzeiten für vermögende Damen von Adel gehörte – eine Wohltäterin von hohen Graden. Ihr karitatives Engagement schloss die Neubegründung sozialer Einrichtungen ebenso ein wie den Aufbau von Schul-, Ausbildungs- und Pflegeanstalten. Die Förderung der Benachteiligten lag ihr am Herzen, sie förderte die Kinder- und Frauenvereine ebenso wie die Krankenpflege und die Hilfe für Kriegsversehrte. Eine Carola-Medaille wurde gestiftet für hilfreiche Nächstenliebe, wie auf der Rückseite der Medaille verzeichnet steht. Eine unermüdliche Vermittlerin zwischen gesellschaftlichen Gruppen und Klassen könnte Königin Carola heißen.

Aber dreht sich das politische Ringen in einer Ära des gruppendynamischen Mitnehmens, des Menschen-Abholens nicht auch um den Brückenbau, der die gegenüberliegende Seite des Grabens erreicht?

Natürlich fällt es Königinnen etwas leichter als Normalbürgerinnen, großzügig dem Volk beizustehen. Aber dreht sich das politische Ringen in einer Ära des gruppendynamischen Mitnehmens, des Menschen-Abholens nicht auch um den Brückenbau, der die gegenüberliegende Seite des Grabens erreicht? Das macht Überwege dort, wo Abgründe trennend zwischenliegen, zu emotional sehr aufgeladenen Bauwerken. Der Pontifex Maximus, der oberste Brückenbauer, ist nicht nur der Ehrentitel des neuzeitlichen Papsttums, nein, er war schon in der Antike der Oberpriester des Römischen Staatskults. Brückenschlagen ist also seit Urzeiten die unverzichtbare Fähigkeit für Staatsvertretung und den politischen Wettbewerb. Natürlich besteht die Gefahr, dass manche dabei vor lauter Brückenbegeisterung den eigenen Standpunkt drangeben und den vorher gegnerischen annehmen. Aber beständig ist nur der Wandel: Heute sorgen sich Deutsche auf zwei Elbufern um die Carola-Brücke. Für den ollen Adenauer fing östlich der Elbe schon Russland an.


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