Ende der Welt - Die tägliche Glosse Das Rätsel vom rasenden Hallenbad
Rasender Verkehr in Kirchseeon: Ist das rasant renovierte Hallenbad der Grund? Oder doch die Weisheiten der buddhistischen Kampfmönche? Eine Glosse von Severin Groebner.
Ich weiß, werte Hörerinnen und Hörer, wenn man jemanden - so wie Sie gerade mich - österreichisch sprechen hört, denkt man sich als deutsches, Auto fahrendes Wesen: „Was muss ich jetzt wieder bezahlen?“ Denn der Österreicher gilt in Deutschland als Wegelagerer, der einem Geld abnimmt. Und das nur weil man nach Italien will, wo das kleine Bier zehn Euro kostet.
Dabei gibt es diese Art der Geldentfernung auch in Bayern. Die Gemeinde Kirchseeon, in Richtung Ost-Süd-Ost von München gelegen, hat zum Beispiel vor einem Jahr einen Blitzer aufgestellt. Hinter einem Kindergarten plaziert, registrierte das Gerät zwölf Monate lang alle Autos, die mit überhöhter Geschwindigkeit vorbei brausten. Und das waren im vergangen Jahr immerhin 34 500. Wodurch die Gemeinde über eine Million Euro eingenommen hat.
Da fragt man sich doch: Warum haben es die Menschen in und um Kirchseeon so eilig? Sind es vielleicht gestresste Eltern, die ihren Nachwuchs vom erwähnten Kindergarten schnell abholen wollen? Rasen also die Elterntaxis durch den Ort, weil sie fürchten, dass ihre Kinder unter die Räder von einem dieser Raser kommen könnte?
Eine kurze Recherche auf Google-Maps lässt aber noch andere Möglichkeiten für erhöhten Geschwindigkeitsbedarf zu: Gibt es doch in Kirchseeon sowohl eine Agentur für Hochzeitsevents als auch einen Platz, an dem man sich die Karten legen lassen kann. Vielleicht donnern die Menschen von der Organisation des schönsten Tag im Lebens zu jener Person, die ihnen hoffentlich sagen kann, ob sich diese Ausgaben überhaupt lohnen werden? Oder kommen die Menschen von der örtlichen Physiotherapie und sind deshalb so entspannt, dass sie in völliger Ruhe das Gaspedal durch drücken? Oder liegt es an Kirche und Tatoo-Studio, die am Weg liegen? Weil sich die Fahrer vor der Messe schnell noch Weisheiten von buddhistsichen Kampfmönchen unter die Haut ritzen lassen wollen?
Das ist gelebte… nein… erfahrene Solidarität
In diesem rasenden Geldsegen für die Gemeinde liegt das ganze Rätsel des ländlichen Kleinstadt-Lebens vor uns ausgebreitet. Es ist wie ein oberbayerisches Twin Peaks. Nur heißt es nicht: „Wer tötete Laura Palmer?“, sondern: „Wer finanziert die Renovierung vom Hallenbad?“ Was ja weitaus freundlicher ist.
Und vielleicht ist das auch genau das Geheimnis. Denn wer das Gemeinwesen offen unterstützt, gilt ja in Zeiten des egomanischen Turbokapitalismus quasi schon als verrückter Kommunist. Wer aber wie ein Pavian auf Koks mit seinem Auto durch die Gegend donnert, ist ein wertvolles Mitglied der Gesellschaft. So sind die schlauen Menschen in und rundum Kirchseeon drauf gekommen, wie man so tut, als wäre man ein angesehener Autoraser, dabei aber heimlich etwas für die Allgemeinheit spendet. Das ist gelebte… nein… erfahrene Solidarität. Deshalb reisen die Deutschen auch so gerne nach Italien. Weil sie Österreich ein bißchen unterstützen wollen.