Bayern 2 - Die Welt am Morgen


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Ende der Welt - Die tägliche Glosse Der Dings hat jetzt einen Namen: Alexinomia

Namen sind wie Schall und Rauch? Von wegen. Menschen brauchen Namen. Aber was ist dann mit all den Mäuschen und den Bärchen. Wir warnen vor zu viel Kosenamen! Eine Glosse von Wolfram Schrag.

Von: Wolfram Schrag

Stand: 28.01.2025

Hallo, schon lange nicht mehr gesehen. Wie geht’s dir denn so? Was macht die Familie? Schluck! Eben noch war es eine Party wie jede andere. Man kennt Menschen oder auch nicht. Alles ist entspannt und locker. Und jetzt steht der Typ mir gegenüber und spricht mich mit Namen an. Der Smalltalk beginnt, doch entspannt ist gar nichts mehr. Denn parallel zum Redefluss läuft die Endlosschleife: Wie heißt der, der Dings? Ich müsste ihn kennen. Ich habe ihn immer wieder gesehen. Aber jetzt ist der Name wie gelöscht, er fällt mir nicht ein. Dabei wissen wir alle: Namen sind nicht nur Schall und Rauch. Ganz im Gegenteil: Ohne Namen gibt es kein soziales Leben, erst mit Namen wird der Mensch zum Individuum. Hey, du, ich meine dich! Ich will was von dir, was Schönes, ein Gespräch, vielleicht mehr. Schau mir in die Augen, Kleines, säuselte Humphrey Bogart. So weit so gut.

Mögen die menschlichen Schwächen oder Unzulänglichkeiten auf einer Party noch durchgehen, problematisch wird das Ganze, wenn man den Namen kennt, sich aber nicht traut, ihn auszusprechen. „Hei Spatzl, hörst“, das mag liebevoll gemeint gewesen sein. Vielleicht hatte der Monaco Franze in der gleichnamigen Fernsehserie aber in Wirklichkeit ein Problem, von dem wird erst nach 40 Jahren erfahren.

Alexinomia. Das bedeutet wörtlich: Keine Worte für Namen

Und wer immer nur Bärchen oder Mäuschen genannt wird, sollte mal genau hinhören. Aber hallo, vielleicht habe ich ja auch einen richtigen Namen? Egal ob Hubert, Markus oder Hildegard.

Dankbar sind wir den Forschenden der privaten Sigmund Freud Uni in Wien. Die haben nämlich in Interviews das ganze Thema tief durchdrungen. Und sie haben Menschen gefunden, die in Ehrfurcht vor Vornamen erstarren und diese nicht aussprechen können. Sie fühlen sich bloßgestellt, fast panisch, meinen sie würden zu Unrecht den Menschen zu nahe zu kommen. Ein Hallo oder Hi genügt ihnen am Anfang. Und wenn sie sich dann doch näherkommen, flüchten sie sich lieber in Kosenamen. Der Fachbegriff dafür lautet Alexinomia. Das bedeutet wörtlich: Keine Worte für Namen. So weit so kompliziert. Was folgt daraus: Ganze Jugendromane müssen vielleicht neu geschrieben, zumindest neu gedacht werden. Dort wimmelt es nur so von Spitznamen. Und nicht wenige dachten bisher: Wer einen Spitznamen hat, gehört dazu. Und wer keinen hatte, sie wissen schon. Dank der Forschung zu Alexinomia, ist das vielleicht ganz anders. Die trauten sich nur nicht, die richtigen Namen zu sagen. In Wirklichkeit sind die aus dem innersten Kreis ganz arme Würstchen.

Doch kommen wir noch mal zurück zur Party. Diese ist längst vorbei. Man hat sich amüsiert, der fehlende Name ist in den Hintergrund getreten. Auf dem Heimweg, weit weg von jeder Wichtigkeit, macht es plötzlich Ping: Klar, das war Moritz, wer sonst.


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