Ende der Welt - Die tägliche Glosse Lob auf die Stammkneipe
Wenn Politiker Einladungen in ihre Stammkneipe aussprechen, kann das hochpolitisch werden. Es lauern Gefahren, die wir noch nicht ahnten. Eine Glosse von Wolfram Schrag.
Es gibt Einladungen, die überhört oder übersieht man geflissentlich. Das kann an den Gastgebern liegen: Ach nee, wirklich nicht. Die sind immer so anstrengend und dann doch tröge. Es kann auch an der Location liegen: Soll ich da jetzt drei Stunden wie ein Pinguin rumstolzieren oder mir mit maximaler Lautstärke die Ohren volldröhnen lassen? Oder am Gesamteindruck: Gastgeber und Lokalität: Nein Danke!
So oder ähnlich dachte vielleicht auch Carsten Linnemann, CDU-Generalsekretär, und vor allem in Wahlkampfzeiten der Herr der Termine des Kanzlerkandidaten Friedrich Merz. Was war geschehen? Da hatte der neue Co-Vorsitzende der Grünen, Felix Banaszak, ein persönliches Treffen zwischen ihm und Friedrich Merz angeregt. Beide sind Bundestagsabgeordnete und Parteivorsitzende, aber ein Bier hätten sie bislang noch nicht getrunken. Und deswegen sprach Banaszak eine herzliche Einladung aus. Sie sollten sich in seiner Stammkneipe in Duisburg treffen. Linnemann reagierte mit dem klaren Dementi: Ein Treffen ist nicht geplant, anderslautende Berichte seien schlicht falsch. Diese Worte könnten auch aus der CSU-Parteizentrale stammen. Aber das ist eine andere Geschichte.
Womit wir wieder bei der Einladung wären. Es überrascht zunächst einmal, dass ein Kneipenbesuch so viel politische Unruhe auslöst. Wir denken an Peter Alexander, der mit seinem Wiener Schmäh in den 70ern die Kneipe in unserer Straße besang, wo das Leben noch lebenswert ist. Der heute 69-jährige Friedrich Merz hat Peter Alexander sicher schon damals im Fernsehen angeguckt. Und damit waren ihm die Sorgen vor Kneipen schon genommen. Aber vielleicht ist es ja doch unheimlich?
So viel Nähe zum Volk ist schon schwer zu greifen
Wir könnten eher umgekehrt fragen: Der 35-jährige Felix Banaszak hat eine Stammkneipe, und dann auch noch in Duisburg? Echt, geht’s noch? Ein Grüner im Bierdunst? Zwischen Leber und Milz passt immer noch ein Pils. Und dann geht man nach draußen und raucht eine unter dem Heizpilz.
So viel Nähe zum Volk ist schon schwer zu greifen. Da könnte ja was Unerwartetes passieren, sagt man sich in der CDU-Zentrale. Deshalb meide man besser alles, was mit Stamm zu tun hat: Egal ob Stammzelle, Stammstrecke oder Stammkneipe: Gefahren über Gefahren. Und vielleicht ist es ja auch gar keine echte Kneipe. Das weiß man bei Grünen-Vorsitzenden ja nie so genau. Vielleicht gibt es ja auch nur Ingwer-Tee oder hausgemachte naturbelassene Säfte, draußen brummt die Wärmepumpe und drinnen soll man sich über die zukünftige Politik unterhalten. Die Bedienung kommt, bringt die Getränke und legt zwei Bierdeckel hin. Und dann fragt der Gastgeber doch glatt: Und, Herr Merz, wann machen wir die Steuererklärung auf dem Bierdeckel, wie Sie das schon 2003 vorgeschlagen haben? Der Dunst lichtet sich: Bloß keine Bierdeckel in Stammkneipen!