Ende der Welt - Die tägliche Glosse Rawdogging
Jetzt sind die Löcher weg, die Luft raus und der Trend da, nämlich der zum „Rawdogging“, besser bekannt als Abschalten bei offenen Augen. Ja, wer seine Luftlöcher aus der Schulzeit noch hätte, der könnte sie jetzt ins Netz stellen und damit massenhaft schmeichelhafte Kommentare einheimsen. Alle anderen müssen ins Flugzeug steigen und mindestens sieben Stunden die Rückenlehne des Vordermanns fixieren, um bei „Rawdogging“-Fans wirklich ernst genommen zu werden. Aber dabei auf gar keinen Fall an was Schönes denken, das könnte ablenken. Eine Glosse von Peter Jungblut.
Wir alle kennen das ja: Kaum haben wir was weggeworfen, wird es dringend gebraucht. Hätte uns doch jemand sagen können, dass wir mit all den Löchern, die wir in die Luft gestarrt haben, sei es im Mathematikunterricht, im Fahrstuhl oder im Wartezimmer, eines Tages noch richtig Eindruck schinden können. Jetzt sind die Löcher weg, die Luft raus und der Trend da, nämlich der zum „Rawdogging“, besser bekannt als Abschalten bei offenen Augen.
Ja, wer seine Luftlöcher aus der Schulzeit noch hätte, der könnte sie jetzt ins Netz stellen und damit massenhaft schmeichelhafte Kommentare einheimsen. Alle anderen müssen ins Flugzeug steigen und mindestens sieben Stunden die Rückenlehne des Vordermanns fixieren, um bei „Rawdogging“-Fans wirklich ernst genommen zu werden. Aber dabei auf gar keinen Fall an was Schönes denken, das könnte ablenken. Besser die Relativitätstheorie anzweifeln, Gästelisten anfertigen oder Hochzeitstermine verschieben. Hauptsache, der Blick geht ins Leere und der Kopf schlendert hinterher.
Ungefährlich ist das natürlich nicht, wie schon Friedrich Nietzsche wusste. Der machte die furchteinflößende Erfahrung, dass jeder Abgrund zurückblickt, in den man zu lange hineinschaut. Der sieht dann aus wie Sahra Wagenknecht und macht genauso schwindlig, fragen Sie die CDU oder irgendjemand anderen, der beruflich auf „Rawdogging“ angewiesen ist. Nur so kann Friedrich Merz die Umfragen überhaupt aushalten. In dem Moment, wo er seine Augen auf ein Problem richten würde, wäre die ganze Konzentration futsch und nicht mehr er, sondern seine Wähler kämen in den Genuss der jetzt so angesagten inneren Leere.
„Rawdogging“ ist kein russisches Lehnwort
Wenn nicht alles täuscht, verlässt sich auch Olaf Scholz mehr und mehr auf „Rawdogging“, bedauerte allerdings, dass das noch keiner gemerkt habe. Von all seinen Wohltaten sei den Wählern nämlich nur der Diskussionsprozess, nicht jedoch das, was damit bewirkt worden sei in Erinnerung geblieben, so der Kanzler bei einem Bürgerdialog.
Da stellt sich die Frage, wer das Loch in die Ampel gestarrt hat, in dem die SPD verschwunden ist: Es gibt ernstzunehmende Hinweise auf Sachsen, aber die Indizien reichen bisher nicht aus – zumal „Rawdogging“ kein russisches Lehnwort ist, was eine Beteiligung von ostdeutschen Protestwählern unwahrscheinlich macht. Andererseits wurde Sahra Wagenknecht in Dresden gesehen, und die ist ja dermaßen entschleunigt, dass bei ihr die Zeit nicht nur stehen bleibt, sondern sich sogar eine Sitzgelegenheit sucht. Sonst würden sie ihre Fans nicht für eine neue Rosa Luxemburg halten.
Gut, „Rawdogging“ mag dem einen oder anderen befremdlich vorkommen, zumal die Betroffenen im Unterschied zur Meditation ja keine innere Einkehr suchen, weil sie genau wissen, dass der dortige Kühlschrank leer ist. Sie gehen lieber auswärts abschalten, am liebsten in den sozialen Netzwerken, wo sie dann ganz tiefenentspannt einen Snack Aufmerksamkeit oder ein Schlückchen Likes zu sich nehmen.
Gegen Flugangst soll „Rawdogging“ übrigens wahre Wunder bewirken. Vielleicht traut sich Deutschland ja jetzt doch mal abzuheben.