Bayern genießen Wurzeln radikal genießen in Bayern
Kräuter, Blutwurz, Rüben, es gibt soviel zu genießen in Bayern. Und zwar radikal, von der Wurzel her. Beispiele aus den bayerischen Regionen für den echten Genuß im September. Das Magazin.
Sommer ist immer leicht und luftig, auch wenn er zu regnerisch und kalt ist wie heuer. Jetzt aber ist es allmählich wieder Zeit, auf den Boden der Tatsachen zu finden, wieder Wurzeln zu schlagen im Alltag – auch das kann man durchaus genießen, vor allem, wenn man die Wurzeln nicht nur im übertragenen Sinn versteht.
Die einzelnen Wurzel-Genussthemen aus den Bayerischen Regionen imSeptember:
- Oberbayern: Vergessener Genuss: Die Bayerische Rübe (Annette Kugler)
- Mainfranken: Der Wurzgarten von Kloster Oberzell am Main (Jochen Wobser)
- München: Gelebte Tradition: Der Münchner Wurzelsepp (Hannelore Fisgus)
- Niederbayern: Destillierte Identität: Bärwurz und Blutwurz aus dem Bayerischen Wald (Renate Roßberger)
- Mittelfranken/Oberfranken: Verschärfter Geschmack: Der fränkische Kren (Inga Pflug)
- Oberpfalz: Unglaubliche Optik: Das Oberpfälzer Wurzelmuseum (Margit Ringer)
- Schwaben: Die Alte Eibe von Balderschwang im Allgäu (Viktoria Wagensommer)
Oberbayern: Vergessener Genuss
Die Bayerische Rübe
Als "Rapophagi", auf deutsch "Rübenfresser" hat der mainfränkische Dichter Conrad Celtis die Altbayern einmal verunglimpft. Celtis war beleidigt, nachdem er 1497 seine Professorenstelle an der bayerischen Landesuniversität Ingolstadt verloren hatte. Grund: Nachgewisene Faulheit.
Tatsächlich waren Rüben einmal das bayerische Hauptnahrungsmittel. Weswegen es hier sogar eine spezielle Rübensorte gibt – die Bayerische Rübe. Über Jahrhunderte hat sie zum Standard-Repertoire in jeder Küche gehört, heute ist sie fast verschwunden – ein paar wenige Gärtner und Landwirte, vor allem im Dachauer Land, sichern aber ihr Überleben. Und jetzt wird sie kulinarisch wiederentdeckt.
Ältere Kunden sind begeistert über die Bayerischen Rüben: Da kommt ein Stück auf den Tisch aus ihrer Kindheit, da steigt wieder ein Duft von Regen, Brühe und Holztischen in die Nase, der aus dem Fenster einer Hütte zu kommen scheint, die das Paradies der Kindheit im Dachauer Hinterland umschließt.
Die Dachauer Rübenwochen finden übrigens heuer vom 24. Oktober bis 9. November statt.
Aber wie bereitet man Bayerische Rüben überhaupt zu? Vor 200 Jahren gab es die Rezepte noch in beinahe jedem bayerischen Kochbuch. Doch das Standard-Essen ist verschwunden. Erst machte die Kartoffel den bayerischen Rüben das Leben schwer, denn die aus Amerika nach Deutschland eingeschleppten Erdäpfel waren haltbarer und nahrhafter als die bayerischen Rüben. Und dann wurden sie Arme-Leute-Speise, um schließlich fast ganz von den einheimischen Speisezetteln zu verschwinden.
Mainfranken: Erforschte Wirkung
Der Wurzgarten von Kloster Oberzell am Main
Alles Gute kommt von unten – nämlich aus der Wurzel. Um die heilende Kraft von Pflanzenwurzeln wissen Naturheilkundler seit langem. Im "Lorscher Arzneibuch" aus dem 8. Jahrhundert zum Beispiel, drehen sich einige der insgesamt 482 Rezepturen um Tinkturen und Salben auf Wurzelbasis – und was morgenländische Heiler und abendländische Mönche schon immer praktiziert haben, erforschen heutzutage Wissenschaftler mit all ihrem topmodernen "Know How". In Würzburg widmet sich seit 15 Jahren eine "Forschergruppe Klostermedizin" der Heilkraft von Kräutern und Wurzeln – und den idealen Ort für diese Grundlagenforschung haben die Klostermediziner ganz in der Nähe.
Streifzug durch den Klostergarten in Oberzell
Alles Gute kommt von unten – nämlich aus der Wurzel. Um die heilende Kraft von Pflanzenwurzeln wissen Naturheilkundler seit langem. Im "Lorscher Arzneibuch" aus dem 8. Jahrhundert zum Beispiel drehen sich einige der insgesamt 482 Rezepturen um Tinkturen und Salben auf Wurzelbasis – und was morgenländische Heiler und abendländische Mönche schon immer praktiziert haben, erforschen heutzutage Wissenschaftler mit all ihrem topmodernen "Know How".
In Würzburg widmet sich seit 15 Jahren eine "Forschergruppe Klostermedizin" der Heilkraft von Kräutern und Wurzeln – und den idealen Ort für diese Grundlagenforschung haben die Klostermediziner ganz in der Nähe. Jochen Wobser hat den Klostergarten in Oberzell am Main besucht und die Arbeit der Würzburger "Forschergruppe Klostermedizin" beobachtet.
Gemeinsam mit Schwester Leandra bieten die Wissenschaftler regelmäßig Kurse und Seminare unter dem Titel "Erlebnis Klostermedizin" an. Das nächste Seminar dauert drei Tage und widmet sich um Pflanzenheilkunde bei Erkältungskrankheiten. Es findet statt vom 17. bis zum 19. Oktober 2014. Anmeldeschluss ist der 7. Oktober. Weitere Information, zum Beispiel zu den Kursgebühren gibt es von der "Forschergruppe Klostermedizin" der Universität Würzburg.
Beinwell-Wurzelsalbe nach Klostermediziner Dr. Johannes Mayer
Die Beinwell-Pflanze im Herbst vorsichtig ausgraben und einige Stücke von der Wurzel entfernen. Den Rest der Pflanze wieder in die Erde setzen. Die schwarze Rinde von der Wurzeln abnehmen. Aus der Wurzel kommt dann eine ganz weiße Masse, die beinahe schon flüssig ist. Diese Masse zerstampfen und nach Belieben mit etwas Olivenöl vermischen – und direkt auf das betroffene Körperteil auflegen und mit einem Verband fixieren. Beinwell-Salbe wirkt heilfördernd, speziell für Knochen und Gewebe. Helfen kann sie bei allen stumpfen Verletzungen, bei Zerrungen, Verstauchungen oder Blutergüssen. Achtung: nur zur äußerlichen Anwendung! Beinwell beinhaltet einen Stoff, der schädlich auf die Leber wirken kann.
Gelebte Tradition: Der Münchner Wurzelsepp
Die Klöster waren schon immer der Hort für heilkundiges Wurzelwissen. Nach der Aufhebung der Klöster in der Säkularisation vor gut 200 Jahren musste allerdings dieses Wissen gewissermaßen privatisiert werden. Überall in den Städten entstanden jetzt Kräuterläden.
Einer der ältesten noch bestehenden ist der 1887 gegründete "Original Oberbayerische Kräuter- und Wurzelsepp" in München, ganz nah am Viktualienmarkt. Alleine der Duft schon ist überwältigend, wenn man den Laden betritt.
Niederbayern: Destillierte Identität
Bärwurz und Blutwurz aus dem Bayerischen Wald
Kann man Wurzeln trinken? In Bayern macht man das, man schwört sogar drauf. Was den Oberbayern ihr Enzian ist den Niederbayern, speziell den Waldlern, der Bärwurz, salopp als „Bayerwald-Diesel“ angepriesen. Etwas jünger ist der Blutwurz. Beides sind Wurzelschnäpse von Pflanzen, die im Bayerischen Wald wachsen. Für beide gilt: Gesund vielleicht – aber geschmacklich zunächst gewöhnungsbedürftig.
Was den Oberbayern ihr Enzian ist den Niederbayern, speziell den Waldlern, der Bärwurz, salopp als "Bayerwald-Diesel" angepriesen. Etwas jünger ist der Blutwurz. Beides sind Wurzelschnäpse von Pflanzen, die im Bayerischen Wald wachsen. Für beide gilt: Gesund vielleicht – aber geschmacklich zunächst gewöhnungsbedürftig.
Die Bärwurz und die Blutwurz sind unscheinbare Gewächse, ähneln dem Dill oder der Kartoffelpflanze und gehören zur Gattung der Fingerwurzen. Sie werden geerntet, gewaschen, getrocknet. und kleingeschnitten und danach in Mazerations Gefäßen in Alkohol angesetzt. Darin lagern sie in der Regel ein viertel Jahr, damit der Alkohol sämtliche Aromen und Extraktivkräfte aus der Wurzel herausholt. Erst nach dieser Prozedur wird in komplizierten Kupferaperaturen destilliert. Damit der Bärwurz getrunken werden kann, muss aber der normale Bärwurz mindestens zwei Jahre, der Edelbärwurz mindestens zehn Jahre in Eichenfässern in einem speziellen Keller gelagert werden.
Zu Blutwurz, einem dunkelroten Likör, greifen die, denen der Bärwurz zu krass ist. Es ist ein Kräuterlikör mit über 56% dem Zucker zugesetzt ist. Die Herstellung von Blutwurz begann erst 1980. Der Blutwurz wird vor allem von der Damenwelt bevorzugt und verkauft sich inzwischen besser als der Bärwurz.
Mittelfranken/Oberfranken: Verschärfter Geschmack
Der fränkische Kren
Um den Meerrettich oder Kren ranken sich viele Mythen: "Ungeahnte Kräfte" soll diese Wurzel verleihen, einen vor bösen Geistern und Ohnmacht bewahren, wenn man sie zu Neujahr auf nüchternen Magen isst.
Gesund ist diese "magische Wurzel" tatsächlich: Sie enthält mehr Vitamin C als Zitronen. Ihre ätherische Öle sollen die Sinne beleben, das Immunsystem stärken, die Verdauung fördern und die Lebenskräfte wecken.
Sogar ein antibiotischer Wirkstoff ist enthalten: Sinigrin. Wo diese Zauberwurzel wächst? Zwischen Forchheim und Erlangen, im mittelfränkischen Baiersdorf, der Meerrettichstadt. Jeden dritten Sonntag im September findet in Baiersdorf der Krenmarkt statt – und auch ein Krenmuseum gibt's dort. Inga Pflug hat sich in Baiersdorf umgesehen.
Oberpfalz: Unglaubliche Optik
Das Oberpfälzer Wurzelmuseum
Das Wort "Wurzel" geht auf einen uralten Wortstamm für "drehen", "bohren" zurück und hängt zusammen mit, "wirren", dem "Bürzel" und dem "Purzeln", der "Borste", dem Wurm und, ja tatsächlich, der "Wurst". Wurzeln bohren sich ja in die Erde und sind dabei meistens krumm, gedreht. Hölzerne Individuen mit oft phantastischer Gestalt. Bernd Donhauser aus Tremmersdorf im Landkreis Neustadt an der Waldnaab hat den Wurzeln ein ganz außergewöhnliches Museum gewidmet.
Info
Das Wurzelmuseum Tremmersdorf zeigt weit mehr als 800 Wurzeltiere, die im Wasser, zu Lande und in der Luft leben. Sie alle sind mit etwas Phantasie in dem weltweit einmaligen Museum zu bestaunen.
Öffnungszeiten: täglich geöffnet von 9.00 bis 12.00 Uhr und von 13.00 bis 18.00 Uhr; in der Winterzeit vom 1. Oktober bis 1. April täglich nur bis bis 17.00 Uhr geöffnet. Freitags geschlossen.
Schwaben: Gewachsene Ehrfurcht
Die Alte Eibe von Balderschwang im Allgäu
Gute Wurzeln sind die beste Voraussetzung für ein gutes Leben. Nicht nur im übertragenen, sondern auch im ganz konkreten Sinn. In Balderschwang im Oberallgäu zum Beispiel steht einer der ältesten Bäume Deutschlands: Die alte Eibe von Balderschwang, die als Baum-Methusalem auf ein Alter von 2.000 bis 4.000 Jahre geschätzt wird. Sie wächst auf etwa 1.150 Metern Höhe und ist ein wahrer Überlebenskünstler – denn "Eiben bleiben" heißt es im Sprichwort.