"Das Türkenmariaendl und der Django" Einblicke in 300 Jahre türkisch-bayerischer Migrationsgeschichte
Was haben Django Asül, Latife Summerer, Mehmet Scholl, Annemie Sungur, Sigrid Thaller, Verena Laschinger und Nikolaus Strauß gemeinsam?
Was verbindet einen Kabarettisten aus Hengersberg, eine Regensburger Professorin, den Mittelfranken Carl Osman und einen weltbekannten Kicker mit einer oberbayerischen Bürgermeistertochter, die vor mehr als 50 Jahren nach Istanbul geheiratet hat und dort bayerische Bräuche pflegt?
Wie gehören die Tochter eines Ingenieurs der Bagdad-Bahn, eine Münchner Englischdozentin an einer muslimischen Universität in der Türkei und der Gründer des ersten deutschen Kaffeehauses in Würzburg zusammen?
Sie alle sind Teil einer mehr als 300-jährigen Geschichte türkisch-bayerischer Beziehungen, eines kaum entdeckten Kapitels der europäischen Migrationsgeschichte, das es aufzuschlagen gilt – vor allem in der Hoffnung durch die Darstellung historischer und lokalhistorischer Zusammenhänge zu neuen Denkansätzen in den bayerisch-türkischen Beziehungen beitragen zu können.
In der Zeit der Türkenkriege kamen mit den Truppen Max Emanuels im Winter – denn es wurde nur im Sommer Krieg geführt – sogenannte Beutetürken und –türkinnen samt ihrer Familien nach Bayern quasi als exotische Souvenirs und Ausdruck schierer Beutelust, wie es einer der bekanntesten Forscher bayerisch-türkischer Lebenslauffragmente einmal formulierte.
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Zwangsgetauft, unter neuen christlichen Vornamen und Familiennamen, die auf ihre türkische Herkunft verwiesen, konnten sich die meisten von ihnen schon bald von ihrem Sklavenstatus befreien und liessen sich überall in Bayern nieder, in kleinen Dörfern und Städten wie dem oberbayerischen Attel und Mühldorf/Inn, in Handelsmetropolen wie Nürnberg, Augsburg und Landshut und an Bischofssitzen wie Würzburg, Passau und Freising. Ihre Assimilierung erfolgte in wenigen Jahrzehnten, so dass es keinerlei gesellschaftliche Schranken mehr für sie gab – Bayern türkischer Herkunft sind in allen Berufen, im geistlichen Stand und im Hochadel zu finden. Zunächst exotisch anmutend, münden ihre Lebensläufe in typisch bayerische.
Und es sind heute Tausende von Bayern, die türkische Vorfahren haben und noch nichts davon wissen, nicht wissen, dass sie typisch türkisch-bayerische Familiennamen tragen wie Weissenburger, Neumarkter, Auerbacher, Os(s)mann, Ostmann, Sulimann, Alisch, Aly, Liebgott, Türk und Christ. Es gilt ihren Wurzeln nachzuspüren und nachzufragen, was von dem türkischen Erbe außer den Namen übrig geblieben ist.
Drei weitere Kapitel bayerisch-türkischer Beziehungen werden in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufgeschlagen, die ebenfalls bisher kaum wahrgenommen werden: der Einsatz bayerischer Soldaten im Osmanischen Reich in den Jahren 1908 bis 1918, die Geschichte der sogenannten "Türkeiveteranen" und die Flucht bayerischer Intellektueller und Wissenschaftler vor den Nazis in die Türkei, wo sie an den Universitäten lehrten und im türkischen Verwaltungsapparat hohe Stellen bekleideten.