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Boris Grebenschtschikow So stellt sich der "sowjetische Bob Dylan" gegen kulturelle Unterdrückung in Russland

Boris Grebenschtschikow ist mit seiner Band Aquarium einer der berühmtesten Rockmusiker Russlands. Er wird manchmal der "sowjetische Bob Dylan" oder "Großvater russischen Rocks" genannt. Mittlerweile ist er im Exil und auf der Liste ausländischer Agenten des Kremls - er hatte sich gegen den Krieg in der Ukraine ausgesprochen.

Von: Kristján Guðjónsson

Stand: 15.09.2023

Boris Grebenschtschikow in Moskau | Bild: picture alliance / dpa | Mudrats Alexandra

Das letzte Mal, dass Boris Grebenschtschikow in Russland war, war der 23. Februar 2022, also einen Tag vor Kriegsausbruch. Er spielte ein Konzert, und hatte drei Stunden lang ein stranges Gefühl: "Als würde ich etwas Ähnliches erleben wie Menschen 1939 in Deutschland oder so. Ich dachte nur: 'Was zum Teufel ist hier los?' Und dann begannen sie sechs Stunden später den Krieg. Seitdem war ich nicht mehr da."

"Ich hatte keine Ambitionen, ich wollte nur Musik machen."

Boris Grebenschtschikow

Boris, der bald auf die 70 zugeht und seit der Pandemie in London lebt, ist es gewohnt, mit den Behörden seines Heimatlandes in Konflikt zu stehen. Er gründete 1972 die einflussreiche sowjetische Rockband Aquarium in Leningrad, dem heutigen St. Petersburg. Damals war westliche Musik verpönt und Musiker mussten staatlich anerkannt werden, um öffentlich auftreten zu dürfen. Mit Musik den Lebensunterhalt zu verdienen, war für Boris Grebenschtschikow unvorstellbar. Aber das war ohnehin nicht, was er wollte.

Bekannt geworden trotz Repression

Aquarium wurde von der Sowjetregierung nicht genehmigt. Die Band war "im Untergrund" und konnte daher nur illegale Konzerte in Wohnzimmern geben. Ihre Alben wurden mit ziemlich heruntergekommenen Equipment live aufgenommen und über illegale Raubkopie-Netzwerke verbreitet. Ihre Musik verbreitete sich dennoch unter den Jugendlichen in der Sowjetunion und so wurde der junge Dichter und Mathematikabsolvent Boris Grebenschtschikow im ganzen Land bekannt. Die vielen Einschränkungen und Repressalien, die die sowjetische Underground-Rockszene hinnehmen musste, schufen aber auch innerhalb der Community einen ganz besonderen Geist des Zusammenhalts.

"Das Schönste für die nächsten 15 Jahre und das Besondere an der Situation in Russland damals war: über Geld dachte überhaupt niemand nach."

Boris Grebenschtschikow

Boris Grebenschtschikow bei einem Konzert in Moskau.

In den 80er Jahren braute sich in Leningrad etwas zusammen, als Bands wie Aquarium, Alisa, DDT und Kino ihre ganz spezielle russische Art von New Wave entwickelten, die schließlich auch zum Soundtrack der Perestroika und letzten Jahre der Sowjetunion werden sollte. Aber nicht länger nur heimlich mit illegalen Konzerten in Wohnzimmern: 1981 eröffnete der erste Rockclub der Sowjetunion in Leningrad seine Türen. Boris Grebenschtschikows Band Aquarium konnte hier ihre Musik öffentlich spielen, allerdings unter den wachsamen Augen des Geheimdienstes.

Kultur ist ein Ausdruck von Freiheit

So erzählt Boris: "Der Rockclub bedeutete vor allem eines: Wir durften spielen! Niemand bekam Geld, aber wir durften spielen und zogen Tausende von Menschen in diesen kleinen Saal, der vielleicht für 500 Zuschauer ausgelegt war. Es gab riesige Warteschlangen. Die Straßen waren blockiert und Menschen aus dem ganzen Land versuchten hineinzukommen. Und das, obwohl unser Club einmal vom KGB selbst gegründet wurde. Sie wollten damals alles an einem Ort unter Kontrolle haben. Aber das ging nicht ganz auf. Die Leute merkten an diesem Ort, dass sie Selbstwert und Würde haben und nicht Müll sind. Wir sind eben, was wir sind. Also lasst uns tun, was wir tun wollen!

Die Band Aquarium bei einem Straßenkonzert in St. Petersburg, 2018.

Boris sagt, dass er sich von klein auf nie mit den Behörden oder dem Staat, in dem er lebte identifizieren konnte. Seiner Erfahrung nach bestehe der Zweck eines Staates, wie er ihn erfahren hat, darin, zu verbieten, zu verbannen und zu ersticken. Und eine lebendige Kultur steht immer im Gegensatz dazu. Sie ist Ausdruck der Freiheit. Für Boris hat die russische Kultur also nichts mit irgendeiner Regierung zu tun – sei sie nun sowjetisch oder russisch. Er glaubt nicht, dass Kunst oder Poesie sich in Zeiten der Unterdrückung oder des Krieges in den Dienst des Protestes stellen müssen . Seiner Meinung nach haben Künstler*innen nicht die Macht, Einfluss auf die Politik zu nehmen.

Musik als Heilmittel

Sein Protest ist den Machthabern nicht verborgen geblieben, seine Lieder werden längst nicht mehr in den großen russischen Radiosendern gespielt. Und die Regierung hat ihn auf die Liste sogenannter ausländischer Agenten gesetzt – mit der Behauptung, dass die von ihm gespielten Charity Konzerte das ukrainische Militär mitfinanziert hätten. Doch Boris lässt sich davon nicht beeindrucken. Es sei laut ihm leider so, dass einige Idioten denken, sie hätten die Macht, Menschen zu beherrschen.

"Die Kunst besitzt heilende Kräfte. Und diese heilenden Kräfte entfalten sich nur, wenn die Kunst frei ist. Sonst wäre sie keine Medizin, sondern Gift."

Boris Grebenschtschikow

Seit dem Aquarium-Konzert in St. Petersburg im Februar letzten Jahres ist Boris Grebenschtschikow nicht mehr in sein Heimatland Russland zurückgekehrt und weiß nicht, ob er jemals wieder zurückkommen wird. Im Moment tourt er durch Europa und feiert - wenn auch etwas verspätet - das 50-jährige Jubiläum mit seiner Band Aquarium. Außerdem arbeitet er gerade an der Veröffentlichung eines Charity Albums. Es wird "Heal The Sky" heissen und der Erlös des Albums soll dem größten Kinderkrankenhaus in der Ukraine zugutekommen. Boris Grebenschtschikow glaubt zwar nicht, dass Kunstschaffende die kriegstreibenden Politiker in seinem Heimatland Russland beeinflussen können – aber damit ist auch nicht gesagt, dass Kunst absolut machtlos ist. Denn mehr als alles andere hat sie die Kraft zu heilen.