Kulturkampf Warum es auch woke sein kann, nicht woke zu sein
Es sind nicht mehr nur die Union und Richard David Precht. Kritik an "Wokeness" erobert gerade den Buchmarkt. Warum kritisiert man Wachsamkeit gegen Rassismus? Auch ein Hollywood-Film liefert Argumente für eine neue "Dialektik der Wokeness".
Eine „düstere Woke-Wolke“ sah Markus Söder letztes Jahr auf dem politischen Aschermittwoch heraufziehen. Und diese Woke-Wolke war drauf und dran, den weiß-blauen Himmel seines geliebten Bayern-Landes zu verdunkeln. Der Ministerpräsident war damit ein Trendsetter. Denn mittlerweile gibt es kein Entkommen mehr vor dieser Debatte. Richard David Precht zum Beispiel philosophiert über „Wokeness als neues Wort unserer Zeit.“ YouTuber wundern sich, dass sie als „woke“ bezeichnet werden oder machen Videos zum vermeintlichen „Ende der Wokeness“. Und immer wieder wird im Fernsehen oder in Debatten-Formaten im Netz über Wokeness gestritten. Zum Beispiel im ZDF-Format Unbubble unter der Frage: „Macht Wokeness unsere Gesellschaft gerechter?“ Der Lieblingsschauplatz der Debatten um Wokeness ist derzeit jedoch der Buchmarkt. Und der Trend geht vor allem in eine Richtung.
Warum so viele Bücher gegen Wokeness erscheinen
Eine kleine Auswahl an Titeln: „Gefangen in der Opferrolle. Warum Wokeness und der Fokus auf Gender, Rassismus und Macht niemandem hilft“, „Links ist nicht woke“ und „Woke. Wie eine moralisierende Minderheit unsere Demokratie bedroht“. Dass man hunderte Seiten mit Wokeness-Kritik befüllt, ist neu. Denn früher wurde auf Wokeness meistens nur herumgehackt, um Kritik abzuwehren. Schuld war man nicht selbst, sondern der „woke Meinungsmainstream“. Paradebeispiel: Unternehmer Fynn Kliemann, als es darum ging, ob er Atemschutzmasken, die laut Kliemann aus Europa stammten, nicht doch in Asien hergestellt hat. Kliemanns Rechtfertigung: „Da gibt es diesen einen Teil in der woken, linken Szene, der das nicht akzeptieren kann. Weil dieser Teil der Bubble gar nichts akzeptieren kann.“ Dabei bedeutet Wokeness ja einfach nur: Wachsam sein gegen Diskriminierung. Eigentlich super. Wer will schon ein Rassist sein? Warum entwickelt vor allem das intellektuelle Milieu gerade so etwas wie eine Dialektik der Wokeness?
Die Dialektik der Wokeness
Die Psychologin Ester Bockwyt sagt: „Diese glänzende Oberfläche der Wokeness, da auch mal hinter zuschauen, finde ich schon wichtig.“ Auch sie hat so ein Buch geschrieben. Der Titel: „Woke: Psychologie eines Kulturkampfs“, erschienen im Westend-Verlag. Bockwyt erklärt weiter: „Der zentrale Widerspruch ist, dass man sagt: Das Anliegen ist für mehr Gerechtigkeit und gegen Diskriminierung zu kämpfen, und merkt dabei nicht, dass man selbst diskriminiert und dass man selber zu Spaltung beiträgt.“ Bockwyt sagt, ein Teil von Wokeness sei es, starke Polaritäten aufzumachen zwischen Privilegierten und Unterdrückten. Sie kritisiert die Konsequenz, die daraus folgt. Befürchtet, dass Menschen nicht mehr durch Anerkennung ihrer Leistungen, Fähigkeiten oder des gesellschaftlichen Beitrags Einfluss erhalten, sondern nur umgekehrt proportional zu den Diskriminierungen, die durch festgelegte Gruppenzugehörigkeiten in Stein gemeißelt seien. Die Frage ist: Gibt es Menschen, die „woke“ sind und das wirklich so wollen?
Psychologin: Wokeness ist Gegenaufklärung
Die zentrale Kritik von Ester Bockwyt und vieler anderer Anti-Woker Buchautoren bewegt sich dabei immer eher auf einer Meta-Ebene. In der Kritik steht die Identitätspolitik. Also das politische Handeln, bei dem die Bedürfnisse einer spezifischen Gruppe im Mittelpunkt stehen. Bockwyt argumentiert: Wer die Sprecher-Position, die Identität, übermäßig in den Vordergrund stellt, läuft Gefahr zu vergessen, was gesagt wird. Dass wir uns aber auf das Argument und nicht auf die Person konzentrieren, sei laut Bockwyt die zentrale Errungenschaft der Aufklärung. Das erinnert an den Film „Amerikanische Fiktion“, der 2024 den Oscar für das beste Drehbuch gewonnen hat.
Darin geht es um einen Schwarzen Literatur-Professor, der aufgrund seiner vermeintlichen Identität permanent in Rollen gedrängt wird, die er gar nicht spielen will. Gleich zu Beginn des Films eskaliert die Situation in seiner Vorlesung. Weiße Studenten beschweren sich, weil er das N-Wort an die Tafel geschrieben hat. „Wir sollten nicht den ganzen Tag auf das N-Wort starren müssen“, beschwert sich eine Studentin.“ Der Professor erwidert: „Das ist eine Vorlesung über die Geschichte der Südstaaten.“ Er findet, die Studierenden sollten sich mit der Vergangenheit auseinandersetzen, sagt: „Bei allem Respekt Britney. Ich habe es überwunden. Ich bin sicher, das schaffen Sie auch.“ Die Folge: Der Professor wird beurlaubt. In „Amerikanische Fiktion“ wird die Wokeness immer wieder zum Bumerang. Der eigentlich Diskriminierte wird im Namen der Antidiskriminierung diskriminiert. Weil er nicht die Rolle ausfüllt, die identitätspolitisch für ihn vorgesehen ist. Ester Bockwyt hat aber auch noch andere Kritikpunkte.
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Mathe ist rassistisch
Grundstein der Wokeness, sagt die Psychologin, sind poststrukturalistische Theorien. Zum Beispiel die von Judith Butler oder Michel Foucault. Jede empfundene Wahrheit beruht eigentlich auf Machtverhältnissen und sozialen Konstrukten, so wäre das grob zusammengefasst. Doch das wird laut Bockwyt in der „Wokeness“ völlig überspitzt. „Mathe ist rassistisch ist das prägnanteste Beispiel, was mir aus den USA in Erinnerung geblieben ist“, erzählt sie. Es hätte dort eine Anweisung an Lehrer gegeben, Mathematik als Unterdrückungselement der weißen Privilegien anzusehen und, „auch die Aussage, dass es keine wissenschaftliche Objektivität gibt in diesem Sinne, weil die Wissenschaft auch nur als Machtinstrument zur Sicherung der Privilegien gesehen wird“, sagt Bockwyt. Nach extrem woker Logik sei Mathe also rassistisch, weil es von weißen Männern erfunden wurde.
Wer sind die Woken?
Die Frage ist nur? Wie gefährlich ist das? Sind Gendersternchen wirklich eine Bedrohung für die Demokratie oder nicht doch nur für Markus Söders Herzkreislaufsystem? Und wer sind überhaupt die Adressaten der Kritik? Wer nennt sich selbst Woke? Esther Bockwyt sagt: Sie beobachtet vor allem Debatten auf Twitter, bzw. X. Und sieht dort die Spaltung, sowohl von rechts als auch von links. Deshalb schlägt sie vor, sich wieder sachlicher auf Inhalte zu konzentrieren und sich gegenseitig zuzuhören. Das bessere Argument gewinnen zu lassen. Das klingt dann schon wieder ziemlich wachsam. Aber vielleicht kann es manchmal ja auch woke sein, nicht woke zu sein.