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Die Farbe Lila & Mean Girls Musical-Remakes boomen – und das ist noch schlimmer, als es klingt

Von "Arielle" über "Mean Girls" bis "Die Farbe Lila": Musical-Remakes boomen. Nach Prequels und Sequels hat Hollywood mit ihnen eine neue Gelddruckmaschine gefunden, die einmal mehr wiederholt, was schon da war. Oder handelt es sich um ein überfälliges Update angestaubter Klassiker? Nein. Wirklich nein.

Von: Paula Lochte

Stand: 05.02.2024

Die Musical-Adaption "Die Farbe Lila", Szene | Bild: picture alliance / ZUMAPRESS.com | Amblin Entertainment

Für einen, wenn auch kurzen Moment funktioniert es. Wir sind in den Südstaaten, Anfang des 20. Jahrhunderts. Danielle Brooks – bekannt aus der Serie "Orange Is the New Black" – zieht die Brauen zusammen. Ihre Augen verengen sich. Und dann? Schnaubt sie aus? Schreit sie? Nein, sie singt! Sie singt mit so einer Wut im Bauch, dass sie gar nicht schreien muss. Denn ihr wurde doppelt Unrecht angetan. Der Mann, den sie liebt, hat sie verprügelt. Und wer hat ihn angestiftet? Ausgerechnet eine andere Frau: Hauptfigur Celie. Celie kennt es nicht anders. Ihr Vater misshandelt sie. Ihr Ehemann misshandelt sie. Warum soll es ihrer Schwiegertochter besser ergehen? Frauen haben eben zu gehorchen. So steht es doch auch in der Bibel.

Kann diese Szene das Musical "Die Farbe Lila" retten?

In dieser Szene gelingt dem Musical-Remake von "Die Farbe Lila" zweierlei: Einerseits zeigt der Film, genau wie der Roman, auf dem er basiert, diese ekelhafte Komplizenschaft: Von Männern, die Frauen verprügeln, Frauen die wiederum nach unten treten und der Kirche, die all das jahrhundertelang mit einem "Ja, Amen" befeuerte. Gelungen ist in der Szene auch die Musik: Denn der Song "Hell No" ist eine Hymne gegen häusliche Gewalt, die in den Flow der Szene passt: Es fühlt sich total logisch an, dass die Figur plötzlich singt, statt zu reden.

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Hell No! | Bild: Danielle Brooks - Topic (via YouTube)

Hell No!

Und ab jetzt wird es schlecht

Aber leider sticht die Szene auch deshalb so strahlend hervor, weil dem Film vieles eben nicht gelingt. Im Roman von Alice Walker und auch in der Hollywoodadaption von Steven Spielberg aus den Achtzigern steckte eine Gesellschaftsanalyse, die den Mut hatte, zu verstören. Das Musical hingegen reißt einen zwar manchmal mit – aber traut sich keinen Bezug zur Realität zu: Wenn die Männer Böses tun, sprechen sie mit einer Stimme wie Darth Vader. Zwangsarbeiter rammen ihre Spitzhacken so rhythmisch in den Boden, dass sie auch in einem Taylor-Swift-Video auftreten könnten. Und wenn Hauptfigur Celie Schlimmes angetan wird, macht sie daraus anschließend eine seichte Popnummer mit einem Songtext voller Kalendersprüche.

All das fühlt sich so passend an, als hätte man "Schindlers Liste" in ein Musical verwandelt. Oder "A Quiet Place". Oder gleich einen Stummfilm. Um nur ein paar Vorschläge aus der Zündfunk-Community zu nennen für Musical-Remakes, auf die niemand gewartet hat. Dabei kann man selbstverständlich über Rassismus singen. Wie im Gospel oder im Hip-Hop-Track. Aber eben lieber in einem Knallersong als in 17 lieblos zusammengezimmerten Kommerzkisten.

Nun zum zweiten, furchtbaren Remake: "Mean Girls"

Womit wir beim zweiten Musical-Remake wären, das nun Geld in die Kinokassen spülen soll: "Mean Girls" setzt dem Problem die Krone auf. "Mean Girls" hat vor 20 Jahren eine ganze Teenager-Generation geprägt. Die Internetkultur erzählt noch heute in Memes und Zitaten davon. Der Film verwandelte das Genre der High-School-Komödie in eine selbstironische Satire über Cliquenbildung, gemeine Tussis und Frauen, die sich als dumm ausgeben, nur um den Jungs zu gefallen.  

Das Problem: So mancher Witz ging auf Kosten von Dicken, Indern und Lesben. Was man damals noch gerade bereit war, hinzunehmen – als "ist ja nicht ernst gemeint" – geht heute zu Recht gar nicht mehr. Handelt es sich beim Musical-Remake von "Mean Girls" also um ein überfälliges Update eines in die Jahre gekommenen Teenie-Lieblings? Leider nein. Eher um eine mit Autotune-Tönen garnierte Zweit- beziehungsweise Xtverwertung. Ein paar Nebenfiguren sind diverser und eine lesbische Figur muss am Ende keinen Mann mehr küssen – ansonsten ist der Plot derselbe, nur mit weniger Punchlines und mit schlechterer Musik.

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Auli'i Cravalho & Jaquel Spivey - A Cautionary Tale (Official Audio) | Bild: Interscope Records (via YouTube)

Auli'i Cravalho & Jaquel Spivey - A Cautionary Tale (Official Audio)

Was soll das alles?

Dass hier nichts Bahnbrechendes, nichts Neues entsteht, ist den Musical-Remakes inhärent. Sowohl "Mean Girls" als auch "Die Farbe Lila" waren nämlich erst Romane. Die wurden dann von Hollywood verfilmt. Dann wiederum vom Broadway kopiert, aufgepeppt mit Musiknummern, die sich aber wie Fremdkörper anfühlen müssen, denn sie sind ja erst im Nachhinein reingequetscht worden. Und diese Broadway-Stücke laufen nun also wiederum im Kino. Nur das niemand schwitzt, nie jemand stolpert, überhaupt die Magie eines Live-Events fehlt.

Die auf Hochglanz polierten Produktionen müssen scheitern, denn sie wagen nichts. Nach Prequels und Sequels hat Hollywood mit den Musical-Remakes eine neue Gelddruckmaschine gefunden, die einmal mehr wiederholt, was schon da war. Und so will man nach dem Kinobesuch schreien (oder meinetwegen auch singen): "Hell, No, denkt euch endlich mal was Neues aus!"

"Mean Girls" läuft ab dem 25. Januar 2024 im Kino. Kinostart von "Die Farbe Lila" ist am 8. Februar 2024.