"Expats" auf Prime Einsamkeit und Trauer gibt es auch in der Upperclass – wie diese Serie zeigt
Sie sind reich, schön – und todunglücklich. Die Amazon-Serie „Expats“ mit Nicole Kidman erzählt von Privilegien und Abgründen in Hongkong. Drei verwobene Frauengeschichten legen die Zwänge der Klassengesellschaft offen. Und des Patriarchats.
Disclaimer: Diese Rezension spoilert nicht
38 Minuten. So lange dauert es, bis in der neuen Amazon-Serie „Expats“ zum ersten Mal so etwas wie Unbeschwertheit aufkommt. Margaret, gespielt von Nicole Kidman, sitzt in einem Imbiss in Hongkong. Sie will einfach mal wieder allein und sie selbst sein, sagt sie ihrer Freundin. Nicht die Ehefrau von jemandem. Nicht die Mutter. Nicht das Ergebnis einer Tragödie.
"Lost inside adorable illusion and I cannot hide". Fühlt sich Nicole Kidman von diesem Vers aus Blondies "Heart of Glass" angesprochen?
Dann läuft im Radio dieser Blondie-Song: „Heart of Glass”. Margarets gerade noch starrer Blick wandert nach oben, ihre Lippen öffnen sich. Und Nicole Kidman singt nicht nur in „Expats“. Sie tanzt auch, reckt die Arme nach oben. Wiegt sich auf dem Imbiss-Hocker hin und her und vollführt dann barfuß Pirouetten auf dem Fliesenboden.
Aber es dauert nicht mal zwei Minuten, schon ist die Leichtigkeit wieder verflogen. Da hilft es auch nichts, dass das grüne Seidenkleid, das Margaret trägt, so viel gekostet haben dürfte wie ein Kleinwagen. Dass draußen ein Chauffeur wartet. Und zuhause eine Haushälterin, die alles aufgeräumt hat. ,,Geld allein macht nicht glücklich, aber es ist besser, in einem Taxi zu weinen als in der Straßenbahn“, das hat Marcel Reich-Ranicki mal gesagt. Die Serie „Expats“ stellt diesen Satz auf die Probe. Denn Margaret ist etwas passiert, das eine Spur der Verwüstung in ihr und allen um sie herum hinterlassen hat. Was genau, wird erst nach und nach entblättert.
Nicole Kidman wohnt literarisch auf dem Peak in Hongkong – doch stürzt in einen Abgrund
Wer die ersten beiden Folgen der Serie spannend finden will, sollte sich auf keinen Fall den Trailer anschauen, denn der verrät es bereits: Das Unglück, das eine Familie, die aus den USA nach Hongkong ausgewandert ist, in den Abgrund stürzt. Obwohl sie doch eigentlich auf dem Peak wohnen, einem grünen Berg mit Blick auf die Skyline. Wo früher die Kolonialherren wohnten, residiert nun der moderne Geldadel: die titelgebenden Expats.
„Wir haben uns das verdient“, findet Margarets Mann noch vor dem Unglück. Seine Firma hat ihn samt Family ins Ausland befördert, was er genießt. Köchinnen, Putzfrauen, Chauffeure, Kindermädchen – was kostet die Welt?
Die Expats rechtfertigen ihr Upperclass Leben mit ihrer eigenen Leistung. Doch die erbringen andere
Man will der Serie applaudieren, dass ihr ein Spagat gelingt: Sie zeigt die Selbstgerechtigkeit der oberen Prozent der Klassengesellschaft. Der Mitglieder der Upperclass, die denken, sie hätten sich ihre Bequemlichkeit durch Leistung verdient – die aber in Wahrheit andere für sich schuften lassen.
"Geld allein macht nicht glücklich, aber es ist besser, in einem Taxi zu weinen als in der Straßenbahn"
Marcel Reich-Ranicki, über Mitleid mit vereinsamten Reichen
Gleichzeitig bewahrt sich „Expats“ einen liebevollen, differenzierten Blick auf seine Figuren, auch die privilegierten. Schuld, Einsamkeit, Trauer – diese Gefühle scheren sich nicht um Geldbeutel oder Aktienfonds. Und auch vor der reichsten Familie macht das Patriarchat nicht halt. „Expats“ erzählt seine Geschichte entlang von drei Frauenfiguren. Die eine, Margaret, wollte eigentlich mehr vom Leben als das Anhängsel ihres Mannes sein. Die zweite, ihre Freundin Hilary, will keine Kinder, was ihr Ehemann aber einfach nicht kapiert. Und die dritte, Mercy, ist so von Selbsthass zerfressen, dass sie sich beim Sex erniedrigen lässt. Als einzige der drei verdient sie ihr Geld nicht mit Werbung oder Kapitalanlagen, sondern als Kellnerin. Sie ist Mitte zwanzig – und sie ist es, die uns diese Geschichte erzählt.
Die Themen und Erzählweise von „Expats“ sind nicht wirklich neu. Die Serie bewegt sich irgendwo zwischen Drama, Krimi und Milieustudie und erzählt von einem Schicksalsschlag – aber auch von Sexismus und Klassenunterschieden. Wenn das die eingetretenen Pfade sind – warum verlassen wir sie nicht endlich? Genau diese Frage macht die Serie sehenswert.
Anmerkung der Redaktion: Der Trailer spoilert den Inhalt der ersten zwei Folgen der Serie "Expats"
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Expats - Official Trailer | Prime Video
"Expats" von Lulu Wang basiert auf dem Roman "The Expatriates" von Janice Y. K. Lee und läuft bei Amazon Prime.