Nach Wagenknecht-Austritt Wie geht Die Linke mit den vielen Eintritten in die Partei um?
Über 2.100 Personen sind der Partei Die Linke in den letzten Wochen beigetreten - nach dem Austritt von Sahra Wagenknecht. Viele davon aus Protestbewegungen. Wer sind die Neuen, was motiviert sie und wie werden sie die Partei verändern?
Ausgerecht an Sankt Nikolaus verliert die Partei Die Linke im Bundestag ihren Fraktionsstatus. Nach dem Austritt Sahra Wagenknechts mit zehn weiteren Abgeordneten, müssen sich die verbliebenen Linken nun als "Gruppe" neu formieren. Das bedeutet für die Abgeordneten eingeschränkte Rechte im parlamentarischen Alltag, Klaus Ernst verliert den Vorsitz des Klimaschutz- und Energie-Ausschusses und die jetzt fraktionslosen Linken dürfen etwa in Ausschüssen nicht mehr abstimmen. Eine herbe Niederlage für die Partei.
Außerhalb des Bundestages aber ist Aufbruchsstimmung bei der Linken. Nach jahrelangen Grabenkämpfen hoffen viele in der Partei, sich nun neu aufstellen zu können. Bundesweit flatterten in den Kreisbüros der Partei nur so die Eintrittsgesuche ein. Über 2.100 Eintritte verzeichnete die Partei in den vergangenen Wochen, das ging aus vorläufigen Zahlen aus der Parteizentrale hervor, die der FAZ vorliegen. Für eine Partei, die bundesweit zu Beginn des Jahres 54.214 Mitglieder hatte, ist das eine starker Anstieg in kurzer Zeit.
Wer sind die Menschen, die sich jetzt der Partei anschließen?
Wer sind die Menschen, die Genossinnen und Genossen werden wollen? In einem offenen Brief verkündeten etwa Vertreter*innen aus der Klimabewegungen ihren Eintritt. Unter dem Titel "Wir / Jetzt / Hier" schreiben die Aktivist*innen: „Wir sind Linke aus verschiedenen Teilen der Zivilgesellschaft, die sich der parlamentarischen Politik nie verbunden gefühlt haben. Stattdessen haben wir protestiert, blockiert, gestreikt und Politik und Kultur von unten organisiert.“ Sie seien mit dem Anspruch eingetreten, die Partei "konstruktiv aufzubauen, und aktiv und radikal mitzugestalten".
Im Interview mit dem Zündfunk erklären ein Aktivist aus Niederbayern und die Bundestagsabgeordnete Nicole Gohlke (Die Linke), wie es aus jeweils ihrer Sicht mit der Partei nun weiter gehen wird. Augrund seines Anstellung an einer Universität möchte der Aktivist nicht namentlich genannt werden. Er soll hier Lukas heißen.
Zündfunk: Was hatte der Austritt Sahra Wagenknechts aus der Partei mit Deinem Eintritt zu tun?
Lukas: Nach dem Austritt von Sahra Wagenknecht ist die Linke die einzige Partei, die wirklich geschlossen für Migration einsteht und sich für Asylant*innen einsetzt. Davon sind die Grünen inzwischen massiv abgerückt.
Hast Du Angst, auf ein "sinkendes Schiff" zu setzen? Die Linke hat ihren Fraktionsstatus im Bundestag verloren und ist bei der Wahl in Bayern mit nur 200.000 Stimmen wieder nicht in den bayerischen Landtag eingezogen?
(lacht) Umso besser! Eine zentrale Motivation war jetzt die Schwäche der Partei als eine Chance zu sehen, und so neu zu gestalten. Und sie zu einer Partei zu machen, die auch für Menschen eine interessante Option ist, die sonst mit Parteipolitik oder sogar mit Parlamentarismus insgesamt wenig anfangen können. Da ist die Hoffnung, dass man als Bewegungslinke, die davor nicht in einer Partei organisiert war, die Linke als Sammlungspartei verstehen kann, in der man sich vernetzt und wichtige Strukturen wie die Rosa-Luxemburg-Stiftung erhält.
"Man sollte seine Werte nicht aufgeben zugunsten von Regierungsbeteiligungen und Koalitionen."
Lukas, Teil der Bewegungslinken.
Wie soll die Umgestaltung konkret aussehen? Teile der Bewegungslinke fordern zum Beispiel jegliche Koalition mit den Grünen oder der SPD abzulehnen und sich als eine reine Oppositionspartei aufzubauen. Wie ist Deine Einstellung dazu?
Das finde ich erst mal eine grundsätzlich gute Einstellung, wenn auch natürlich im Parlamentarismus eine problematische. Aber es geht tatsächlich darum, die Politik, die man dann im Parlamentarismus macht, so werteorientiert wie möglich zu machen, da ganz klare Kante zu zeigen, ganz klar für Dinge einzustehen, auch wenn sie gerade komplett unpopulär sind. Wie zum Beispiel sich für Menschenrechte in der Asylpolitik einzusetzen. Nur weil rechte Partein lange und laut genug gegen Flüchtlinge gehetzt haben, sollten wir ihre Positionen nicht übernehmen. Man sollte seine Werte nicht aufgeben zugunsten von Regierungsbeteiligungen und Koalitionen.
In einer Demokratie müssen trotzdem Mehrheiten geschaffen werden. Gesellschafltiche Veränderungen geschehen vor allem dann, wenn möglichst viele Leute dahinter stehen. Wenn man sich von vorne herein als Ziel setzt, nicht gewählt zu werden und nicht zu regieren, wie will die Bewegungslinke Einfluss nehmen?
Ganz platt formuliert hat man in Deutschland gesehen, dass eine radikale Außenseiterposition sehr wohl den gesamten Diskurs verändern kann. Vielleicht typisch für Deutschland kam diese Position aber von rechts. Es geht darum, konsequent und wertegeleitet zu denken, zu handeln und Vorschläge zu machen.
Statt eines rechten Populismus, wie von der AfD, also einen linken Populismus?
Deswegen sagte ich "platt ausgedrückt". Ich halte das nicht für Populismus, sondern für eine Position, die durch ihre Überzeugung überzeugt, was richtig und was menschlich ist. Und "Ramelow statt Barbarei" ist natürlich auch eine Ansage.
"Der Eintritt ist, denke ich, schon auch so eine kollektive Verzweiflungstat. Weil man einfach nicht mehr weiß, was man tun soll."
Lukas, Aktivist und Neumitglied bei der Linken.
Wo sollte die Partei jetzt hinsteuern, welche Werte möchtest Du vertreten sehen und welche Ziele?
Der Presseaufsteller der Linksfraktion im Bundestag wird weggeräumt. Am Nikolaustag 2023 wurde die Fraktion der Linken aufgelöst.
Grundsätzlich kann ich natürlich immer nur für mich sprechen. Die Bewegungslinken kommen nicht geschlossen mit einem Programm und einem Ziel dazu, sondern das sind unterschiedliche Gruppierungen. Der Eintritt ist, denke ich, schon auch eine kollektive Verzweiflungstat. Weil man einfach nicht mehr weiß, was man tun soll. Und deswegen ist auch für mich erstmal jede Koalition, die auf Kosten von zentralen Punkten geht, die mir wichtig sind, sehr uninteressant. Mir wäre wichtig, dass Parteipolitik vor Ort gemacht wird. Ich hoffe, dass Menschen überall, auch auf dem Land, sich engagieren und einbringen.
Wie kann die Linkspartei sich stärker für soziale Bewegungen wie die der Klimaaktivist*innen öffnen, und gleichzeitig nicht ihre Stammwähler*innen verlieren?
Wer sind denn linke Stammwähler*innen? Arbeiter*innnen? Ich denke, eine zentrale Aufgabe ist, die Hetze von Rechts mit konkreten solidarischen Aktionen zu kontern und zeigen, wofür man eintritt. Und die Menschen in ihrem Arbeitskampf zu unterstützen, für mehr Lohn und Anerkennung einzustehen und zu zeigen: vielleicht habt ihr eine Aversion gegen queere Themen, aber wir sind da anderer Meinung und wollen trotzdem mit euch kämpfen - dann kann man Argumente austauschen.
Wie geht die Partei mit den neuen Mitgliedern um, Frau Gohlke?
Wie sieht die Partei Die Linke das? Nicole Gohlke ist wissenschaftspolitische Sprecherin der Linken. Sie ist seit fast zwanzig Jahren Mitglied in der Partei und sitzt seit 2009 im Bundestag. Sie sagt: "Eintrittswellen wie die Jetzige habe ich schon einige erlebt". Als Weggefährtin Janine Wisslers gehörte Gohlke lange dem Anti-Wagenknecht Flügel der Partei an.
Zündfunk: Frau Gohlke, wie sollen die ganzen neuen Mitglieder in die bestehende Parteistruktur integriert werden?
Nicole Gohlke: Wir freuen uns natürlich total, das sich überhaupt so viele Menschen zum ersten Mal oder wieder zu uns bekennen und in einer wieder handlungsfähigen Linken mitwirken wollen. Die Eingliederung der Neuen erfolgt über die Orts- und Kreisverbände, in denen sie jetzt aktiv werden können.
"Von der 35 Stunden-Woche, übers Frauenwahlrecht bis zum Atomausstieg. Das sind alles Sachen, die nicht in der Regierung, sondern aus der Opposition mit Menschen auf der Straße erkämpft wurden."
- Linken-Abgeordnete Nicole Gohlke.
Wie kann sich die Partei nun strukturell neu aufstellen?
Pauschal ist das schwierig zu beantworten. Ich finde die Beobachtung der Menschen richtig, dass wir in einer tiefen Vertrauens- und Repräsentationskrise stecken. Das betrifft nicht nur die Linke sondern alle Partein. Als Partei muss man darauf Antworten finden, und es kann uns nur gut tun, wenn wir uns diese Fragen stellen und die neuen Mitglieder der Linken nach Antworten verlangen. Ich glaube, es muss darum gehen, als Partei viel konkretere Arbeit mit Menschen zu machen und sie in ihren Arbeiter- und Sozialkämpfen zu unterstützen. Ob beim Kampf um Wohnungen, Tarife oder Gleichberechtigung.
Ist ein Weg aus der Krise, wie einige aus der Bewegungslinken ja vorschlagen, eine radikalere Oppositionsarbeit der Partei ohne Aussicht auf Koalitionen und mehr Fokus auf Protest?
Ich gehöre schon zu denjenigen, die auch darauf hinweisen, dass auch in der Opposition sehr, sehr viel erkämpft wurde. Es fängt wirklich von der 35-Stunden-Woche an, übers Frauenwahlrecht bis zum Atomausstieg. Das sind alles Sachen, die nicht in der Regierung, sondern aus der Opposition mit Menschen auf der Straße erkämpft wurden. Ich finde, es als Linke wichtig, diesen Blick zu bewahren und diese Traditionslinien im Kopf zu haben. Man muss sich nicht auf die Idee versteifen, alles in der Regierung umsetzen zu müssen. Und ich glaube, dass die Menschen, die jetzt zu uns kommen, Angst haben, dass es diesen sehr einseitigen Blick darauf gibt, einfach nur mit parlamentarischen Mehrheiten was zu verändern. Ich würde sagen, Parlamentarismus kann glücken und toll sein, unter Umständen aber nicht. Aber es ist dann nicht nur ein Desaster für die eigene Partei, sondern ein gesellschaftspolitisches Desaster. Ich glaube, dass die letzte linke Oppositionskraft schon sehr aufpassen muss, ob sie sich auch entzaubert und es dann nur noch Opposition von rechts gibt.