Femizide in Songs Warum im Pop so viele Frauen sterben müssen
Nick Cave, Johnny Cash und Eminem haben es getan. Sie haben in ihren Songs Frauen getötet. Kein Problem, ist doch Fiktion! Doch die Lieder haben mehr mit der Realität zu tun, als uns allen lieb sein kann.
Liebe ist das alles beherrschende Thema im Pop, ganz klar. Aber ganz ehrlich: Mord steht dem in nichts nach. Es ist einem nur nicht so bewusst: Wie oft habe ich schon die Zeile von Johnny Cash mitgesummt „I shot a man in Reno just to watch him die“ ohne darüber nachzudenken, was ich da eigentlich singe.
„Hang Down Your Head, Tom Dooley“
Eines meiner Lieblingslieder als Kind war der Country-Hit „Hang Down Your Head Tom Dooley“ – meinem Vater sei Dank. Tom Dooley, der „poor boy“, muss hängen, schließlich hat er eine Frau umgebracht. Er traf sie auf einem Berg und nahm ihr dort das Leben. Mit einem Messer, lalala.
Der Song ist ein Traditional und basiert auf dem Mord an Laura Foster, anno 1866. Tom Dula, wie der Mann ohne Dialekt hieß, hatte eine ziemlich verworrene Liebesgeschichte mit drei Frauen der Foster-Familie und wurde für den Mord an Laura und ihrem ungeborenen Kind verurteilt. Es entstand eine rege Diskussion, ob Dula wirklich der Mörder war oder nicht doch die eifersüchtige Anne Foster. Eine Petition aus dem Jahr 2001, die Dula posthum freisprechen sollte, war nicht erfolgreich. Das Kingston Trio erreichte mit dem Lied 1958 jedenfalls Platz eins der Single-Charts.
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The Kingston Trio - Tom Dooley (1959) 4K
„Delia‘s Gone“
Und so geht es weiter in der Popgeschichte, mit Mord und Totschlag. Denn wo Liebe ist, da ist auch Hass und wo Hass ist, wird gemordet. Und da die Männer singen, sind es die Frauen, die sterben. Besagter und verehrter Johnny Cash besang den Tod von Delia, die ja nicht hätte sterben müssen, wenn sie nur Ehefrau geworden wäre. Trockener Titel der Geschichte: „Delia‘s Gone“. Das Traditional beschreibt sehr genau, wie Delia stirbt, vom Seil, mit dem sie an einen Stuhl gefesselt wird, bis zur Pistole, mit der sie erschossen wird.
Delia hieß in echt Delia Green und war erst 14 Jahre alt. Die Afroamerikanerin wurde am Weihnachtsabend von dem ein Jahr älteren Moses Houston erschossen, mit dem sie eine sexuelle Beziehung hatte. Im Video von Anton Corbijn wird Delia übrigens von niemand geringerem als Supermodel Kate Moss dargestellt.
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Delia's Gone-Johnny Cash
„Where The Wild Roses Grow“
Eine schönere und unschuldigere Leiche gibt nur Kylie Minogue ab in Nick Caves „Where The Wild Roses Grow“. Cave hat Kylie das Lied sozusagen auf den Leib geschrieben. Sechs Jahre hat er gebraucht, bis er einen Song hatte, der es seiner Meinung nach wert war, um ihn Kylie Minogue auch nur vorzuschlagen. Sie sagte umgehend zu und das Lied wurde zur erfolgreichsten Single der Bad Seeds und brachte Nick Cave eine Nominierung bei den MTV Video Awards ein – was er wirklich schlimm fand und ausschlug. Bis in alle Ewigkeit wird Kylie als singende Wasserleiche in weißem Gewand aus dem Video starren. Für immer das lolitamäßige Opfer, das ihren Mörder auch noch aus dem Jenseits heraus anhimmelt und das, einmal entjungfert, mit den Worten „all beauty must die“, mit einem Stein erschlagen wird.
Das Lied basiert lose auf dem Traditional „Down In The Willow Garden“. Insofern ist die tote Elisa Day aus „Where The Wild Roses Grow“ an Rose Connelly angelehnt, die von ihrem Geliebten erst vergiftet, dann erstochen und schließlich in den Fluss geworfen wird. Von ihr ist allerdings nicht bekannt, ob es sie wirklich gab. Aber die Wahrscheinlichkeit ist groß, da die sogenannten traditionellen Murder Ballads oft auf Oral History beruhten.
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Nick Cave & The Bad Seeds ft. Kylie Minogue - Where The Wild Roses Grow (Official HD Video)
Aber heute ist doch alles anders?
Nun gut, man könnte meinen, das war damals. Irgendwann kam das Frauenwahlrecht (1918), das Gleichberechtigungsgesetz (1957), die sexuelle Revolution (1968) und die Hippies. Love, Peace & Happiness. Irgendwann muss doch weniger Gewalt an Frauen besungen worden sein.
Aber: Dem ist nicht so. Vielleicht kommen etwas weniger Frauen zu Tode, aber sagen wir: Der Wille ist da. Die Fantasie. Sogar der friedfertige John Lennon gab dem „kleinen Mädchen“ den Ratschlag, um sein Leben zu laufen: „I'd rather see you dead, little girl / Than to be with another man“. Schließlich habe er – also das lyrische Ich von „Run For Your Life“ – nicht sein ganzes Leben Zeit, sie zum „spuren“ zu bringen.
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Run For Your Life (Remastered 2009)
Gewalt an Frauen auch bei Eminem in der Rachefantasie über seine Ex-Frau „Kim“. Oder bei Kollegah, Gzuz und Rammstein, die so frauenverachtend texten, dass ich es gar nicht wiedergeben mag.
Es geht nicht um Liebe, sondern Macht
In all diesen Songs geht es nur vordergründig um unerwiderte Liebe. Es geht um Macht. Um Besitzansprüche. Um eine patriarchale Gesellschaft, die dafür sorgt, dass die Frau auf dem ihr zugewiesenen Platz ausharrt. Will sie gehen, muss sie sterben. Das ist im Song so, das ist in der Realität so: Fast jeden dritten Tag stirbt in Deutschland eine Frau durch ihren Partner oder Ex-Partner.
Was machen mit all den misogynen Songs?
Die Frage ist: Was machen wir nun mit all diesen misogynen Songs? Mit all diesen – mitunter trotz allem tollen – Stücken über Frauen, die qualvoll sterben, deren Leichen in Flüssen landen oder die um ihr Leben rennen müssen? Unterlegt mit zauberhaften Melodien, die vergessen lassen, worum es hier eigentlich geht.
Verbieten? Es ist fast alles von der Kunstfreiheit gedeckt. Zurecht. Ich bin für keine Popwelt, in der „das Böse“ ausgeblendet wird. Sie ist ja da, all die Frauenverachtung und ein Patriarchat, das – sagen wir – große Schwierigkeiten mit unabhängigen Frauen hat. Aber man muss Misogynie sichtbar machen. Und man kann sich die Lieder, die man so mitsingt, mal genauer anhören. So werde ich „Delia’s Gone“ nicht mehr hören ohne an Delia Green zu denken. Und ich fürchte: „Where The Wild Roses Grow“ pack ich auf keine Playlist mehr. Meine Entscheidung. Sorry, Nick Cave – ich mag Dich trotzdem.