"Griselda" auf Netflix Ein Drogenkartell des Matriarchats macht noch keine gute Geschichte
Ein Koks-Imperium in Miami errichten und nebenbei feministische Mutter sein: ein großes emanzipatorisches Projekt, oder? So zumindest deutet Netflix Griselda Blancos Geschichte und scheitert damit an den eigenen Ansprüchen.
Disclaimer: Diese Rezension spoilert nicht
Eigentlich hat das Leben der Griselda Brancos alle Zutaten für eine True-Crime-Geschichte: In Medellín, Kolumbien, als uneheliches Kind einer Sexarbeiterin und eines Farmers aufgewachsen, früh sexuell missbraucht, verlässt Griselda mit elf ihre Mutter und schließt sich einer Straßengang an. Ihren ersten Mord, sie ist gerade mal 14 Jahre alt, begeht Griselda mit Kopfschuss an einem elfjährigen Jungen.
„The only man I was ever afraid of was a woman named Griselda Blanco” - Pablo Escobar
Das setzt den Ton für ihr weiteres Leben: Drogengeschäfte in New York, Miami, dann zwanzig Jahre Knast. Eine gewalttätige, geschäftstüchtige, eine gefürchtete Frau, die im selben Atemzug mit Pablo Escobar genannt wird, dem berühmtesten kolumbianischen Drogenbaron des berüchtigten Medellín Kartells. „The only man I was ever afraid of was a woman named Griselda Blanco” soll Escobar gesagt haben. 2015 widmete Netflix ihm die Serie Narcos, Griselda soll nun die Geschichte der femme fatal dieses Kartells erzählen. Co-Produzentin und in der Hauptrolle: „Modern Family“ Star Sophía Vergara, die sich aus der Comedy-Rolle emanzipieren möchte.
Griselda erkämpft sich ihren Platz als Drogenbossin in Miami
Sprung ins Jahr 1978. Ehemann Nummer zwei hat Griselda gerade umgebracht und flieht nun vor dessen Familie und ihren kriminellen Geschäften mit drei Söhnen nach Florida, ins schwüle Miami. Hier beginnt die sechsteilige Serie. Ein neuer Job im Reisebüro verspricht Griselda kein Glamour, aber, wie sie einer Freundin gegenüber immer wieder beteuert: eine Chance, aus dem Drogengeschäft auszusteigen. Dieses Vorhaben pulverisiert sich mit den ersten Lines Koks, die sie dem Who‘s Who Miamis andreht. Naturgemäß wollen ihr die anderen Drogenbosse keinen Platz in der Stadt einräumen, sie wird über den Tisch gezogen und schlägt literarisch mit einem Baseballschläger zurück. Aufgeben und Männern den Raum überlassen? Das ist kein Geschäftsmodell in Griseldas Sinne.
Das Geschäftsmodell: ein Drogenkartell des Matriachats
Noch heute ist Kolumbien der größte Exporteur von Kokain. Das meiste Koks - der größte Absatzmarkt sind die USA.
Griselda aber erkennt einen neuen Abnehmermarkt für ihr Produkt: Gringos aus der Mittelschicht. Die Frisörin und den Tennislehrer von nebenan, die dem Kokain bisher aus Angst vor gewalttätigen Dealern und zwielichtigen Hinterzimmern entsagt haben. Was aber, so Griseldas Rechnung, wenn attraktive Latinas das Rauschgift vertreiben und eine heile Partywelt mit „Tropical Beats“ und kolumbianischem Lebensgefühl verkaufen? Also lässt Griselda ihre Freundinnen, Sexarbeiterinnen aus Kolumbien einfliegen, mit ihnen mehr Koks und das Versprechen nach einem Drogenkartell des Matriarchats. Sie wird erfolgreich. Es folgt der Absturz und der Kampf zurück an die Spitze. Blockbuster eben. Großartig übrigens der Soundtrack von Carlos Rafael Rivera.
Aus Griselda eine kriminelle Feministin machen geht nicht auf
Das Netflix-Märchen will uns glauben lassen: Die größten Widersacher Griseldas sind nicht die US-Polizei oder Zoll, es sind Männer in Machtpositionen, die sie nicht als ebenbürtig anerkennen. Und die, so die Darstellung, bekämpft man am besten mit einer ganzen Gruppe an Frauen. Das Versprechen kann aber nicht eingelöst werden: Griselda Blancos war skrupellose Einzelkämpferin. Eine Killerin, die Unschuldige abknallen lässt und geld- und geltungsbesessen in einer hochgefährlichen, männerdominierten Welt: genau das macht ihre Geschichte so faszinierend.
Vergara soll alles verkörpern: das ist unmöglich
In der Serie soll Sofía Vargas beides verkörpern: eine kämpfende Frau, die sich von niemanden abhängig machen will, die sich von der Sexarbeiterin zur „La Madrina“- der Patin und Herrscherin über ein erfolgreiches Schatten-Business hochgearbeitet hat. Eine liebevolle Mutter, die Frauen aus Kolumbien in ihrem Business Geld und Anerkennung schenkt und ein Vorbild, die ganz im Sinne des American Dream ihr Business aufbaut und dabei den anderen Latinos in Miami noch Arbeit schenkt.
Die Serie bedient flache Gender-Sterotypen
Klar, eine solche Interpretation ist von der Kunstfreiheit gedeckt. Aber sie wird nicht richtig umgesetzt: Keine andere weibliche Rolle kann ihren Charakter in der Serie voll entwickeln, nicht einmal ihre Gegenspielerin Detective June Hawkins (Juliana Aidén Martinzes), obwohl die beiden viel verbindet. Beide werden von ihrem männlichen Umfeld sexualisiert, unterfordert und unterschätzt. Vergara, die die Idee für die Serie übrigens selbst an den Produzenten von Narcos pitchte, kann weder die kämpfende Frau noch die Drogenbaronin überzeugend darstellen. So bespielt die Serie immer wieder flache Gender-Stereotypen – die dümmlichen Ego-Machos auf der einen, die intelligenten, in Gruppen agierenden Frauen auf der anderen Seite. Da täuscht auch die Hochglanzproduktion mit Blockbuster-Spannungsbogen nicht hinweg.
Trotz Griselda Blancos Leben als wahre Steilvorlage, kann die Serie den Stoff nur mittelmäßig mitreißend erzählen. Der Markt dafür wäre sicher da. Denn dass Drogen-Serien erfolgreich sind, wissen Streamingdienste spätestens seit “Breaking Bad”. Ihnen ist mit Mafia-Serien wie Gomorrha und Suburra aus Italien gemein: Frauen sind oft die Strippenzieherinnen im Hintergrund, doch auf dem Papier haben die Männer das Sagen. Griselda versucht das umzudrehen, doch zur Wahrheit gehört:
Auch ein Drogenkartell des Matriarchats folgt der Logik von Gewalt und Kriminalität, das sollte man nicht versuchen, emanzipatorisch zu verklären.
"Griselda" ist als sechsteilige Miniserie auf Netflix zu sehen.