Bayern 2 - Zündfunk

Autorin Alina Bronsky „Mathematik kann einem Chancen geben, die nicht vom Elternhaus abhängen“

„Maxton Hall“ macht’s vor: Geschichten über Liebe und Freundschaft zwischen Arm und Reich treffen einen Nerv. Auch Bestseller-Autorin Alina Bronsky erzählt in ihrem neuen Roman von ziemlich besten Freunden, die auf entgegengesetzten Seiten des Klassenkampfes stehen. Ein Gespräch.

Von: Paula Lochte

Stand: 13.08.2024

Porträt von Alina Bronsky, Autorin der Romane „Scherbenpark“, „Der Zopf meiner Großmutter“ und zuletzt Pi mal Daumen“. Sie blickt lächelnd zur Seite | Bild: Christine Fenzl

Ihr 2008 erschienener Debütroman „Scherbenpark“ über ein Mädchen aus einem sozialen Brennpunkt wurde zum Bestseller und mit Jasna Fritzi Bauer in der Hauptrolle fürs Kino verfilmt. Gefeiert wurden auch ihre Romane „Baba Dunjas letzte Liebe“ und „Der Zopf meiner Großmutter“. Nun hat Alina Bronsky ein Buch geschrieben, in dem Mathematik die Hauptrolle spielt. „Pi mal Daumen“, heißt es. Es spielt an einer Universität irgendwo in Deutschland und erzählt von der Freundschaft zweier Menschen, deren einzige Gemeinsamkeit ihre Begeisterung für Mathematik ist. Was begeistert die 46-jährige Autorin selbst an diesem Fach, das viele mit Blackouts an der Schultafel und Angstschweiß verbinden? Was hat Mathematik mit unserer Gesellschaft zu tun? Und warum scheinen Geschichten über die Liebe oder Freundschaft zwischen Arm und Reich gerade einen Nerv zu treffen? Ein Gespräch.

Zündfunk: Was ist an Mathematik so faszinierend?

Alina Bronsky: Mathematik bringt Ordnung ins Denken. Man ist gezwungen, präzise und logisch vorzugehen. Das ist wohltuend.

Du kommst aus der ehemaligen Sowjetunion, bist die Tochter einer Astronomin und eines Physikers. Hat auch das deine Liebe zur Mathematik entfacht?

Geliebt habe ich Mathematik nie. Was ich aus dem Elternhaus mitgenommen habe, war eher das Gefühl, es wird schon klappen. Verzweiflungsschübe, die viele mit dem Schulfach verbinden, sind mir erspart geblieben. Ich habe eine gewisse Zuversicht mitgenommen. Und als ich dann an der Universität mit Hochschulmathematik zu tun hatte, hat mich fasziniert, wie diese unsere gewohnten Konzepte sprengt und erweitert: kleine Gehirnverdreher wie die Erkenntnis, dass Unendlichkeit unterschiedlich groß sein kann. 

Du hattest Mathematikkurse an der Hochschule?

Genau. Ähnlich wie die Heldin, die ich in meinem Buch beschreibe, war ich schon etwas älter, als ich nochmal an die Uni gegangen bin, um Mathematik auf Lehramt zu studieren.

Du kamst nicht frisch von der Schule, sondern warst bereits über 30 und Mutter. Eine Herausforderung?

Ich hatte gedacht, dass es mir aus diesen Gründen schwerfallen würde – tatsächlich hat es mich reingezogen und ich habe mich sogar leichter getan als befürchtet. Auch weil ich mir nicht alles habe gefallen lassen. Ich habe mir Freiheiten genommen: Bei welchen Dozenten belege ich was und wann? Trotzdem habe ich das Studium nicht beendet. Ich finde den Beruf des Lehrers großartig. In einem anderen Leben wäre ich gern Lehrerin. Aber ich habe gemerkt, dass ich noch lieber Bücher schreibe.

Deine Protagonistin hat, wenn sie in die Uni geht, immer eine große Ikea-Tüte dabei, voller für sie ganz essenzieller Dinge. Vom Einkauf für die Familie über Windeln und Taschentücher, wenn der Enkel mit verschnupfter Nase in der Vorlesung mit dabei ist, bis zu Proviant. Was war in deiner Tasche drin damals?

Ich hatte auch mal mein Kind dabei, das etwas älter war als das Kind im Buch, mit Ausmalbüchern und Snacks. Das war aber eher eine Ausnahme, ansonsten klassisch: Notebook und Schreibzeug.

Das Buchcover von „Pi mal Daumen“ zeigt Hauptfigur Moni.

In deinem neuen Roman „Pi mal Daumen“ treffen zwei ganz unterschiedliche Menschen aufeinander, die beide Mathematik studieren: Moni ist alleinerziehend, schon Großmutter und muss neben dem Studium mehrere Jobs wuppen. Oscar dagegen hat einen Adelstitel, ist hochbegabt, noch nicht mal volljährig und hat Angst vor U-Bahnen, Keimen und Menschen. Die beiden werden trotz allem Freunde. Ist das Wahrheit oder Wunschdenken?

Beides. Es ist ein Roman, eine fiktive Geschichte mit märchenhaften Elementen. Aber auch Märchen stehen für wahrhaftige Zusammenhänge. Ich glaube fest daran, und habe es auch erlebt, dass ein gemeinsames Interesse eine Brücke bauen und Unterschiede neutralisieren kann. Zum Beispiel Klassenunterschiede, ein unterschiedliches Alter oder Geschlecht. In dem Moment, wo man sich sehr stark verbunden fühlt durch ein gemeinsames Interesse, verschwindet alles andere.

Dein Roman erzählt von so einer unwahrscheinlichen Freundschaft zwischen zwei Personen, zwischen denen Welten liegen. Geschichten wie diese scheinen aktuell einen Nerv zu treffen. So zum Beispiel auch die auf einer Buchreihe basierende Serie „Maxton Hall“, eine der erfolgreichsten Serien von Amazon Prime überhaupt. 

Ich habe sie auch geguckt!

Der Plot: Boy meets girl – oder um genau zu sein, poor girl meets rich rich boy. Sie verlieben sich, obwohl es auch total unwahrscheinlich ist. Was steckt da für eine Sehnsucht dahinter, dass gerade diese Geschichten aktuell so verfangen?

Das ist ein Klassiker und spiegelt wahrscheinlich unsere Sehnsucht, dazuzugehören. Wenn wir uns in irgendeinem Bereich ausgeschlossen fühlen, und das kann sehr schnell passieren, sehnen wir uns nach einer Geschichte, in der das überwunden wird, weil eine andere Stärke zählt. Es ist die Aschenputtel-Geschichte. Dass man durch sein reines Wesen oder durch seinen scharfen Verstand oder durch beides, Geschenke des Schicksals bekommt in Form von einem Zugang in eine Welt, die einem versperrt erschien.

Und was bräuchte es, damit diese Märchen Realität werden?

Märchen werden nicht Realität, dafür sind sie Märchen. Ähnlich wie Mathematik können sie helfen, dass wir unser Unterbewusstsein daran strukturieren. Aber um die Frage ganz handfest zu beantworten, es würde natürlich nicht schaden, wenn die Bedingungen an den Universitäten deutlich menschenfreundlicher, familienfreundlicher wären als das, was ich teilweise erlebt habe.

Also mehr Bildungsgerechtigkeit, mehr Chancengleichheit?

Das ist immer gut. Und: Mathematik kann einem Chancen geben, die nicht vom Elternhaus abhängen. Ein Instrument kann ich nicht lernen, wenn ich keines habe. Um Klavier zu spielen, brauche ich ein Klavier. Für Mathematik braucht man außer seinem Gehirn, einem Stift und einem Blatt Papier oft erfrischend wenig.

„Pi mal Daumen“ von Alina Bronsky ist bei Kiepenheuer & Witsch erschienen, 272 Seiten, 24 Euro.

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Die Österreicherin Stefanie Sargnagel zählt zu den geistreichsten und lustigsten Autor:innen im deutschsprachigen Raum. Gerade ist sie auf Lesereise mit ihrem aktuellen Buch "Iowa. Ein Ausflug nach Amerika". Ein Gespräch über vermeintliche europäische Erhabenheit, Altersdiskriminierung und natürlich: das Fliegen auf Pelikanen. [mehr]