Bayern 2 - Zündfunk

Meron Mendel "Ich beneide niemanden, der gerade in Israel Entscheidungen treffen muss"

Meron Mendel ist in Israel in einem Kibbuz aufgewachsen und arbeitet heute als Professor für Soziale Arbeit und Direktor der Bildungsstätte Anne Frank in Deutschland. Bei den Anschlägen der Hamas verlor auch er Freunde. Seit dem Wochenende ist er in ständigem Kontakt mit seiner Familie in Israel.

Von: Oliver Buschek

Stand: 12.10.2023

Prof. Dr. Meron Mendel ist Historiker, Pädagoge und Direktor der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt am Main.  | Bild: BR/Vera Johannsen

Zündfunk: Sie telefonieren mit Freunden und Verwandten in Israel in diesen Tagen. Was hören Sie von dort?

Meron Mendel: Die Angst und der Schock sitzen sehr, sehr tief. Keiner konnte sich so etwas vorstellen, wie es sich seit Samstag abgespielt hat. Diese Gewaltexzesse, der Mord an über 1.200 Zivilisten, die Vergewaltigung von Frauen, die Verschleppung von Kindern und alten Menschen. Solche Terrorakte kannten wir vom Islamischen Staat in Irak und Syrien. Das jetzt in Israel zu erleben, damit hat niemand gerechnet.

Wie konnte die Brutalität und Menschenverachtung der Hamas diesmal so offen durchgezogen werden?

Der Überraschungscoup an sich hat das ermöglicht. Durch die Überraschung hatte die Hamas die Möglichkeit, das zu tun, wovon sie bislang nur geträumt hat. Dass sie über 24 Stunden lang nahezu ungehindert durch israelische Kibbuzim, Dörfer und Städte laufen konnten um systematisch Kinder, Frauen, Männer und alte Menschen hinzurichten. Bisher war die Grenze so gut wie abgeriegelt. Nun konnten hunderte Terroristen ungehindert über die Grenze kommen.

Schauen wir auf die Reaktionen im Ausland und auch ganz konkret hier in Deutschland. Da gab es ja nicht nur Mitgefühl. Sondern da gab es auch Freudentänze auf den Straßen und in den sozialen Netzwerken. Da wurden die Hamas-Terroristen als Freiheitskämpfer gefeiert. Können Sie das in irgendeiner Form nachvollziehen?

Das Phänomen gibt es nicht nur in Deutschland, auch in anderen Ländern, vor allem in muslimisch geprägten Ländern. Das ist kein Novum, wir haben die Identifikation mit der Hamas auch 2014 und 2021 gesehen, zur Zeit der letzten Eskalationen. Die Besonderheit hier ist wirklich die totale moralische Verblendung. Wenn Leute auf den Straßen feiern, nachdem von der Hamas Frauen vergewaltigt, Kinder verschleppt und ermordet werden. Dieses Ausmaß der Grausamkeit, das wir gesehen haben, ist beispiellos im Palästina-Konflikt. Das ist vergleichbar mit dem IS. Dass das trotzdem nicht in Teilen der migrantischen Bevölkerung ankommt, das ist für mich der Beweis für einen moralischen Abgrund, den wir hier in der Gesellschaft haben.

Nun bereitet Israel eine Bodenoffensive vor, und man muss ja davon ausgehen, dass bei so einer Bodenoffensive nicht nur Hamas-Kämpfer und israelische Soldaten ums Leben kommen werden, sondern auch weitere unschuldige Zivilisten im Gazastreifen. Was ja auch das Kalkül der Terroristen ist, den Hass weiter zu nähren – und was in den letzten Jahrzehnten auch erschreckend gut funktioniert hat. Sehen Sie irgendeinen Weg, diesen Teufelskreis einmal zu durchbrechen?

Es ist kein Zufall, dass die Israelische Armee bisher davon abgesehen hat, im Gazastreifen eine Bodenoffensive zu starten. Denn es ist ein dicht bevölkertes Land mit sehr vielen Kindern – die die Hamas als Schutzschild missbraucht. Das ist ein riesiges Dilemma. Dazu kommt noch, dass derzeit etwa 150 Israelische Zivilisten, vor allem Kinder, ältere Leute und Frauen als Geiseln der Hamas gehalten werden. Und die Hamas hat bereits gedroht, diese hinzurichten, sollte es zu einer Bodenoffensive kommen. Ich beneide niemanden, der gerade in Israel Entscheidungen treffen muss.

Aber dennoch noch einmal die Frage, sehen Sie irgendeinen Weg, den Hass im Nahen Osten zu überwinden?

Wir müssen schauen, welche Kräfte sich innerhalb der Israelischen Gesellschaft und innerhalb der Palästinensischen Gesellschaft für den Frieden einsetzen wollen. Welche liberalen Kräfte es gibt. Andere als jene Kräfte, die diesen Konflikt immer wieder anfeuern, mit ihren radikalen, extremistischen und fundamentalistischen Weltanschauungen. Ich habe in den letzten Jahren immer wieder hier in Deutschland Menschen getroffen, die mir erklärt haben, die Hamas sei doch nicht so schlimm. Und man müsse doch nur mit ihnen verhandeln. Die Hamas will aber nicht verhandeln. Ihr Ziel ist die Vernichtung Israels und die Vernichtung der Juden. Deshalb gilt für die deutsche Entwicklungshilfe und humanitäre Hilfe, dass wir uns irgendwie Partner in den palästinensischen Gebieten suchen müssen. An allererster Stelle die Fatah-Regierung, die gegenüber der Hamas gemäßigt ist. Und dann genauso in der Israelischen Gesellschaft. Wir müssen die liberalen Kräfte auf beiden Seiten unterstützen.