Mine „Ich war immer super kreativ in der Schulzeit - aber nicht so wahnsinnig kompatibel"
In ihrem neuen Album "Baum" entblättert Mine ihre Persönlichkeit und taucht in die Themen Selbstakzeptanz und persönliches Wachstum ein. Ein Gespräch über das Älterwerden, vergangene Lebenskämpfe, die sie inspirieren und warum es gut ist, nicht immer in der Masse mitzuschwimmen.
Mines neuestes Album "Baum" ist persönlich. Sie reflektiert über die Verbindung ihrer Musik zu ihren bisherigen Lebensphasen und Herausforderungen. Besonders auch eine Lebensphase: Es geht in einigen Tracks um ihre Jugend und die damit verbundenen Kämpfe, die ihre Musik geformt haben. Jede Phase – eine neue Schicht, ein neuer Jahresring für ihr Selbst. Im Interview erklärt sie, warum es wichtig ist, mehr in anderen Menschen zu erkennen als der erste Blick verrät und warum ihr das auch bei ihrer musikalischen Ausdrucksweise hilft.
Zündfunk: Das Titelstück deines neuen Albums finde ich sehr schön, wie auch das Cover, wo aus deinem Kopf Äste mit Blättern drauf rauskommen. Anfangs singst du aber “All diese Bilder, ich brauche sie nicht! Nur ich kann sie sehen, in meinem Gesicht.” Was siehst du, wenn du dich im Spiegel früh morgens siehst, und welche Bilder laufen in deinem Kopf ab, wenn du “Baum” singst?
Mine: Also für mich ist es so, dass ich das Gefühl habe, ich kann die verschiedenen Schichten in einem Menschen erkennen. Ich hatte früher mal die Vorstellung, dass man, wenn man älter wird, zu einer anderen Person mutiert. Aber das ist eigentlich gar nicht so. Man ist irgendwie alles gleichzeitig. Also ich sehe in mir selbst, wenn ich im Spiegel sehe, viele Phasen von mir: das Kind, die Jugendliche, die Anfang Zwanzigjährige, bis eben zu meinem jetztigen Ich. Das kann ich irgendwie alles erkennen, weil ich mich ja schon mein Leben lang immer wieder mal im Spiegel angesehen habe.
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Mine - Baum (official video)
In deinem Album geht es auch darum, sich selbst zu akzeptieren und zu wachsen. Ich habe mal gelesen, deine inneren Kämpfe rühren daher, dass du dich als Jugendliche auf dem Gymnasium nicht angenommen gefühlt hast. Stimmt das?
Ja, das stimmt. Also ich war ein ganz klassisches Mobbing-Opfer in meiner Schulzeit und hatte da sehr große Probleme damit mich dort einzufügen. Ich habe dann in meinen Zwanzigern sehr viel Zeit damit verbracht, über mich zu reflektieren. Ich habe da auch eine Therapie und viele andere Sachen gemacht. Mir war’s wichtig, mich selbst erstmal anzuschauen und zu fragen, wer bin ich überhaupt, wo will ich überhaupt hin. Das war eine Selbstfindungsphase.
Hast du rausgefunden, warum ausgerechnet du Mobbing-Opfer warst damals?
Es hat nicht immer nur einen Grund, warum sowas passiert. Ich würde da jetzt auch eher über den allgemeinen Fall sprechen und nicht nur auf mich bezogen. Zum einen spielt einfach Aussehen auch eine große Rolle. Auch Markenklamotten sind nicht unwichtig. Ich war schon immer sehr experimentierfreudig und hatte nicht so Marken, die halt jeder hatte. Das ist natürlich immer eine große Angriffsfläche, vor allem, wenn man dann sich auch ausprobiert in der Mode. Ich komme halt aus dem kleinen Dorf und da war eher anpassen auf der Tagesordnung. Ich stand da eher im Mittelpunkt und war eine sehr laute Person. Ich habe auch immer sehr viel gesungen, ich hatte sehr große Probleme mich zu konzentrieren, habe auch oft in der Schule dazwischengeredet und bin aufgefallen, weil ich nicht gut zuhören konnte. Das sind aber auch lauter so Sachen, die mich natürlich auch auf der anderen Seite super kreativ machen. Aber das war jetzt mit der Schule nicht so wahnsinnig kompatibel.
Gab es da jemand, der dich in der Zeit gerettet hat?
Etwas gab es! Das klingt jetzt cheesy, aber es war die Musik! Ich habe zu Hause alleine immer sehr viel Musik gehört und da habe ich mich immer sehr wohl gefühlt. Das hat mir in dieser Zeit sehr viel geholfen.
Du bist ziemlich erfolgreich. Du bist auch Mutter von Zwillingen vor zwei Jahren geworden. Es geht dir rundum gut, kannst du das private Glück und auch das Glück als Künstlerin richtig genießen oder bist du schon zu sehr von deinen musikalischen Ideen und vom nächsten Projekt getrieben?
Beides. Ich liebe es total neugierig zu bleiben und ich mag auch gern neue Dinge ausprobieren. Ich habe jetzt auch auf dem aktuellen Album zum Beispiel auch ganz viel mit Chören gearbeitet. Ich habe davor noch nie für Chöre arrangiert oder komponiert, das war für mich neu. Da habe ich auch gemerkt, da bin ich noch ein totaler Rookie, habe aber auch richtig große Lust, nochmal richtig einzutauchen und professioneller darin zu werden. Also ich bin schon noch auf jeden Fall eine Getriebene, aber ich bin mir sehr bewusst, dass das gerade eine ganz wertvolle Zeit ist und ich nicht weiß, wie lange das andauert, dass ich das als Beruf machen darf. Musik zu machen, das ist nicht selbstverständlich und ein großes Privileg. Und ich versuche das sehr bewusst wahrzunehmen und zu genießen, weil ich nicht weiß, wie lang oder ob das so weitergeht.
Sind deine Kinder auf Tour dabei?
Nein, die sind nicht dabei. Ich hatte mir das immer so vorgestellt, bevor ich Mutter geworden bin, aber das schaffe ich körperlich und kräftemäßig einfach nicht. Also ich glaube, wenn sie älter sind, habe ich ja sehr große Lust darauf, aber momentan sind sie noch nicht dabei.
“Baum” ist jetzt dein fünftes Album in zehn Jahren. Also du hast eine hohe Schlagzahl! Gab es da auch Momente, wo du dich so getrieben gefühlt hattest, dass du in einem Hamsterrad gelandet bist? Also gab’s Momente, in denen du das Gefühl hattest, dass du für dein nächste Album Songs schreiben musst? Nicht weil du jetzt neue Songs schreiben wolltest, sondern weil da schon das Label wartet und die nächste Tour plant.
Nein, das war nie so. Ich habe mich noch nie unter Druck gesetzt gefühlt, irgendwas machen zu müssen. Das Gute ist auch, ich hatte nie vor, das als Beruf zu machen, es hat sich aus Versehen dahin entwickelt. Ich hatte eigentlich nicht gedacht, dass sich das miteinander vereinen lässt, dass ich so frei schreibe und ich damit mein Brot verdiene, sondern ich dachte, ich mache im pädagogischen Rahmen Musik und verdiene da meine Brötchen, nehme das Geld davon und produziere damit dann Alben, die mir einfach selbst gefallen, damit ich künstlerisch einfach frei bleiben kann. Deswegen war ich da immer schon eine recht freie Person. Es ist eher so ein innerlicher Druck, dass ich manchmal, wenn ich das Gefühl habe, mir wird alles zu viel, mich einfach gerne zurückziehe und Musik schreibe, weil mir das so eine Art Erleichterung bringt. Und wenn ich das zu lange nicht mache, das habe ich auch gemerkt, seit ich ganz frisch Mutter war, da konnte ich eine Weile lang einfach nicht ins Studio gehen, weil ich das dann wieder nicht vereinen ließ. Da habe ich noch mehr gemerkt, wie wichtig mir das ist, einfach Zeit zu haben, Musik zu machen, Aber ich habe überhaupt tatsächlich gar keinen Druck von irgendwelchen Business-Leuten.
In “Copycat” setzt du dich mit Leuten auseinander, denen es an Inspiration und Ideen fehlt und die woanders klauen. Was ist dir in deiner Laufbahn da bisweilen so passiert?
Oh, ich hatte eigentlich viel Glück in der Sache. Also mir persönlich hat noch niemand was geklaut. Also jedenfalls weiß ich davon nichts, aber ich habe das schon in meinem nächsten Umfeld ein paar Mal mitbekommen. Da gab’s Fälle, in denen nicht getaggt und auch keine Credits gegeben wurden. Das finde ich ganz schön schäbig, muss ich sagen! Es hat mich so wütend gemacht, weil, wenn man das so von außen sieht und auch sieht, wie die deutsche Popmusik-Landschaft so aufgebaut ist, die ja in meinen Augen auch viel zu wenig subventioniert wird, fließt so viel Geld in klassische Musik, aber bei Popmusik passiert einfach noch viel zu wenig. Das bedeutet halt auch, dass Booker:innen und Veranstalter:innen gar nicht so frei künstlerisch entscheiden können. In dem Kontext find ich es halt noch schwieriger, wenn man sich dann an Leuten bedient, die halt das total auf die Aufmerksamkeit angewiesen sind, um ihre Kunst zu erhalten. Da ist es wichtig, dass halt in irgendeiner Weise irgendwo Geld reinkommt und man sollte wenigstens nachfragen und Credits geben!
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STAUB
Ich wollte auf einen Song noch zu sprechen kommen, der mich sehr bewegt hat. Das ist “Staub”, wo du den Tod deiner Mutter verarbeitest und darüber singst. Wie ging’s dir damit?
Ich hatte nicht vor, den Song zu schreiben. Ich war gerade auf dem Rosalía-Konzert gewesen und fand es total interessant, wie sie mit Tonskalen umgeht und war am nächsten Tag im Studio am Klavier. Ich wollte eigentlich eine Up-Tempo-Nummer schreiben und dann habe ich den so versehentlich geschrieben. Es war schon sechs Jahre nachdem meine Mutter verstorben war. Also es hat schon einen guten zeitlichen Abstand gehabt, aber ich hatte irgendwie nie so eine richtige Trauerphase. Ich habe dann danach auch tatsächlich kurz überlegt, ob ich den wirklich veröffentlichen will, weil er schon sehr privat ist.
Und du bekommst auch gutes Feedback?
Da kam sehr emotionales Feedback. Menschen können da relaten. Sie fühlen sich einem nah, besonders wenn man ähnliche Dinge erlebt und da jeder Mensch einmal in der Situation ist, dass jemand verstirbt, weil Menschen einfach sterbliche Wesen sind, baut es einfach auf eine Brücke zwischen Zuhörer und Musik.
Jetzt, wo du durch Deutschland tourst. Wie wirken die Menschen, nicht nur deine Fans, auf dich? Wie ist die Stimmung? Im Land und auch bei den Konzerten?
Ich kann tatsächlich nur von den Konzerten sprechen, weil ich gerade so in meiner eigenen Bubble bin, dass ich die Zeit eigentlich nur mit meinem Team verbringe und mit der Zuhörerschaft, die zum Konzert kommt. Ich erlebe es als ein unglaubliches Geschenk. Ich habe eine sehr, sehr gute Zeit und habe das Gefühl, dass die Leute, die zumindest jetzt auf meine Konzerte kommen, ein wahnsinnig offenes Publikum sind. Aber ich zieh halt auch keine Leute an, die die AfD wählen würden, denke ich. Deswegen ich kann dir jetzt nicht sagen, dass das politisch das Land abbildet, aber ich fühle mich in der Bubble, in der ich mich befinde, sehr wohl. Ich habe das Gefühl, dass ich durch die Bank coole Leute um mich habe und ich genieße das gerade sehr.