Die Alben des Jahres 60 gute Gründe für 2012
Überraschung! Der Weltuntergang kam nicht, dafür viele großartigen Alben - aber auch ein paar Enttäuschungen. Die Alben des Jahres 2012 von Zündfunk und Nachtmix. Auf einen Blick.
Platz 1 FRANK OCEAN: Channel Orange (Island)
Erwachsenen-Soul. Der große Stilist des Jahres. Beerbt mindestens Stevie Wonder, vielleicht sogar Marvin Gaye. Dass aus der doch eher pubertären Odd Future Gang, deren Teilzeitmitglied er war, etwa derart Reifes hervorgehen kann, ist ein kleines Wunder. Dass Frank Ocean in seinen Songs auch queere Inhalte verhandelt, macht ihn noch sympathischer.
Platz 2 DIRTY PROJECTORS: Swing Lo Magellan (Domino)
Ja, die machen diesmal auf Männergesangsverein. Den sie aber die synkopischen Beats des R’n’B unterjubeln. So schlau wie schön wie mitunter ergreifend. Hat bei den Nachtmix-Kollegen genauso gepunktet wie in der Zündfunk Redaktion.
Platz 3 SINKANE: Mars (City Slang)
Kam spät im Jahr, aber gewaltig. Was für ein informiertes Album! Weiß um Krautrock, sonischen und unsonischen Jazz genausso wie Afrobeat und P-Funk. Das aber nie streberhaft, sondern mit Nougat und Pop-Sahne.
Platz 4 ALT-J: An Awesome Wave (Infectious)
Ne Spitzen Welle, die haben "die mit dem (Hipster-)Dreieck" 2012 voll erwischt: Von der Kunstvorlesung zum Mercury Prize. Kunst ist das zwischen Konstruktion und Gefühl, oder so - bei Alt-J ab jetzt standard. Genauso der baldige Name als Headliner.
Platz 5 TAME IMPALA: Lonerism (Modular)
Wenn zu viele Leute behaupten, Indie-Rock sei tot, dann tritt meist eine Gegenreaktion ein. Die Australier sehen die Welt vermutlich durch eine große Bong, aber ihr Bandleader Kevin Parker ist ein derart Besessener, dass er die Band zu psychedelischen Höchstleistungen treibt. Da singt dann John Lennon über Monster Magnet Riffs.
Platz 6 FLYING LOTUS: Until The Quiet Comes (Warp)
Um gleich damit rauszurücken: es ist nicht sein bestes Album. Auch wenn die Philosophen unter uns Journalisten es damit entschuldigen, dass Steven Ellison ja auf der Suche nach der Stille war. Aber das letzte Drittel ist natürlich Astral-Jazz vom Feinsten. Und selbst die drittbeste Flying Lotus Platte ist natürlich besser als das Allermeiste.
Platz 7 CHROMATICS: Kill For Love (Italians Do It Better)
Die Band zu einem der Filme des Jahres. Was der „Drive“-Soundtrack schon angedeutet hat, das wurde mit „Kill For Love“ zur Gewissheit: Chromatics haben den manchmal etwas unterkomplexen Elektro-Pop-Genre eine Menge beizubringen. Flirrende, unterkühlte Sexyness zum Beispiel. Und was „Retromania“-Autor Simon Reynolds zum Cover von Neil Youngs „Hey Hey, My My“ zu sagen, das würde uns dann doch brennend interessieren.
Platz 8 SPIRITUALIZED: Sweet Heart, Sweet Light (Domino)
Jason Pierce wird nie einen Kurzhaarschnitt tragen. Warum? Er mag es einfach lang. Seine Haare genauso wie seinen psychedelischen Gospel-Pop. "Sweet Heart, Sweet Light" gibt da endgültig Gewissheit. Die großartige Single "Hey Jane" im 2.30-Radio-Edit? Nur was für Anti-Alkoholiker und Pastoren.
Platz 9 KENDRICK LAMAR: Good Kid, m.A.A.d. City (Interscope)
Shooting Star und der Storyteller unter den Hip Hoppern. Führt die Riege des famosen Hip Hop Jahrgangs 2012 an. Es gibt Menschen, die vergleichen dieses Album mit dem legendären Nas-Debüt. Aber sagt mal, ist es nicht vielleicht sogar besser?
Platz 10 PERFUME GENIUS: Put Your Back N 2 It (Matador)
Perfume Genius ist in vielerlei Hinsicht der Missing Link zwischen Antony Hegarty und Michael Stipe - seine latente Queerness und das Gefühl für reduzierte Melodien auf "Put Your Back N 2 It" bringen straighte Zuhälter und transsexuelle Paradiesvögel gleichermaßen zu was? Natürlich, zum Weinen.
Platz 11 GRIZZLY BEAR: Shields (Warp)
Wer Fans von Crosby, Stills, Nash and Young und Arcade Fire gleichermaßen beeindrucken kann, der hat eine Top 20-Platzierung redlich verdient. Amtliches Album, ohne Zick Zack. Facebook-Status bitte ändern! Von "Hip" zu "Essentiell".
Platz 12 CAT POWER: Sun (Matador)
Vielleicht der Pechvogel des Jahres: Trennung, Krankheit, Pleite, Niedergeschlagenheit. Und trotzdem gelangen Chan Marshall auf „Sun“ einige ihrer besten Songs. Allein das eklektische "Duett" mit Iggy Pop ist hörenswert. Still the greatest.
Platz 13 ARIEL PINK'S HAUNTED GRAFFITI: Mature Themes (4AD)
Der kleine Giftzwerg aus Beverly Hills macht 2012 einen auf "Grown-Up" - hat aber immer noch äußerst erquickend lächerliche Momente. Ariel, tanz ruhig deinen Schnitzel-Boogie, bald wird dir der perfekte Pop-Song über den Weg laufen - und rotzegal, ob der dann "Wurst-Cha Cha Cha" oder "Brezn-Schwofer" heißt, er wird Soul haben.
Platz 14 STABIL ELITE: Douze Pouze (Italic)
Krautrock kommt 2012 wieder aus Düsseldorf. Stabil Elite sind junge Intellektuelle, ohne Stock im Hintern. Auch Disco, Electronica und Ambient sind ihnen bestens vertraut. Mit Titel wie "Rave Maria", "Expo" oder "Aether" bestimmen Stabil Elite den modernen deutschen Krautrock - und das außerhalb von Museumswänden.
Platz 15 KID KOPPHAUSEN: I (Trocadero)
Wären zwei Songpoeten auf einer Platte nicht melancholisch genug, entschläft der eine, Nils Koppruch, im Oktober friedlich der Welt und hinterlässt neben unfassbarer Traurigkeit mit "I" einen Höhepunkt seiner Diskografie. Nils, mach's gut.
Platz 16 MICHAEL KIWANUKA: Home Again (Polydor)
Noch so ein Stilist. Melancholischer Soul von einem jungen Briten, der wie keiner anderer 2012 an balladeskem Folk-Pop geschult ist. Vor allem „Tell Me A Tale“ erinnert auf angenehme Weise an den dieses Jahr leider verstorbenen Terry Callier. Welcome home again.
Platz 17 DAPHNI: Jiaolong (Jiaolong)
Ober-Prof Dan Snaith gelingt vieles, und das scheinbar mühelos. Mit Caribou Vorband für Radiohead, hinterher am DJ-Pult mit Thom Yorke. Toller Remixer für u. a. Sinkane. Und jetzt mit Daphni stellenweise aufregenden Afro-House.
Platz 18 THE XX: Coexist (Young Turks)
Ja, der 18. Platz für The XX ist schon eine kleine Enttäuschung. Sie haben nicht viel falsch gemacht mit ihrem zweiten Album, nach ihrem überragendem Debüt. Aber dem eben auch nicht viel Neues hinzufügen können. Außer der wieder hinreißenden Single „Angels“. Natürlich trotzdem ein gutes Album.
Platz 19 COLD SPECKS: I Predict A Graceful Expulsion (Mute)
Die Nische zwischen einer Adele und The XX ist noch ziemlich groß und Al Spx alias Cold Specks die erste, die es sich dort bequem macht.„Doom Soul“, Soul der Verdammnis, nennt die 23-jährige ihren Sound – ein Begriff über den viel geschrieben wurde, weil viele Menschen vom Fach dachten, so sanft kann kein „Doom Soul“ klingen. Doch, kann er. Verdoomt gut so.
Platz 20 ALABAMA SHAKES: Boys & Girls (Rough Trade)
Drall, laut, einfach de beste Rock 'n' Roll 2012 - den spielen Alabama Shakes im Stile einer Marty-McFly-Backing-Band. Die soulige Sängerin Brittany Howard schlüpft in die Rolle der Retro-Beth-Ditto 2012 - oder wir sehen hier die neue Tina Turner. Hauptsache: It shakes.
Platz 21 THE WEEKND: Trilogy (Republic)
Platz 22 DEXYS: One Day I'm Going To Soar (Buback)
Platz 23 JULIA HOLTER: Ekstasis (Domino)
Platz 24 DJANGO DJANGO: Django Django (Because)
Platz 25 WHY?: Mumps (City Slang)
Platz 26 MALA: Mala in Cuba (Brownswood)
Platz 27 SWANS: The Seer (Young God)
Platz 28 WILLIS EARL BEAL: Acoustmatic Sorcery (XL)
Platz 29 SIZARR: Psycho Happy Boy (Four Music)
Platz 30 CLOUD NOTHINGS: Attack On Memory (Wichita)
Platz 31 JESSE BOYKINS III & MELO X: Zulu Guru (Ninja Tune)
Platz 32 POLICA: Give You The Ghost (Memphis Industries)
Platz 33 LIGHTSHIPS: Electric Cables (Domino)
Platz 34 THE SEA & CAKE: Runner (Thrill Jockey)
Platz 35 MARK EITZEL: Don't Be A Stranger (Decor)
Platz 36 METZ: Metz (Sub Pop)
Platz 37 ANTONY & THE JOHNSONS: Cut The World (Rough Trade)
Platz 38 BOBBY WOMACK: The Bravest Man In The Universe (XL)
Platz 39 GRIMES: Visions (4AD)
Platz 40 SHACKLETON: Music For The Quiet Hour (News a - F Dubstep)
Platz 41 BOB DYLAN: Tempest (Columbia)
Platz 42 MATTHEW E. WHITE: Big Inner (Hometapes)
Platz 43 LAUREL HALO: Quarantine (Hyperdub)
Platz 44 MOODYMANN: Picture This (Scion A/V)
Platz 45 HOW TO DRESS WELL: Total Loss (Domino)
Platz 46 KRAFTKLUB: Mit K (Vertigo)
Platz 47 REGINA SPEKTOR: What We Saw From The Cheap Seats (Sire)
Platz 48 SCOTT WALKER: Bish Bosch (4AD)
Platz 49 DIE TÜREN: ABCDEFGHIJKLMNOPQRSTUVWXYZ (Staatsakt)
Platz 50 TU FAWNING: A Monument (City Slang)
Platz 51 ACTRESS: RIP (Honest Jons)
Platz 52 BILL FAY: Life Is People (Dead Oceans)
Platz 53 KINDNESS: World, You Need A Change Of Mind (Cooperative)
Platz 54 LAS MALAS AMISTADES: Maleza (Honest Jons)
Platz 55 MORITZ VON OSWALD TRIO: Fetch (Honest Jons)
Platz 56 MARTHA WAINWRIGHT: Come Home To Mama (Cooperative)
Platz 57 MUMFORD & SONS: Babel (Island)
Platz 58 KREIDLER: Den (Bureau B)
Platz 59 FIONA APPLE: The Idler Wheel Is Wiser Than The Driver Of The Screw And Whipping Cords Will Serve You More Than Ropes Will Ever Do (Sony)
Platz 60 XIU XIU: Always (Cooperative)
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wlm, Samstag, 22.Dezember 2012, 08:59 Uhr
3. habs nicht kapiert...
Ne Spitzen Welle, die haben "die mit dem (Hipster-)Dreieck" 2012 voll erwischt: Von der Kunstvorlesung zum Mercury Prize. Kunst ist das zwischen Konstruktion und Gefühl, oder so - bei Alt-J ab jetzt standard. Genauso der baldige Name als Headliner
???
anja, Freitag, 21.Dezember 2012, 22:34 Uhr
2. die Alben des Jahres
Ganz wunderbar anregend geschrieben
Endlich wieder neuer Input!
ich werde mich durch die unbekannten aber angefixten Sphären schleusen
(achtung drohung) und womögliuch berichten
DANKEDANKE
froh und munter
Weihnachtsland unter
anja
kai aus murnau, Freitag, 21.Dezember 2012, 22:28 Uhr
1.
Liebes Zündfunkteam,
Kauft Ihr jetzt alle bei Manufaktum Eure Unterwäsche, oder warum klingt es in meinen Ohren alles nach weichgespülter Kaufhausbeschallung, was an den Alben des Jahres 2012 präsentiert wird?
Wo bleibt denn die Unverfrorenheit der von Euch geforderten Lausbuben, die sich charmant in der Vergangenheit – ohne Dreieckstätowierung auf dem Unterarm – der Popgeschichte bedienen, und Fünfe gerade sein lassen, weil sie nach vorn blicken? Sonnenbebrillt, nicht aus modetechnischen Gründen, sondern wegen der Augenringe und den Schmerzen, die das Sonnenlicht bei solchen Burschen nun mal verursacht, da sie zu gern naschen, von den Sachen, die mit dem Gesetz auf Kriegsfuß stehen.
Zur Strafe besorgt Ihr Euch jetzt alle die Platte des Jahres 2012: Hellshovel-Hated By The Sun (Slovenly). Zehn Lieder in 35 Minuten. Plastik. Nix Downloadcode und so. Wütend und nostalgisch, ohne dass sie einem blöd kommen. Das Quartett aus Montreal wiederholt die 60er, aber ohne dabei zu ironisieren oder sich hipper als die Hipster zu gebärden. Und die bedinglose Vergötterung der Vergangenheit, die ansonsten unvermeidbar ist bei aller Retroseeligkeit allenthalben, können die vier Rauschkugeln nicht einmal buchstabieren. Stattdessen soll sie der nach Hause geleiten, der sie dorthin gebracht hat.
Bedingt durch hemmungslosen Genussmittelgebrauch sind die Aufnahmeregler im roten Bereich angesiedelt und Luschen wie die Black Keys oder Jack White würden die eigene Großmutter verkaufen, um so einen Sound hin zubekommen. Von den Songs ganz zu schweigen.
Aber vielleicht bin ich ja nur ein wütender alter Sack, aber ich bin nicht blöd. Oder wie es Superpunk ausdrückten: „Du bist ein Opfer des Trends, jeder kann es sehen, lieber bleib ich alleine, als mit dir zu gehn. Ich bin kein Ignorant und ich bin kein Idiot.“
Amen.