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Auf dem South by Southwest Vergesst die Musikindustrie!

Auf dem South by Southwest-Festival in Austin spürt man die Widersprüchlichkeit der US-Musikindustrie: Tausende Musiker spielen ohne Gage und reißen sich um Aufmerksamkeit, die vor allem den großen Bands und ihren Sponsoren zukommt.

Von: Michael Bartle

Stand: 14.03.2014 | Archiv

Die Straßen von Austin sind während des SXSW Festivals gepackt voll: Überall Musiker und Fans, mittlerweile reisen auch unglaublich viele Europäer extra für das Festival nach Texas. | Bild: BR

Der Flughafen macht alles klar: Welche Stadt begrüßt einen schon direkt nach der Landung mit dem Willkommens-Schild "Welcome to the live music capital oft he world"? Die Stadt Austin branded sich als Pop-Standort und hat die Livemusik kapitalisiert. Beim South By Southwest Festival ist das in aller Gigantomanie und auch in aller Widersprüchlichkeit zu spüren. Mehr als 2.000 Bands spielen hier in den zahllosen Clubs, fast alle umsonst. Viele Künstler finanzieren ihre Reise in die Live-Music-Hauptstadt über Crowdfunding oder schnorren sich die Kohle bei Freunden zusammen. Die meisten Acts - auch die schon etwas größeren - spielen in Austin dann 4 bis 6 Gigs, immer in der Hoffnung, irgendein A&R, irgendeine Plattenfirma möge sie doch entdecken. Sie haben den Ehrgeiz herauszustechen aus der Masse der 1999 anderen Bands.

Grüße vom Indie-Ballermann!

Austin und die South By, wie Kenner das Festival liebevoll und checkermäßig abkürzen, hat sich verändert. Das sagt uns Jeff, unser Vermieter, der wie viele hier in Austin in einer ganzen Handvoll Bands spielt. Mit den Gutter Twins und den Twilight Singers war er immerhin schon auf dem Nirvana-Label Sub Pop.

"Früher kamen die Scouts der Plattenfirmen, um hier neue Acts zu entdecken. Heute haben sie diese Acts bereits und stellen sie all den Fans und großen Firmen vor. Die Wahrscheinlichkeit, dass du dir heute beim South By einen Plattenvertrag erspielst, liegt vielleicht bei einem Prozent."

Jeff

Auf der 6th Street, dem Indie-Ballermann von Austin

Mittags in der 6th Street, dem Indie-Ballermann von Austin. In den zig Clubs spielen schon nachmittags mehr Bands als in München in einer ganzen Woche. Wer auf der Straße entlangschlendert, erntet Kakophonie: Der Sound, der sich aus allen Clubs zusammenbraut, grenzt an Folter - nicht weil die einzelnen Bands so schlecht wären. Es gibt ein Zuviel an Tönen. Und an vielen Türen das Schild: „Free Live Music“ - nicht der Zuschauer muss zahlen, sondern die Bands für Anreise und geplatzte Träume.

Die Bands zahlen: für Anreise und geplatzte Träume

Das Geld liegt in Austin nicht auf der Straße, das Geld liegt im Netz. Seit sich das South By noch ein Film- und vor allem das Interactive-Festival gegönnt hat, kommen eine ganze Menge Investoren, Start-ups und Internetfirmen nach Texas. Roboter und "wearables" waren die ganz großen Themen dieses Jahr. Der größte "wearable" wird das intelligente Auto sein, ein Auto das dich sicher nach Hause fährt und einen großen Computer an Bord hat. Und das gefräßige Silicon Valley hofft schon jetzt, dass die entscheidende Autokauf-Frage in Zukunft nicht die sein wird, ob man einen BMW oder einen Cadillac fährt, sondern welches Betriebssystem dein Cadillac hostet. Is Internet killing the car industry?

Noch ist es nicht soweit, auch wenn Silicon Valley heute längst mehr Umsatz macht als die drei großen amerikanischen Autobauer. Aber man kann sich ja gegenseitig befruchten: Den Start-up-Preis abgeräumt hat in Austin die junge kalifornische Firma Skully, die intelligente Motorradhelme baut, Helme mit Software und "augmented reality": Da muss man nicht mehr in den Rückspiegel schauen, das ist alles in deinem Sichtfeld im Helm, samt Navigation und Wetterprognose.

2015 wird es mehr Roboter als Menschen geben

Schon im nächsten Jahr, so die Prognose der zukunfts-narrischen US-crowd werden wir Menschen eine Minderheit sein. 2015 wird es mehr Roboter geben als Menschen. Ich hätte mir bereits auf der South By einen intelligenten Partner gewünscht, einen Roboter, der sich für mich in den Schlangen vor den Konzerten anstellt. Bei sengender Nachmittags-Sonne, leichtsinnigerweise ohne Käppi und Sonnencreme, standen wir über eineinhalb Stunden in der Schlange vor dem Spotify-House, um die auch in Austin hoch gehandelte britische Band Jungle zu sehen. Das Konzert war dann tatsächlich gut. Aber wie soviele Konzerte hier war es eher kurz: 30 Minuten, dann bitte Platz machen für die nächste Band. Kein gutes Verhältnis: 30 zu 90!

Der Unfall

Am Mittwoch Nacht dann die Katastrophe, auch sie hat indirekt mit Schlangen vorm Einlass zu tun. Ein Betrunkener rast auf der Flucht vor der Polizei durch eine Absperrung, mitten hinein in den autofreien Bereich, wo die Clubs hier beim South By am Abend ihre Konzerte veranstalten. Vor dem Mohawk Club, wo die Firma Vans einen Abend mit der legendären US-New-Wave-Band X und Tyler The Creator hatte, hat er kurz nach Mitternacht ein gutes Dutzend vor der Tür wartender Clubbesucher mit dem Auto gerammt, um dann einen Fahrradfahrer und eine Mopedfahrerin tödlich zu verletzen. Die Band X war fast am Ende ihres Sets. Unser Freund und Vermieter Jeff stand zu dem Zeitpunkt direkt vor der Bühne, er ist mit Sänger John Doe von X eng befreundet.

Nicht alle wollen Musik verkaufen

Das Line-up - Lady Gaga wird noch auftreten, Damon Albarn auch.

Einige Clubs entlang der Red River Street werden gesperrt bleiben, aber das Festival geht weiter. Lady Gaga wird noch auftreten, Damon Albarn auch, eine Menge großer Namen stehen noch auf dem Programm. Und nicht alle wollen unbedingt Musik verkaufen. Am Mittwoch Nachmittag haben gleich drei alte Hasen ihre Start-ups vorgestellt: Dr. Dre, der mit einem Streaming-Dienst Spotify Konkurrenz machen will. Puff Diddy-Daddy, beschützt von einer Armada an Leibwächtern, hat hier in Austin auf der South By sein neues Musikfernsehen „Revolt TV“ gepriesen. Und, von den eher jungen Zuhörern und Zuhörerinnen mit einer Mischung aus Andacht und Ehrfurcht empfangen: Neil Young, der mit dem neuen, intelligenten Abspielgerät „Pono“ seinen Kreuzzug gegen schlechte Soundqualität und die mp3 fortführen will:

"Music is not real estate. I love every note on every song on most of the records. And many of them are based on echoes, but mp3 don’t have echoes. Why should we suffer from inferior quality because of some giant megatech companies?"

Neil Young

Immerhin, die Tools des Internets nutzt auch Neil Young. Um Pono zu finanzieren, hat er eine große Kickstarter-Kampagne angezettelt - und innerhalb von ein paar Stunden fast eine halbe Million Dollar eingefahren.

Wer sind die "most talked about bands"?

Jarvis Cocker, Frontmann von Pulp, bei seiner "Knie-Note"

Davon können all die unbekannten Bands auf dem SXSW nur träumen. Die meisten spielen ohne Gage auf eher unterkomplexen Anlagen drei Shows am Tag in der "live music capital oft he world". Immerhin: Noch wird sie uns Reportern immer wieder die Frage gestellt: Wer sind sie, die "most talked about bands" beim SXSW?
Jungle waren toll, Lucius sind auf viel Sympathien gestoßen, Chance The Rapper wird dieses Jahr durch die Decke gehen und ein altes Traditionslabel hat sich sehr überzeugend face-gelifted: Das Pink Floyd-Label Harvest hat im Haven am Dienstag abend mit einer ganzen Reihe neuer Künstler überrascht: Watch out for Banks, Arthur Beatrice, The Preatures und die Glass Animals.

Ihr findet unsere South-By-Entdeckungen auf "Bartle Recommends" bei Spotify:


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