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"Saltburn" Warum der Hype-Film eine riesige FDP-Satire ist

Dank „Saltburn“ ist der Song „Murder On The Dancefloor“ wieder in den Charts. Seit der Film bei Amazon erschienen ist, spaltet er jedoch das Netz. Viele sehen im Film eine missglückte Eat-The-Rich-Erzählung. Dabei geht es eigentlich um etwas anderes.

Von: Ferdinand Meyen

Stand: 10.01.2024

Oliver Quick, der Hauptheld im Film "Saltburn" | Bild: picture alliance / ZUMAPRESS.com | MRC Film

Oliver traut seinen Augen kaum. So etwas hat er noch nie gesehen. Das Wort „Villa“ wäre noch eine Untertreibung für das Anwesen, auf das ihn sein College-Freund Felix diesen Sommer mitgenommen hat. Gemälde von englischen Königen hängen an den Wänden, die Zimmer sind so groß, dass man darin Rock-Konzerte abhalten könnte, vor dem Anwesen stehen gigantische Skulpturen, der Irrgarten ist gewaltig. Willkommen in Saltburn! . Zum Kinostart im November 2023 hat Saltburn kaum jemand wahrgenommen. Seit Amazon Prime den Streifen letzte Woche aber prominent auf seine Startseite gepackt hat, sorgt er im Internet für Aufregung. Der Film ist so populär, dass sogar der über zwanzig Jahre alte Song „Murder On The Dancefloor“ von Sophie Ellis-Bextor wegen einer Tanz-Szene in Saltburn wieder in die Charts gekommen ist.

Darum geht es in „Saltburn“

Der reiche Student Felix, gespielt von Jacob Elordi

„Saltburn“ erzählt die Geschichte des jungen Studenten Oliver Quick, der eine exzentrische englische Aristokratenfamilie kennenlernt. Beeindruckt von ihrem Wohlstand will auch Oliver ein Stück vom Kuchen abhaben – und treibt die Familienmitglieder nach und nach in den Wahnsinn. Ausgangspunkt der Geschichte ist die College Freundschaft zwischen Oliver und dem Sohn der Familie, Felix. Weil die beiden sich gut verstehen und Felix Mitleid für Oliver empfindet, darf er in den Sommerferien auf dem Adels-Anwesen Saltburn wohnen. Dort integriert sich Oliver nach und nach und findet Geschmack an Parties, Butlern und dem reichen Lebensstil. Die Folgen für die Familie sind fatal.

Warum Saltburn als Eat-the-Rich-Erzählung scheitert

Die meisten Kritiker sehen in Saltburn eine klassische Eat-the-Rich-Erzählung. Ein junger Mann aus der Unterschicht wird mit perversem Wohlstand konfrontiert – was bleibt ihm anderes übrig, als diesen zu zerstören. Saltburn hat diese Anspielungen. Immer wieder wird Oliver von Felix und dessen Familie gedemütigt. Die alte Story, dass man dem Aufsteiger seinen Aufstieg immer ansehen wird. Hat man alles schon dutzende Male gesehen.

Ein Bärendienst für den Klassenkampf

Die Deutung der Kritiker ist deshalb: Saltburn singt das Lied vom Klassenkampf – aber trifft die Töne nicht.  „Eigentlich werden in Saltburn nur die Enden von Parasite und Knives Out verwoben – der Mord an den Reichen und die Übernahme des Herrenhauses – um dieselbe Geschichte noch einmal aufzuwärmen“, schreibt Ole Nymoen im Jacobin Magazin. Und in der taz schreibt Carolina Schwarz: „Für Kritik an der Klassengesellschaft bleibt der Film zu oberflächlich und uneindeutig.“ Außerdem sind die Szenen teilweise unglaublich widerwertig. Man muss sich fast übergeben, wenn man Oliver dabei beobachtet, wie er das Sperma seines Kumpels Felix aus dem Badewannenabfluss leckt, weil er sich wünscht, so zu sein wie er. Wer soll da noch Sympathien für den Klassenkämpfer haben? Und dann auch noch Kapitalismuskritik powered by Amazon! Als nächstes eröffnet Freddy Krueger eine Schlafklinik.

Die Kritiker verstehen Saltburn falsch

Szene aus "Eat The Rich", 1987

Kein Wunder, dass Saltburn so spaltet – und im Netz viel Aufmerksamkeit erregt. Dabei verstehen die meisten die politische Kritik des Films falsch: In „Eat The Rich“ zum Beispiel, der Spielfilm aus dem Jahr 1987, geht es um einen jungen Kellner, der ein Nobelrestaurant, in dem Reiche speisen, mit Hilfe von Terroristen radikal umgestaltet. Er ermordet die Besucher und Betreiber, benennt das Restaurant um in „Eat The Rich“ und verfüttert die Reichen, die dort gespeist haben, an seine neuen Gäste. „Eat The Rich“ heißt also: radikale Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse.

Darum geht es in Saltburn wirklich

In Saltburn geht die Geschichte aber ganz anders aus. Der Protagonist Oliver Quick will die Verhältnisse gar nicht verändern. Sein einziges Interesse ist, ebenfalls reich zu werden, den Wohlstand der Adels Familie für sich zu haben. Deshalb ist Oliver keine Klassenkämpfer-Karikatur, sondern die eines neoliberalen FDP-Wählers. Oliver hat kein Interesse an sozialer Gerechtigkeit, es geht ihm nur um sich selbst. Und dabei ist ihm jedes Mittel recht. Im Grunde ist Oliver ein Meritokrat, jemand, der glaubt, dass er sich seinen Status durch Leistung erarbeiten kann. Die Rechtfertigung seiner Taten ist die eigene Überlegenheit gegenüber der reichen Familie. So ist es für Oliver nur folgerichtig, dass er am Ende das Anwesen übernimmt.

Saltburn ist eine Absage an die Meritokratie

Oliver am Morgen nach einer Party auf dem Saltburn-Anwesen

Der meritokratischen Ideologie, für die Oliver steht, folgen in Deutschland noch immer viele Politiker und Parteien. „Leitkultur muss schon mal sein, dass sich Leistung mehr lohnen muss als Sozialmissbrauch“, twitterte der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger zum Beispiel im Dezember 2023. Auch CDU-Chef Friedrich Merz forderte im September im Bundestag: „Leistung muss sich wieder lohnen!“ In seiner Rede bezog sich Merz explizit auf den Klassenkampf, wies diesen zurück und forderte mehr Entlastungen für Unternehmen und Wirtschaft. Und auch der deutsche Finanzminister Christian Lindner bläst ins Meritokraten-Horn, beispielsweise, wenn er argumentiert, dass das Bürgergeld nicht angehoben werden darf. Sozialleistungen, so skizziert es Lindner im BR-Interview, seien nur dann gerecht, wenn jemand „unverschuldet“ in einen sozialen Missstand gerutscht sei. „Auf der anderen Seite muss man aber anmerken, dass Menschen zu Recht erwarten, dass Arbeit immer einen Unterschied macht“, so Lindner weiter.

Leistung lohnt sich nur, wenn man über Leichen geht

Saltburn macht sich über solche Aussagen lustig. Die Botschaft: Wer nur durch seine eigene Leistung wohlhabend werden will, muss eigentlich so vorgehen wie Oliver Quick. Lügen, Betrügen, am Ende sogar Morden. Die Ungleichheit zwischen Helden und Adelsfamilie, sie ist so gewaltig groß, dass Oliver die Lücke nur durch ein widerwärtiges und gnadenloses Spiel schließen kann. Auch auf bildlicher Ebene arbeitet der Film immer wieder mit Spiegelungen, vielleicht will er also gar nicht den Klassenkampf beschwören, sondern einfach nur ein Spiegel der Gesellschaft sein. Einer Gesellschaft, die so ungleich ist, dass man sich von harter Arbeit und Leistung vielleicht noch Karten für ein Coldplay-Konzert kaufen kann, aber kein Haus. Eine Gesellschaft, die ein Steuersystem hervorgebracht hat, welches Arbeit hart besteuert und Vermögen schont. Und eine Gesellschaft, in der Politiker noch immer das meritokratische Ideal predigen. Vielleicht ist das die cleverste Frage, die Saltburn aufwirft: Was ist Meritokratie noch wert, wenn sozialer und finanzieller Aufstieg nur noch mit Murder on the dancefloor zu erreichen ist?