SXTN, Schwesta Ewa, Eunique, Namika Wir haben mit Claudia Roth feministischen Deutschrap gehört
2018 ist Deutschrap erfolgreicher denn je, gleichzeitig wurde die Musikrichtung und ihre Subkultur medial noch nie heftiger umstritten. Gleich mehrere rappende Frauen gleichzeitig brechen derzeit mit Stereotypen des Deutschraps. Vizepräsidentin des Bundestags Claudia Roth sieht in einigen von ihnen Potential für ein neues Deutschland.
Deutschrap ist die derzeit mit Abstand erfolgreichste musikalische Jugendkultur hierzulande. RapperInnen wie Kay One, Bausa oder Namika hatten in den letzten zwölf Monaten allesamt Nummer-eins-Hits in den deutschen Single-Charts, Capital Bra hatte sogar gleich fünf (!!!) allein in den letzten drei Monaten. Dennoch: Immer wieder wird die Musikrichtung und die Subkultur insbesondere von anderen Gesellschaftsschichten als homophob, judenfeindlich und menschenverachtend verschmäht. Die Vizepräsidentin des deutschen Bundestags Claudia Roth war vor ihrer Polit-Karriere selbst Musikmanagerin von Musiklegende Rio Reiser und wurde auch schon einmal Zielscheibe eines Diss-Songs von Rapper Bushido. Sie hat sich für uns vier aktuelle Deutschrap-Alben von Frauen angehört.
Ist es gefährlich, eine so relevante und vor allem migrantische und von Arbeiter*Innen geprägte Jugendkultur medial ständig so zu rügen?
Claudia Roth: Nein, aber man muss sie ernst nehmen. Es geht nicht ums rügen. Nur weil sie erfolgreich ist, muss man eine bestimmte Band oder Rapper*in nicht gut finden. Frei.Wild ist erfolgreich, aber ich muss es nicht gut finden. Oder diese Nummer beim Echo: Kollegah & Farid Bang muss ich auch nicht gut finden. Ich finde es ist durchaus legitim, Künstler*innen in einer Zeit ernst zu nehmen, in der Antisemitismus, Islamfeindlichkeit, Homophobie und Sexismus wieder auf dem Vormarsch sind.
Sie haben es erwähnt: „Islamfeindlichkeit“ und auch die gegenüber anderen Minderheiten. Da spielt ja das Framing eine große Rolle. Die meisten Menschen, die Deutschrap hören, gehören zu einer marginalisierten Subkultur und werden in medial dann oft mit diesen negativen Aspekten in Verbindung gebracht. Ist da nicht eine Verantwortung, ständig nicht nur über die negativen Seiten zu sprechen?
Man sollte über die guten Seiten auch sprechen. Die Frage ist nur, ob die professionellen Kritiker*innen tatsächlich eine Ahnung haben, was Rap bedeutet, sich in diese Kultur einfühlen können. Punk hat in den 70er Jahren ja auch unglaublich provoziert mit Symbolen, die nationalsozialistisch verwendet worden sind, natürlich aus einer Haltung heraus, die absolut Anti-Nazi war. Und das war die größtmögliche Provokation. Und ich finde Kunst, Kultur und Rap soll auch provozieren. Die Frage ist nur wie? Da finde ich manche Sachen richtig gut und mit anderen kann ich nix anfangen. Ich kann z.B. mit Schwesta Ewa nix anfangen, das hat nichts Feministisches. Ich finde es legitim zu hinterfragen: Wer steht da auf der Bühne? Muss ich es gut finden, dass sie in U-Haft genommen worden ist? Dass sie zu zwei Jahren Haft verurteilt worden ist? Ich muss das nicht gut finden. Ich möchte, dass man die Künstler*innen ernst nimmt, und dass man es auch als Schrei aus der Minderheit und Provokation versteht und akzeptiert. Bei Schwesta Ewa habe ich keinen Bock so eine Lebensgeschichte zu glorifizieren. Es muss provozieren, aber die Frage ist aus welcher Richtung.
Sie haben jetzt Schwesta Ewa erwähnt. Ist das dann nicht eine Form von Empowerment wenn man von seiner Geschichte spricht und sich nicht dafür schämt? Was stört Sie an Schwesta Ewas Musik und Image?
Also ich bin ganz klar der Meinung: Feminismus muss intersektional sein. Man kann als Frau diskriminiert werden, sexistisch angemacht werden, zusätzlich als Behinderte, als Muslima… ganz klar! Deswegen ist für mich auch Feminismus nicht der weiße Feminismus der Alice Schwarzer, die glaubt zu wissen, dass Feministinnen kein Kopftuch tragen dürfen. Ich kenne wunderbare Feministinnen, die sagen: „Ich trage auch ein Kopftuch“. Aber: Die Glorifizierung von Schwesta Ewa auf ihrem Song „Geständnis“. Ich glorifiziere das nicht, was sie gemacht hat und warum sie in den Knast gegangen ist. Ich nehme sie da ernst uns sage: „Ich finde das scheiße“. Da finde ich zum Beispiel Eunique richtig gut. Ihr Album „GIFT“ ist eine tolle Produktion. Oder Namika, die macht ja tolle Popmusik, das finde ich richtig cool. Vielleicht bin ich da ein Oldie und mag halt solche Sachen.
Als Musikexpertin und Musik-Fan, was macht Eunique so spannend?
Erstens sieht sie klasse aus, performt unheimlich gut. Ihre Produktionen sind gut. Es gibt Streit, ob man Vocoder gut findet oder nicht. Aber sie kommt total modern daher. Sie hat tolle Texte und sie hat eine unglaublich selbstbewusste Art und Weise damit umzugehen. Was mir gefällt ist, dass Rapperinnen einen Einbruch in die Männerwelt machen, weil der Rap ist ja eigentlich eine wirkliche harte Männerwelt. Das habe ich auch im Rock & Roll erlebt. Rock ‘n‘ Roll ist mitnichten frei von Sexismus, das ist eine ganz enge geschlossene Männerwelt. Dass Frauen da einbrechen, finde ich richtig gut. Bei Eunique finde ich es aber gut, dass sie nicht versucht eins zu eins ein Mann zu sein, sondern dass sie auch eine weibliche Komponente mit einbringt. Sie spricht mich an als Frau und das finde ich gut. Sie hat ja auch deutlich gesagt: Sie tritt ein für die „PUSSYtionierung“ und wendet sich gegen alte Mindsets, gegen Geschlechter-Klischees und wirbt für ein kooperatives Verhältnis zwischen Männern und Frauen. Was sie tut, ist genau das für mich: Dieser intersektionale Feminismus. Sie ist Deutschland für mich. Sie ist das junge Deutschland. Das ist jung, das ist vielfältig. Sie beschreibt mit ihrem Auftreten, dass sie eine starke Frau ist, die eine Geschichte hat, die eben nicht die weißen, „deutschen“ AfD-Rollen-Klischees bedient.
Und bei Namika und SXTN sehen Sie das ähnlich?
Namika finde ich einfach einen richtigen Star. Dieses wunderbare „Que Walou“ ist einfach ein wunderschöner Song. Und dieses Video in der Wüste ist total schön. Ich finde sie ist eine tolle Frau. Sie hat eine große Ironie und ist sehr politisch in ihrem Auftreten. Ich finde das richtig, richtig, richtig gut. SXTNs „Lebens am Limit“ muss mir nicht gefallen, das ist ein bisschen weg von mir. Ich glaube das hat mordsmäßig Zuspruch bei jungen Frauen und Leuten, die Party feiern wollen, und sich über Sexualität definieren. Alles okay, hab da nix dagegen, nur sagt mir nix.