Wolfgang Tillmans im Interview „Extremisten brauchen nicht 51 Prozent der Stimmen zu gewinnen, oft reichen eben 37 Prozent“
Pet Shop Boys und Kate Moss, Museum of Modern Art und Turner Prize: Wolfgang Tillmans ist nicht nur ein weltberühmter Fotograf, seit 2016 veröffentlicht der 55-Jährige auch Musik. Nun erschien „We Are Not Going Back“, ein politischer Track. Der Zündfunk hat mit ihm über Pop und Politik gesprochen.
„We Are Not Going Back“ ist ein Synth-Pop-Stück, das an die 80er Jahre und an die Pet Shop Boys erinnert, mit denen Tillmans eine Künstlerfreundschaft pflegt. Wolfgang Tillmans, der in Berlin und London lebt, bezieht politisch Position, so wie er es schon lange macht, beispielsweise mit einer Kampagne gegen den Brexit oder einem Wahlaufruf zur Bundestagswahl 2017.
Zündfunk: Dein neuer Track heißt „We Are Not Going Back“. Wohin soll es nicht zurück gehen?
Wolfgang Tillmans: Angefangen natürlich mit dem Slogan von Donald Trump „Make America great again“. Das „again“ verweist auf eine vergangene Zeit, die man eben mal genau hinterfragen sollte. Wann war es denn besser in Amerika, wann ging es wem besser? Das „again“ deutet oft auf eine Zeit, in der Menschen weniger integriert waren, in der es mehr Rassismus gab, in der Frauenrechte nicht vollständig gegeben waren oder natürlich auch Lesben und Schwule nicht frei leben konnten. Und was in den letzten zehn bis 20 Jahren eine immer weiter fortschreitende Entwicklung der Bürgerrechtsentwicklung war und eigentlich nicht umkehrbar erschien, da gibt es seit ein paar Jahren Leute, die das umkehren wollen.
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Wolfgang Tillmans - We Are Not Going Back
Du hast dazu ein Video gemacht, das gar nicht so schlecht aussieht: Das sieht durchaus nach einer Zeit aus, in man vielleicht gerne zurückkehren möchte. Es sind historische Amateurfilmaufnahmen, da geht es ganz viel um Sport. Man sieht Menschen beim Schlittschuhlaufen, Turnen, Turmspringen. Ist das ein gewollter Kontrast?
Genau, ich meine, das Ganze ist Musik und ich wollte jetzt kein Kampagnen-Video machen. Ich wollte das spielerisch lassen und natürlich auch zugestehen, dass man der Vergangenheit oft nostalgisch gegenübersteht. Deshalb wollte ich jetzt nicht krasse Szenen von Ungleichheit zeigen, sondern dass eher offen lassen und das, worum es geht beim „Going back“ im Kopfe des Betrachters lassen.
In dem Video da sieht man ja Aufnahmen deines Großvaters Karl R. Tillmanns, der begeisterter Hobbyfilmer war.
Mein Großvater war Exportkaufmann und immer reiste über ein halbes Jahr lang durch Süd- und Mittelamerika. Und 1939 ist er über New York zurückgefahren, wo die internationale Weltausstellung war. Er ist dann mit dem letzten Schiff vor Kriegsausbruch nach Bremerhaven zurück. Die Filmrollen lagen jahrzehntelang im Keller meiner Eltern, weil wir keinen 16-Millimeter-Projektor hatten. Ich habe die in der Pandemie mal mitgenommen und digitalisiert und dabei das Material entdeckt.
Eine Fotografenfamilie – bei Dir ist es viel mehr als ein Hobby. Viele kennen dich ja vor allem als Fotografen. Dass Du auch Musik machst, wissen vielleicht nur die ganz Aufmerksamen. Aber es ist jetzt nicht Deine erste Produktion. Was war der Anstoß für Dich zu sagen: Okay, jetzt mal wieder Musik, war das die die politische Lage?
Ich habe in den späten Teenagerjahren begeistert Musik gemacht und habe dann aber 30 Jahre unterbrochen. Ich war aber immer begeistert von Musik, von Clubkultur. Und 2015 habe ich wieder begonnen mit Tonaufnahmen, mit Field Recordings um dann den Schritt zur Sprache zu nehmen. Und so kam 2016 die erste Platte raus und gleich zwei Monate später hatte dann Frank Ocean ein Stück von mir, „Device Control“, auf sein „Endless Visual“-Album getan, was eine zu lange Geschichte ist, um das hier zu erklären. Seitdem habe ich 14 verschiedene Veröffentlichungen gemacht und das ist ein Teil meiner Arbeit geworden.
Zurück zu Deinem Song: Wie bedrohlich erscheint Dir die derzeitige Großwetterlage?
Bei der letzten Bundestagswahl habe ich immer gesagt: 87 Prozent der Menschen haben keine AfD gewählt. Aber wenn man natürlich auf Thüringen schaut, wo vielleicht am Ende nur 62 Prozent nicht die AfD gewählt haben, dann sind die Sorgen groß. Denn wie sich ja immer wieder gezeigt hat, in vielen Ländern, ob in Polen oder in Deutschland der 30er Jahre: Extremisten brauchen nicht 51 Prozent der Stimmen zu gewinnen, oft reichen eben 37 Prozent oder 42, um über Konstellationen dann die Rechtslage aus den Angeln zu heben und am Ende Demokratie zu unterlaufen oder abzuschaffen. Das schien vor ein paar Jahren noch ganz weit entfernt. Aber ich finde immer sehr aussagekräftig, wie stark die CDU erkannt hat, dass die AfD eine akute Gefahr für unsere Gesellschaft, für unsere Demokratie ist.
Wie optimistisch bist du denn, was die Wirkung von Kunst generell angeht? Was kann denn ein politischer Song wie Deiner bestenfalls erreichen?
Das ist vor allen Dingen Ermutigung. Nicht unbedingt umstimmen, sondern, dass die, die sich darin wiederfinden und Solidarität empfinden, das Gefühl haben, dass man nicht alleine ist. Das haben Kunstwerke oft, dass sie eben verbinden, dass sie verschiedene Menschen ansprechen, die sich darin wiederfinden können.