Statistisch gesehen Bayern in Zahlen
Nordbayern ist das Mekka der Zahlen und Fakten. Das Statistische Landesamt sitzt in Fürth, das größte deutsche Marktforschungsinstitut GfK in Nürnberg. Welche Rolle spielen Statistiken in unserer Gesellschaft? Und was sagen sie über uns aus?
Thomas Gößl ist der "Zahlenkönig" Bayerns. Seit 2017 ist er Präsident des Bayerischen Landesamtes für Statistik mit Sitz in Fürth.
"Die erste und wichtigste Aufgabe des Landesamtes für Statistik ist amtlich Statistik. Wir erstellen amtliche Statistiken aufgrund von Bundesgesetzen, Landesgesetzen und neuerdings auch ganz stark aufgrund von EU Normen. Die Europäische Union bestellt sehr viel amtliche Statistik und dominiert fast das Geschäft in diesem Bereich."
Thomas Gößl, Präsident des Bayerischen Landesamtes für Statistik
Vor zehn Jahren begann die Verlegung der Behörde von München nach Fürth und wurde 2019 abgeschlossen. Neue Heimat ist ein ehemaliges Quelle-Gebäude. Insgesamt arbeiten über 750 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für das Statistische Landesamt, die nicht nur für die amtliche Datenerhebung und Veröffentlichung zuständig sind, sondern auch den kommunalen Finanzausgleich ausrechnen und die Ermittlung der Ergebnisse bei Kommunal- und Landtagswahlen übernehmen. Thomas Gößl ist deshalb auch Landeswahlleiter für Bayern.
"Die Zahlen sind natürlich elementar und wirklich wichtig für jede Diskussion im modernen Staat. Ganz klar. Und nicht ganz Ausversehen ist das Landesamt für Statistik ja auch gegründet worden im Zuge dieser Staatenbildung in Bayern. Da war es einfach neben einer vernünftigen Vermessung, Steuersystem und Verwaltung ein Kernbaustein, dass man eine vernünftige staatliche Statistik hat, um nicht immer im Nebel, sozusagen ins Blaue hinein zu gestalten, sondern um Zahlen zu haben als Basis."
Thomas Gößl, Präsident des Bayerischen Landesamtes für Statistik
Kurze Geschichte der amtlichen Statistik in Bayern
1808 beginnt die amtliche Statistik in Bayern: Im Außenministerium wird am 1. Oktober das Statistisch-topographische Bureau gegründet. Seine Aufgaben: Die Vermessung und Kartierung des Landes zu militärischen Zwecken und Aufteilung der Grundsteuer, das Erstellen von Geburten-, Trauungs- und Sterbelisten sowie Erhebungen zu Pockenschutzimpfungen, Polizeiwesen, Bevölkerungsbewegung und Todesursachen. Dazu erfasst das Bureau auch Daten zur Ernte, zu Mineralprodukten, Viehbestand, Manufakturen und Fabriken, zur Zahl der Künstler, Handwerker, Kaufleute und anderer Berufe.
Als Folge der Cholera-Epidemie von 1854 beginnt die statistische Erfassung des Gesundheitswesens in Bayern. 1858 entsteht das erste Gemeindeverzeichnis aus den Daten der Volkszählung. Und 1909 wird das Bureau umbenannt in "Königlich Bayerisches Statistisches Landesamt". Ab 1914 kommen neue Aufgaben hinzu. Zu Kriegszeiten werden Nahrungsmittelvorräte erfasst, Preise beobachtet und ermittelt. Außerdem wichtig: Volks- und Wohnungszählungen.
Seit 1919 gibt es das Bayerische Statistische Landesamt. Und 1939 kommen wieder neue Aufgaben dazu: Volks-, Berufs- und Betriebszählung mit Ergänzungskarte über Abstammung und Vorbildung, die Auszählung der Juden im Sinne der "Nürnberger Gesetze". Erfasst werden außerdem Religion, Staatsangehörigkeit, Muttersprache und blutsmäßige Abstammung. Nach 1945 werden Kriegsgefangene registriert. Ab 1974 gibt es erste Statistiken über die Umwelt, über Abfallbeseitigung, Wasserversorgung und Investitionen für den Umweltschutz. 2015 kommt es zu einer erneuten Namensänderung in "Bayerisches Landesamt für Statistik". Und 2016 wird die Dienststelle Fürth der Hauptsitz im Rahmen der offiziellen Schlüsselübergabe durch den Bayerischen Innenminister.
"Die Standortentscheidung für Fürth war eine landes- und regionalpolitische Entscheidung. Man wollte hier ein Zeichen setzen, nach der Insolvenz der Quelle, die ja zur sofortigen Arbeitslosigkeit von über 4.000 Leuten geführt hat. Das fügt sich in eine Statistiklandschaft hier im Bereich Nürnberg-Erlangen-Bamberg, die ganz erstaunlich dicht ist."
Thomas Gößl, Präsident des Bayerischen Landesamtes für Statistik
Nordbayern – das Mekka der Zahlenverarbeitung und Datenerhebung
Man kann heute sagen - Nordbayern ist das Mekka der Zahlenverarbeitung und Datenerhebung. Das Statistische Landesamt in Fürth akquiriert neue Mitarbeiter vor allem von den beiden Universitäten Bamberg und Erlangen-Nürnberg, die beide einen Statistikschwerpunkt der Wirtschaftswissenschaften aufweisen. Viele weitere Partner gibt es in der Region, so entstand in den letzten Jahren ein Statistik-Netzwerk, um die bestehenden empirischen Stärken zu bündeln. Zudem hat das größte deutsche Marktforschungsinstitut – die GFK – in Nürnberg ihre Firmenzentrale und viele mittelständische Meinungsforschungsunternehmen haben sich ebenfalls in der Metropolregion Mittelfranken niedergelassen.
Deutschland – das Land der Markt- und Meinungsforschung
Markt- und Meinungsforschungsinstitute gibt es in Deutschland so viele, wie in kaum einem anderen europäischen Land. Im Jahr 2018 waren es 111 an der Zahl, mit an die 20.000 Beschäftigten. Eine Branche mit jährlich knapp 2,5 Milliarden Euro Umsatz. Stabil, seit Jahren. Nicht verwunderlich, denn die Wirtschaft hierzulande möchte schließlich wissen was die Kunden wollen, wann und wie oft. Das Wahlvolk und die Politiker sind generell ungeduldig und möchten am besten schon vor der Auszählung einen Gewinner küren. Die Medien lechzen nach neuem brisantem Zahlen-Futter und die Soziologen möchten unbedingt heute wissen, in was für einer Gesellschaft wir morgen leben.
"Es ist natürlich so, dass die ganzen Hersteller von Produkten gerne wissen wie ihre Produkte ankommen, bevor sie auf den Markt gehen, und wie sie von der Funktionalität her sind."
Frank Herzog, Geschäftsführer der MS Teststudios der Herzog und Klein GmbH
Frank Herzog ist Geschäftsführer der MS Teststudios der Herzog und Klein GmbH in Nürnberg. Das deutschlandweite Unternehmen ist auf Datenerhebungen spezialisiert und führt Umfragen durch im Auftrag von großen Marktforschungsinstituten, oder Firmen größtenteils aus dem Konsum und Gebrauchsgüter-Sektor. Das Teststudio ist direkt in der Nürnberger Haupteinkaufspassage untergebracht, so kann man die Testpersonen auf der frequentierten Straße leichter abfangen und befragen. Während der Corona-Krise haben viele Institute zuletzt auf die telefonische Datenerhebung zurückgegriffen.
Auf die Ergebnisse der Markt- und Meinungsforschung zugreifen wollen eigentlich alle, doch nur sehr wenige wollen sich an den Befragungen auch beteiligen. Umfragen oder Tests gelten häufig als nervig oder zeitraubend. Deshalb gebe es auch ein Belohnungssystem in Form von Präsenten, so Franz Herzog. Und nicht nur beim Werben von Testpersonen zeigt sich die Wirtschaft kreativ, sondern auch bei der Art und Weise der Befragung. Die Digitalen Datenmengen werden dabei immer größer, Onlineumfragen ersetzen mehr und mehr das sogenannte Face-to-Face Prinzip, bei dem sich geschulte Interviewer mit den Passanten unterhalten. Eine andere Variante: die Gruppendiskussion. Man nehme zehn Hausfrauen, ein Waschmittel, einen Moderator, gebe alles in einen Raum für ein, zwei Stunden und dann kann‘s losgehen, die ganze Zeit beobachtet von zahlreichen Kameras, inklusive Live-Publikum.
Demoskopie liefert heute ein schnelles und genaues Abbild der Gesellschaft
Demoskopie heißt übersetzt: Das Volk betrachten. Dank der computergestützten Auswertungen und Hochrechnungen der heutigen Zeit lässt sich durch das Befragen Weniger ein schnelles und genaues Abbild unserer gesamten Gesellschaft zeichnen. Und Je mehr sich an einer dieser Stichproben beteiligen, desto genauer kann das Ergebnis hochgerechnet werden. Bei 100 Befragten liegt der statistische Fehler noch bei zehn Prozent, erhöht man die Anzahl der Befragten auf 1.000, dann kann man den statistischen Fehler, die Abweichung auf drei Prozent reduzieren. Ab einer Befragung von 10.000 Personen kann man das Ergebnis mit 99-prozentiger Genauigkeit vorhersagen. Vorausgesetzt man wählt die Parameter so, dass man die Studie nicht versehentlich manipuliert, zum Beispiel durch eine inkonsequente und wenig durchdachte Fragestellung.
Kritik an Meinungsumfragen
Womit wir bei den Kritikern von Meinungsumfragen samt Voraussagen wären, und da gibt es prominente Beispiele: 1990 warnte der damalige Bundespräsident Richard von Weizäcker vor einer Demoskopiedemokratie. Er sah die Gefahr des Populismus in der Politik, indem man immer das umsetze, was die Mehrheit der Bevölkerung gerade fordere. Und seine weitere Befürchtung: Voraussagen und deren Veröffentlichungen würden die Meinung nicht einfach nur objektiv abbilden, sondern überhaupt erst die öffentliche Meinung beeinflussen.
"Demoskopie ist die Kunst, hinterher zu begründen, warum alles anders gekommen ist." Vorwürfe wie diese sind für viele Meinungsforscher, Mathematiker und Wissenschaftler nicht neu. Die bekannteste deutsche Statistikerin Elisabeth Noelle-Neumann, die das Institut für Demoskopie Allensbach gründete, konterte: "Statistik ist für mich das Informationsmittel der Mündigen. Wer mit ihr umgehen kann, kann weniger leicht manipuliert werden. Der Satz 'Mit Statistik kann man alles beweisen' gilt nur für die Bequemen, die keine Lust haben, genau hinzusehen."
"Über die Zahlen selber gibt es, wenn die Datengrundlage gut ist, eigentlich keinen Dissens. Der Dissens bezieht sich eben immer darauf, was die Wirkungsmechanismen dahinter sind. Liegt es daran, dass wir Hartz IV eingeführt haben, oder liegt das an der Globalisierung, oder liegt das an irgendeinem Technologiewandel, der eben bestimmte Berufsfelder obsolet macht und eher wieder niedrig entlohnte Dienstleistungen fördert. Und da sind wir wieder im Bereich, dass es da, weil wir keine Experimente machen können, schwierig ist, die Wirkungsmechanismen zu erfassen."
Jonas Dovern, Lehrstuhlinhaber Fachbereich Statistik und Ökonometrie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Statistik an der Universität
Jonas Dovern ist Professor an der Friedrich Alexander Universität Erlangen-Nürnberg und hat den Lehrstuhl Fachbereich Statistik und Ökonometrie inne. Ein Fachbereich, bei dem die Stimmung der Studenten sicherlich regelmäßig kocht. Oder nicht?
"Ich glaube so im Durchschnitt ist es jetzt nicht das beliebteste Fach – bei den Erstsemestern oder Drittsemestern. Aber es liegt auch daran, wie man es verkauft. Da sind zwei Trends. Zum einen finden sie heute viel häufiger grafische Darstellungen von Datensätzen, wenn sie gerade auch an Medien denken. Es gibt kaum noch einen Magazinbeitrag, wo sie nicht irgendeine Linien- oder Balkengrafik haben, die bestimmte Sachverhalte visualisiert. Deswegen haben wir als eine komplette Vorlesung in dem Einführungskurs Statistik jetzt auch eine Lerneinheit Visualisierung von Datensätzen, weil man da auch ganz viel falsch machen kann. Das wäre so eine Sache, die das Ganze auch interessanter macht, wo die Studierenden auch direkt sehen, ok, dafür kann ich das brauchen. Das ist nicht nur irgendeine Formel, wo ich in einer Formelsammlung was nachschauen muss und dann eine Zahl ausrechen muss. Und dann am Ende nicht so richtig weiß, was das ist und wofür ich das brauche. Und der andere Trend: Was wir merken ist, dass gerade in den Unternehmen der Bereich Maschinelles Lernen im Kommen ist. Und da haben wir jetzt eben auch einen Block in den Kurs eingebaut, dass die Studierenden schon ganz am Anfang ihrer empirischen Ausbildung die Grundbegriffe und die einfachsten Algorithmen lernen. Weil das auch was ist, das ein bisschen sexier klingt als 'Grundlagen der Statistik'."
Jonas Dovern, Lehrstuhlinhaber Fachbereich Statistik und Ökonometrie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Den Studierenden auf anschauliche Weise theoretische und praktische Methoden an die Hand zu geben, wie Daten erhoben, beschrieben und ausgewertet werden können. Das ist die eine Herausforderung, die es zu meistern gilt. Eine andere: die aktuellen Trends nicht aus den Augen zu verlieren.
Datenerhebung: Schnell, vor allem aber genau
Zurück im Landesamt für Statistik in Fürth. Schnell müssen die Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter hier sein. Vor allem aber genau, sagt Thomas Gößl, der Präsident. Die Zahlen, die hier erhoben und aufbereitet werden, sind Grundlage für kommende politische Entscheidungen und demokratische Debatten. Dieser Verantwortung ist man sich bewusst.