2009 Glocken läuten die Weihnacht ein
Das Wunder der Geschichte, das vor 20 Jahren die Teilung Deutschlands ohne einen einzigen Schuss beendete, war eine Revolution, die aus den Kirchen kam: aus dem Magdeburger oder Erfurter Dom, aus den Gotteshäusern in Leipzig, Halle, Dresden, Schwerin und vielen anderen Städten.
Es begann mit montäglichen Friedensgebeten weniger, mutiger Bürger und endete mit Demonstrationszügen Hunderttausender am 6. November und dem Mauerfall in der Nacht vom 9. auf Freitag, den 10. November 1989.
Vielleicht wurde der Mut der DDR- Bürger damals auch beflügelt vom Genius loci dieser uralten, mächtigen, himmelwärts ragenden Kathedralen. Manche von ihnen haben Könige und Kaiser als Stifter, andere künden vom Bürger- und Kaufmannsstolz der Hanse. In jedem Falle sind sie beredte Zeugnisse der Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands in den vergangenen tausend Jahren.
20 Jahre Mauerfall, 60 Jahre Zwölfuhrläuten
Die großen Dome Ostdeutschlands, 1
Dresden
Kaum ein Bauwerk spiegelt die deutsche Geschichte so wie die Dresdner Frauenkirche. Die erste, gotische Basilika aus dem 12. Jahrhundert wurde wiederholt umgebaut und im Zuge der Reformation lange nur als Begräbniskirche genutzt. 1722 wird George Bähr mit einem Neubau beauftragt. Er entwarf eine Kirche, die dem protestantischen Verständnis von Gottesdienst gerecht werden sollte. Ihr Sinnbild ist der seinerzeit stark umstrittene Kuppelbau, die "steinerne Glocke". Am 15.2.1945, zwei Tage nach dem von alliierten Luftangriffen verursachten Feuersturm von Dresden, brach die 12.000 Tonnen schwere Kuppel ein. Mit großer internationaler Unterstützung wurde die Frauenkirche, Symbol auch der ostdeutschen Friedensbewegung, wieder aufgebaut.
Erfurt
Schon der erste Erfurter Dom aus dem achten Jahrhundert war ein bedeutendes Kirchen- und Machzentrum, wurde er doch 752 n.Chr. für Bonifatius, den "Apostel der Deutschen" errichtet. 1170 wurde die eingestürzte Kirche durch einen spätromanischen Neubau ersetzt. Kunstgeschichtlich besonders bedeutend sind der fast vollständig original erhaltene gotische Chor, die gotischen Glasfenster und der "Wolframleuchter", die älteste freistehende Bronzeskulptur in Deutschland. Glanzstück des Doms jedoch ist die "Gloriosa", die mächtigste mittelalterliche Glocke in Europa. Die fast 12 Tonnen schwere Glocke aus dem Jahr 1497 musste mehrfach geschweißt werden. Sie hallt über sechs Minuten nach, hat einen besonders schönen Klang und wird nur zu besonderen Anlässen geschlagen - wie etwa dem Weihnachtsfest.
Greifswald
Der gotische Backsteindom der alten Hansestadt Greifswald stammt aus dem 13. Jahrhundert und ist, kaum verwunderlich, dem Patron der Kaufleute und Seefahrer geweiht. Doch von der spätmittelalterlichen Ausstattung ist so gut wie nichts mehr übrig. Am 13. Februar 1650 brach eine Turmspitze ab, durchschlug das Kirchendach und verwüstete das Innere des Domes vollständig. In Rekordzeit wurde das Gotteshaus von Stralsunder Handwerkern wieder hergestellt. Weit mehr Zeit zur nötigen Renovierung ließ sich die DDR-Regierung. Am 11. Juni 1989 wurde die Kirche neu geweiht. Mit dabei: Erich Honecker, es war einer seiner letzten Auftritte. Besonders wertvoll ist die Professorenglocke von 1440.
Halberstadt
Einzigartig ist der Domschatz zu Halberstadt. Die größte Sammlung mittelalterlich-sakraler Kunst in Deutschland verdankt sich einem kuriosen Umstand: Von 1591 bis 1810 war das Domkapitel gemischt konfessionell. Die Protestanten bewahrten zahlreiche liturgische Gegenstände vor dem Verschleiß, da sie im Gottesdienst nicht gebraucht wurden, und die Katholiken verhinderten ihren Verkauf. Sinnbild für die wechselvolle Geschichte des Stephans-Dom ist die Triumphkreuzgruppe, die an der Grenze von Romanik und Gotik steht und am Übergang in der Darstellung vom herrschenden (stehenden) zum leidenden (hängenden) Jesus. Die Architektur folgt, wie der rivalisierende Dombau in Magdeburg, der französischen Gotik mit den typischen, in Deutschland jedoch seltenen, Strebebögen.
Magdeburg
300 Jahre wurde am Langhaus gebaut, hundert Meter hoch ragen die Türme: Der Magdeburger Dom mit dem Grab Kaiser Otto des Großen ist der erste gotische Kathedralenbau in Deutschland. Am 20. Mai 1631 retteten sich darin 4.000 verzweifelte Frauen, Männer und Kinder vor dem schlimmsten Massaker des Dreißigjährigen Krieges, dem 20.000 Magdeburger zum Opfer fielen. Das Wüten der kaiserlichen Soldaten verschonte nur den Dom, die Liebfrauenkirche und einige Fischerhütten. Unter Napoleon wurde die Kathedrale als Viehstall benutzt. Im Januar 1945, als die Stadt ein zweites Mal im Flächenbombardement britischer Bomber unterging, überlebte sie schwer beschädigt.
Ihre Glocken - drei der Geläute gehören zu den großartigsten der Welt - werden heuer - im zwanzigsten Jahr des Mauerfalls - am Heiligen Abend die Weihnacht 2009 einläuten. Damit begeht diese Sendung des Bayerischen Rundfunks zugleich ein eigenes, kleines Jubiläum. Denn schon vor 60 Jahren - für ein Hörfunkformat eine unfasslich lange Zeit - läuteten zum Heiligen Abend schon die Glocken.
Damals, im Gründungsjahr des BR, unter anderem aus Paris, London, Assisi, Bethlehem, Breslau, Marburg, Zürich, Scheidegg, Kronach oder Waldsassen. Auch dauerte die Sendung schon seinerzeit 15 Minuten, wurde von 20.00 Uhr bis 20.15 Uhr ausgestrahlt und endete mit einem Gruß an die Kriegsgefangenen.
Die großen Dome Ostdeutschlands, 2
Merseburg
Jacob Grimm war begeistert. Einen ganz besonderen Schatz hatte der Mittelalterforscher Georg Waitz in einem Zusatz einer mittelalterlichen Handschrift in der Bibliothek des Domkapitels Merseburg entdeckt und dem und berühmten Germanisten und Sagensammler zur Begutachtung vorgelegt: Die "Merseburger Zaubersprüche" sind die einzig erhaltenen Zeugnisse der germanisch-heidnischen Religion. Einzigartig ist aber auch die Grabplatte von Rudolf von Rheinfelden. Das älteste mittelalterliche Bildnisgrabmal in Deutschland zeigt den schwäbischen Gegenkönig gegen Heinrich den IV. dessen Tod nach einer Schlacht im Jahr 1080 im Zuge des Investiturstreits als Gottesurteil angesehen wurde. Der Dom beherbergt außerdem eine größten und wohlklingendsten romanischen Orgeln in Deutschland.
Quedlinburg
Gegründet vor 1.000 Jahren auf dem Sandsteinfelsen des Schlossbergs, wurde die spätromanische Stiftskirche St. Servatius zur Kathedrale des Ottonenreiches. Heute gehört der gewaltige Dom mit der Krypta von König Heinrich I. (876 - 936) und seiner Gemahlin Mathilde zum UNESCO-Weltkulturerbe. Wie der Magdeburger Dom, wurde auch die 997 erbaute Kirche St. Servatius Opfer einer Feuersbrunst, allerdings schon im Jahre 1070. Viel schlimmer aber war die Entweihung der Kirche durch die Nazis. Heinrich Himmler nutzte den Bau als "Weihestätte" für seinen verqueren SS-Germanen-Kult. Zum Domschatz von Quedlinburg gehören neben heimischen Arbeiten auch spätantike, byzantinische, italienische und arabisch-islamische Kunstwerke.
Schwerin
Gotische Baumeister planten für die Ewigkeit. Nicht ewig, aber doch sehr lange, dauerte gewöhnlich die Bauzeit gotischer Dome. St. Maria in Schwerin benötigte immerhin 721 Jahre bis zur Fertigstellung. Der erste, romanische, Bau wurde 1175 begonnen, war jedoch von bescheidenen Ausmaßen. Graf Heinrich von Schwerin brachte im Jahr 1222 von einem Kreuzzug ins heilige Land eine Reliquie mit: Der Edelstein umschließt angeblich einen Tropfen vom Blute Jesu Christi. Bald war die Wallfahrtskirche für die Pilgermassen zu klein. Um 1270 begann man mit der heutigen Backsteinbasilika. Erst 1892 wurde der 117,50 Meter hohe neugotische Turm vollendet. Er steht auf Platz 25 der höchsten Kirchtürme der Welt. Besonders wertvoll ist die Orgel von Ladegast aus dem Jahr 1871.
Stralsund
Monumental ist die spätgotische Backstein-Basilika in der Hansestadt Stralsund. 1382 fegte hier ein Sturm den Kirchturm aufs Langschiff. Besonders interessant ist die Geschichte der Apollonienkapelle neben der Marienkirche: 1407 verbrannten aufgebrachte Stralsunder Träger drei Priester, nachdem Karl Bondow, Kirchenherr der Nikolaikirche, mit Teilen seiner Verwandtschaft mordend und brandschatzend über die Stralsunder Feldmark hergefallen war. Vom darauf folgenden Kirchenbann konnten sich die Stralsunder nur durch eine hohe Geldzahlung von Papst Gregor XII. freikaufen und mussten zur Buße unter anderem die Apollonienkapelle bauen. Karl Bondow wurde nie zur Verantwortung gezogen, allerdings 1417 ermordet.
Weihnachtsbotschaft
Inzwischen sind die Weihnachtsglocken in zwei Programmen zu hören, auf Bayern 1 von 19.00 Uhr bis 19.15 Uhr und in Bayern 2 von 17.05 Uhr bis 17.20 Uhr. Geblieben sind die Sendungsdauer und ihre Intention. Ob majestätische Geläute großer europäischer Dome, ob bescheidene Dorf- oder Klosterglocken, ihre erzenen Stimmen wollten und wollen stets an die Botschaft dieser Nacht gemahnen:
Friede den Menschen auf Erden.
Quelle: Georg Impler