Lebensgefühl Heimliche Hauptstadt
Knapp 20 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wird der ehemaligen "Hauptstadt der Bewegung" eine unheimliche Beförderung zuteil. In einer Titelgeschichte von 1964 ernennt der "Der Spiegel" München zu "Deutschlands heimlicher Hauptstadt".
War ja damals auch gar nicht so schwer, möchte man rufen, angesichts Bonn als amtlicher Kapitale. Mögliche Konkurrenten: Hamburg? Wetter zu schlecht. Köln? Ein Bummel durch die Innenstadt - und solche Flausen sind schnell wieder aus dem Kopf. Berlin? Eine Exklave, umgeben von der bösen kommunistischen DDR? Da hatte nach Kriegsende auch Siemens Angst bekommen - und verlegte seinen Firmensitz. Wohin? Richtig: nach München. Nicht nur Siemens oder BMW, sondern später auch viele neue Unternehmen der Hightech- und Pharma-Branche machten München zu einem modernen Wirtschaftsstandort. Heute ist es sogar die größte Industriestadt Deutschlands - auch als Sitz bedeutender Medien- und Verlagszentren.
Feiern, Fußball, Film
Aber reichen Wirtschaftsfaktoren für den Titel der "heimlichen Hauptstadt"? Sicher nicht. Da muss schon noch etwas anderes her. Und in der Tat spielen sich im beschaulichen München in den 1960ern auf einmal ungeahnte Dinge ab: Topless-Partys, Nachtclubs mit Swimmingpool, Filme mit einer sexy Uschi Glas. Neben den neuen Formen entdeckt "Der Spiegel" 1964 auch wieder die traditionellen der sattsam bekannten "bayerisch barocken" Lebensfreude: Biergärten, Oktoberfest, Starkbier-Saison, Festspiele etc. Und noch eine Hauptstadt wird München: die des deutschen Fußballs.
Seen, Alpen, Italien
Inzwischen ist Berlin längst wieder offiziell die Nummer eins und auch sonst ziemlich in. Die Chancen für "heimliche Hauptstädte" haben sich verringert. Dennoch ist es wohl Münchens "Freizeitwert", der es bis heute bei Lebensqualität-Rankings deutscher Städte regelmäßig vordere Plätze belegen lässt und Touristen wie Arbeitskräfte zu Tausenden anzieht.
Seen, Bergwanderziele und Skigebiete sind zwischen einer halben und zwei Auto- oder Bahnstunden erreichbar, die italienische Grenze in maximal drei. Aber auch die Stadt selbst bietet Erholungsräume: Mit den Isarauen, dem Englischen Garten oder dem Nymphenburger Park stehen einige Hektar für Spaziergänge im Grünen zur Verfügung. Und durchschnittlich 2.000 Sonnenschein-Stunden im Jahr reichen dicke für mehr als einen Cappuccino in einem der zahlreichen Freiluft-Cafés. Von dort kann man sie dann in aller Ruhe betrachten: die Stadt des schönen Scheins.