Kapitel 3 Kunststadt
"Die Legende von der Kunststadt"
Wolfgang Koeppen
München - eine Stadt der Kunst und des Geistes? Nicht jeder würde unbedingt vorbehaltlos zustimmen. Wolfgang Amadeus Mozart zum Beispiel: Das Genie bewirbt sich 1777 um eine Hofkomponistenstelle - ohne Erfolg. Oder Heinrich Heine: Aus antijüdischen Ressentiments, politischen oder persönlichen Vorbehalten heraus bleibt ihm 1828 die gewünschte Professur verwehrt. Während Goethe, Schiller und Hegel Thüringen zu einem Zentrum des aufgeklärten Weltgeistes machen, wirkt in München Friedrich Schelling als Philosoph der Romantik.
München - eine Kunststadt. Dieser Ruf gründet sich auf König Ludwig I. Der antikenbegeisterte und zigfache Italienreisende bestückt die Stadt mit Athen, Florenz und Rom kopierenden Monumentalbauten. Sie erfüllen zwar nicht immer einen Zweck, schaffen aber eine schöne Fassade.
München - eine Stadt der Künstler. Ludwig I. fördert Bildhauer und Maler in großem Stil. Die große Revolution in dieser Sparte liefern aber erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Künstler des "Blauen Reiter" - ganz ohne staatliche Subventionen. Während dieser Zeit wirken auch Literaten von erstem Rang in der Stadt: Frank Wedekind etwa oder Thomas Mann. Für seine in München und Italien geschriebenen "Buddenbrooks" bekommt er den Nobelpreis.