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Die Goldmedaille Ein ganz normaler Held

Der Favorit war ein anderer. Janis Lusis, der Lette hatte bereits olympisches Gold. Der Deutsche Klaus Wolfermann, sieben Jahre jünger, sah zu ihm auf. Die Rollen waren klar verteilt. Doch dann kam München. "Eine Medaille in meiner Heimatstadt war das Ziel. Platz vier hätte eine Niederlage bedeutet." Lusis lächelte damals nachsichtig, als er Wolfermanns Worte hörte. Er war sich seines Sieges gewiss.

Von: Anna-Verena Papathanasiou

Stand: 01.07.2011 | Archiv

Klaus Wolfermann mit Olympiaturm im Hintergrund | Bild: BR/Markus Konvalin

80.000 Zuschauer verfolgen gebannt, wie sich zwei Männer unten auf dem Rasen ein atemberaubendes Duell liefern. Wolfermann weiß, er muss über sich hinauswachsen, um eine Chance auf den Sieg zu haben. Er setzt alles auf eine Karte, läuft länger an, als er es je beim Training getan hat, konzentriert sich und wirft sich mit aller Kraft in den Speer. 90,48 Meter. Das ist bis dahin der weiteste Wurf. Der Lette springt von seiner Bank auf und schleudert einen angenagten Apfel in den Rasen. Jetzt hat er nur noch einen Versuch. Wolfermann hält den Atem an und beobachtet den erfahrenen Konkurrenten genau. Lusis macht einen winzigen technischen Fehler. Beim Abwurf knickt er kurz mit dem Knie ein. Trotzdem fliegt der Speer rasend schnell aus der Hand des bärigen Mannes. Es vergehen Sekunden.

Goldwurf Wolfermann triumphiert

"Es war ein Schock", sagt Wolfermann heute. "Plötzlich war ich Goldmedaillengewiner, weil mein Speer zwei Zentimeter weiter geflogen war. Die Zuschauer brüllten vor Begeisterung: Wol-fer-mann! Wol-fer-mann! Das Stadion war ein einziges Rauschen. Schauerlich war das", sagt der 65-Jährige leise. Und dann erinnert er sich daran, wie es war, plötzlich zu den Größen des Spitzensports zu gehören. Ein Grinsen huscht über sein gebräuntes Gesicht. Von nun an durfte er die Wettkämpfe von der Ehrenloge aus verfolgen, neben ihm der spanische König und der amerikanische Schauspieler Kirk Douglas.

Vermarkten oder vermarktet werden

Und dann? Was kam nach dem Rausch, dem Ruhm, dem Siegertreppchen? Heute lassen sich Spitzensportler dankbar vermarkten: Talk-Shows, Homestories in Magazinen, Werbeverträge. Schokoriegel, Baumarkt, Unterwäsche. Auch 1972 gab es eine Marketing-Maschine. Aber Wolfermann ließ sich nicht vereinnahmen. "Ich hatte einen Werbevertrag über 12.000 Mark, von Preisgeld und Prämien hat damals keiner gesprochen."

Wolfermann auf Platz 1

Bis eine Woche vor seinem Wettkampf arbeitete er als Sportlehrer. Während der Spiele schlief er Zuhause, nicht in den Athletenunterkünften im olympischen Dorf. "Daheim schmeckte die Suppe, wie sie schmecken soll." Er hielt sich von allem Trubel fern. Vielleicht hat ihn das später gerettet. Der junge Sportler ließ sich nicht als Held verkaufen, er ließ sich gar nicht verkaufen. Er genoss das sportliche Megaereignis und kehrte anschließend wieder in den Alltag zurück. "Wenn das Leben ein Meterband ist, darf der Leistungssport nicht mehr als 20 Zentimeter ausmachen." Ein Jahr nach den Spielen stellte er den Weltrekord im Speerwerfen auf, der Zenit war endgültig erreicht.

1978 beendete er seine Karriere und vermarktet seitdem Sportartikel. Jeden Tag treibt er eine Stunde Sport. "Egal was", sagt er. "Nur nicht Speerwerfen."

"Ich habe die glücklicheren Zeiten erlebt"

zum Audio Olympiastadion Heimvorteil genutzt

Seine Konkurrenten ließen sich von der Dachkonstruktion irritieren, aber Speerwerfer Klaus Wolfermann konnte die Besonderheiten des Stadions für sich nutzen. [mehr]

War Olympia früher unschuldiger? Ist heute alles nur noch Kommerz und Korruption? Wolfermann muss nicht lange nachdenken. "Heute verdienen alle ein Vielfaches an den Spielen, Sportler, Verbände und natürlich Unternehmen. Aber ich habe die glücklicheren Zeiten erlebt. Es war menschlicher."

Das Thema Doping war 1972 nur ein dunkler Punkt am Horizont. Ein Ernährungsberater betreute Wolfermann damals, schrieb ihm eine eiweißreiche Kost vor. "So viel Fleisch, das war hart für mich." Also rief er in regelmäßigen Abständen seine Frau an, damit sie rechtzeitig zu seiner Ankunft reichlich gezuckerte Pfannkuchen bereithielt. Das war Wolfermanns Droge.

Die Augen des ehemaligen Spitzensportlers leuchten, wenn er von der Zeit vor 1972 spricht. "Ganz München war fasziniert von der Idee, die eigene Stadt als gastfreundlich und offen zu präsentieren. Bei den ersten Spatenstichen zum Stadionbau klebten die Leute am Bauzaun, jeden Stein wollten sie sehen, erleben, wie hier Großes entsteht. Für mich waren es die vollendeten Spiele."

Wolfermann hätte gerne noch mal die Olympischen Spiele in München. Aber er ist froh, nicht mehr als Athlet antreten zu müssen. Er ist ein zufriedener Mann.


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