Bayern in aller Welt Der Vorplattler
Voller Körpereinsatz war gefordert. Doch trat Anton Gneißl nicht für eine olympische Disziplin bei den Sommerspielen an - er war als Schuhplattler mit dabei.
Anton Gneißl ist 76 Jahre alt, seine Wadeln aber sind noch stramm. Zwar kann er sich nicht mehr so bewegen, wie er es noch vor 40 Jahren als Vorplattler gezeigt hat. "Das ist fast ein Leistungssport", sagt er im oberbayrischen Dialekt. "Das geht nicht mehr wie früher." Doch Anton Gneißl ist immer noch Ehrenvorplattler in seinem Trachtenverein, dem "Falkenstoaner Stamm" in München. Als Vorplattler war Gneißl auch bei der "Vita Bavarica" dabei, dem Kulturprogramm der Olympischen Spiele. "Und das ist schon ein gewisser Stolz, wenn man da mitmachen darf", sagt der frühere Schlosser mit einem Lächeln.
"Vita Bavarica. Ein bayrischer Bilderbogen". Trachtenverbände aus ganz Bayern zeigten vor regionalem, nationalem und internationalem Publikum im voll besetzten Kongresssaal des Deutschen Museums bayrisches Brauchtum. Der Jahresablauf sollte in sieben Abenden abgebildet werden. Gneißls Verein war im "Sommer" an der Reihe. In drei Kreisen zu je sechs Paaren standen sie auf der Bühne. Ein Volkstanz wurde mit einem Schuhplattler kombiniert. Die speziell für die Olympischen Spiele einstudierte Choreographie ist noch heute als Olympia-Plattler bekannt. Insgesamt tanzte und plattelte Gneißl eine Viertelstunde. "Und dann gab es einen riesigen Beifall", erinnert er sich.
Vita Bavarica: ein Bild von Bayern
Die "Vita Bavarica" war Teil des Erscheinungsbildes, mit dem sich die Stadt München während der Olympischen Spiele präsentieren wollte: als Weltstadt mit Herz. International weltoffen und regional mit bayrischer Folklore – erklärt Simone Egger, Kulturwissenschaftlerin an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität. So trugen die Hostessen Dirndl, Trachtler traten bei der Eröffnungsfeier, am Marienplatz oder eben bei "Vita Bavarica" auf. "Es sollte eine vielfältige Kulturlandschaft gezeigt werden, die für die Stadt und die Region werben sollte", erklärt Egger.
Leben in Bayern näherbringen
Die Tracht liegt bei Anton Gneißl in der Familie. Sein Großvater war Trachtler und auch seine Eltern. Gneißl lernte seine Frau im Trachtenverein kennen. Und die beiden Kinder führen heute die Tradition fort. Auch die drei Enkelsöhne sind dabei. Für Anton Gneißl gehört das Brauchtum zu seiner Heimat. Es war daher selbstverständlich für ihn, die bayrische Kultur bei den Olympischen Spielen zu zeigen. "Das ist natürlich klasse gewesen. Wir konnten den Leuten das Leben in Bayern näherbringen", sagt er. Sowieso sei er damals begeistert gewesen, als Olympia nach München kam. Nicht nur wegen des Sports oder der Tracht. "Wir sind ein Jahr zuvor mit der Familie nach Baldham bei München gezogen. Da hatten wir nicht mal einen Bahnsteig und wir mussten aus dem Vorortszug springen. Durch die Olympischen Spiele bekamen wir die S-Bahn".
Eine Medaille bekam Gneißl zwar nicht für seine Teilnahme an den Olympischen Spielen. Doch einen Anstecker für seinen Auftritt bei "Vita Bavarica". "Das war schon eine Ehre", sagt Gneißl. Die Olympischen Spiele selbst hat er über das Fernsehen verfolgt. Nur einmal hat er Karten bekommen, fürs Bogenschießen. "Da bin ich aber in Zivil hingegangen."
Olympia und Oktoberfest: der Dirndl-Trend
Die Olympischen Spiele 1972 haben laut Simone Egger noch andere Spuren in München hinterlassen: Der Trend zu Dirndl und Lederhose auf dem Oktoberfest. "Wenn diese bayrische Bildersprache um die Olympischen Spiele herum nicht so stark gewesen wäre, dann könnte sich das Dirndl heute in dem Sinne nicht wiederbeleben." Zwar sei das mit der Tracht verbundene Bayernbild schon zuvor, etwa durch Tourismus, verbreitet worden. Doch die mediale Aufmerksamkeit, die zuvor keine Spiele erreicht hatten, sorgte für eine starke Vermarktung der Verknüpfung zwischen Bayern und Tracht.