Roider Jackl Poet und Derblecker
Ein Naturtalent: Schon als Dreijähriger singt der kleine Jackl daheim im niederbayerischen Weihmichl die ersten Gstanzln. Im örtlichen Wirtshaus sorgt der Bauernbub für Stimmung, wenn er sich von den Gästen auf die Tische stellen lässt und seine auswendig gelernten Gsangl ins bierseelige Publikum trällert.
Metzgerfasching in Freising und Deutscher Ärztetag, Betriebsfeier der Münchner Müllabfuhr und Richtfest der Ludwig-Maximilians-Universität – der Roider Jackl kennt keine Berührungsängste. Als Gstanzlsänger und Festredner hat der Niederbayer im Trachtengewand jahrzehntelang volle Auftragsbücher und serviert seinen Witz und Spott zu jedem Anlass.
Akribisch und ein bisschen politisch
Der Spickzettel auf der Gitarre ist von vorne unsichtbar und erlaubt dem Sänger das fehlerfreie Non-Stopp-Reimen.
Bei den späteren Engagements verlässt sich Jakob Roider nicht nur aufs Talent. Der gelernte Schreiner und Förster beherrscht auch im Gstanzl-Metier das Handwerk und bereitet sich akribisch vor. Vor seinen Auftritten liest er die örtlichen Zeitungen, er "spioniert" in den Dorfwirtschaften und sucht sich Informanten. Damit weiß er Bescheid über das, was die Menschen gerade bewegt, er kennt die aktuellen lokal-, welt- und standespolitischen Auseinandersetzungen und findet so die Nährlösung für seine süffisanten Texte.
Ein Mann für alle Fälle
Nach dem Zweiten Weltkrieg wird das politische Gstanzl zu seinem Markenzeichen. Jackl Roider derbleckt mit Ausnahme von Gott die ganze Welt und Politiker aller Couleur. Damit ist er prädestiniert für eine Veranstaltung, auf der die Regierungen in Bonn und München bei viel Bier alljährlich ihr Fett abkriegen: für den Nockherberg.
"Es ist nicht damit abgetan, Ihre Verse mit 'gescherte Gstanzl' zu betiteln - sie sind sogar tiefe Philosophie, unterlegt mit einer bäuerlichen Melodie - und so ist es richtig ..."
(Karl Valentin in einem Brief vom 21. Juni 1947)
Dabei ist Roider weder Parteigänger noch Klassenkämpfer - er verteilt seinen Spott quer durch alle Lager. Letztlich will der Volkssänger auch mit dem kritischen Repertoire seiner Vierzeiler niemandem ernstlich weh tun. Roider will einfach unterhalten, sein Ziel ist der Lacher.
Gstanzl, Gsangl, Bayern-Rap
Ein Vierzeiler - unzählige Begriffe. Das italienische "stanza", das unter anderem "Strophe" heißt, soll angeblich für den südbayerisch-österreichischen Begriff "Gstanzl" verantwortlich sein. In Roiders Heimat Niederbayern heißen die Lieder hingegen Gsangl. Das wäre noch übersichtlich. Weit verbreitet, vor allem in alpenländischen Gefilden, existieren für den Spottgesang so viele Bezeichnungen wie Regionen. Schnaderhüpfl, Stieglhupfa oder Flausenliadle - Hauptsache die Zeilen reimen sich. Wenigstens irgendwie.
Derb-lustig und meist im Drei-Viertel-Takt intoniert gehören die Gstanzl zu jeder gestandenen Bauernhochzeit. Jenseits davon sorgen die Biermösl-Blosn für eine Roider-würdige Nachfolge und als "bayerischer Rap" erleben die Vierzeiler eine Renaissance bei der sanges- und reimfreudigen Jugend. Auf etlichen Gstanzlsänger-Treffen im In- und Ausland derblecken die Nachwuchs-Roiders alles, was ihnen zwischen die Lippen kommt.
Vom Bier singen, Milch trinken
Roiders Werke haben auch nichts gemein mit den üblichen ländlichen Spontan-Gstanzln, die genauso schnell vergessen sind, wie sie gedichtet werden. Viele seiner Reden und Vierzeiler sind ein Stück bayerischer Zeitgeschichte, dem politischen Kabarett näher als dem volkstümlichen Gauditum.
Dabei hat seine öffentliche Präsenz auch schauspielerische Qualitäten. Während der unzähligen Auftritte bei Volks- und Richtfesten, Vereinsjubiläen und Wirtshaustreffen redet der Niederbayer gerne vom Bier und vom "saufen". Dem Publikum gefällt's, aber Roiders Lieblingsgetränk ist alkoholfrei und heißt Milch.
Die Roider-Brüder
Ein Team seit früher Kindheit: Bereits in der elterlichen Stube singen Jakob Roider und sein älterer Bruder Sebastian (1901-1991) Seite an Seite. Später treten die beiden in Wirtshäusern der Umgebung auf, ab den 30er-Jahren folgen Rundfunk-Engagements und Tourneen. Während Jackl aber auch solo erfolgreich ist und viel herumkommt, bleibt Sebastian, genannt Wastl, in seinem Windschatten und verwurzelt in seinem Geburtsort. 1945 wird er zum Bürgermeister von Weihmichl gewählt und bleibt 21 Jahre im Amt.